David Milleker: Ungeliebte Vormachtrolle
Zu Jahresbeginn sah es so aus, als ob sich politisch wie wirtschaftlich ein günstiges Zeitfenster für eine institutionelle Reform des Euro-Raums öffnen würde. Der französische Präsident Emmanuel Macron unterbreitete den europäischen Partnern weitreichende Vorschläge für eine Erneuerung der Gemeinschaft. Auch in ihrem Koalitionsvertrag stellten die Unionsparteien und die SPD „Ein neuer Aufbruch für Europa“ an den Anfang des Papiers. Die finanzstärksten Mitglieder der europäischen Union erweckten den Eindruck in eine Richtung zu arbeiten.
Davon scheint nicht mehr viel übrig geblieben zu sein. Um eine kürzlich geführte Diskussion zu rekapitulieren existieren tiefsitzende Befürchtungen vor einer Rolle Deutschlands als Zahlmeister Europas. Zudem herrscht unterschwellig die Angst, dass bei einer erneuten Krisensituation Italien voraussichtlich als schwächstes Glied in der Kette zu groß ist, als dass man es retten könne.
Für beide Befürchtungen gibt es gute ökonomische Gründe und beide gehören zusammen. Es ist absehbar, dass in einer weiteren Krise die Volkswirtschaften des Euro-Raums erneut sehr stark fragmentieren und grenzüberschreitende Kapital(flucht)bewegungen diese Tendenz deutlich verschärfen werden. Zumindest derzeit wäre Italien hier mit seinem angeschlagenen Bankensektor, seiner hohen Schuldenstandsquote wie auch seinem unspektakulären Wachstum besonders gefährdet. Außerdem dürfte es schwer fallen, die drittgrößte Volkswirtschaft in der Währungsunion mit einem Auffangprogramm zu stützen. Immerhin weist Italien eine etwa um den Faktor 10 größere Wirtschaftsleistung auf als Griechenland.
Verhindern ließe sich dieses Szenario nur, wenn es eine Form von Risikotransfer oder Haftungsgemeinschaft gäbe. Womit wir bei der Zahlmeisterrolle Deutschlands wären. Es ist richtig, dass Haftung und Kontrolle ordnungspolitisch zusammengehören. Erstens sagt dieser Grundsatz aber nicht aus, auf welcher Ebene Haftung und Kontrolle ausgeübt werden sollten. Und zweitens wäre dies gesamtwirtschaftlich auch nur dann sinnvoll, wenn der einheitlichen Geldpolitik auch eine einheitliche Fiskalpolitik gegenüberstünde – im Gegensatz zu aktuell 19 unterschiedlichen Fiskalpolitiken mit 19 unterschiedlichen Staatsanleihen.
Die Schaffung einer Haftungsgemeinschaft auf europäischer Ebene würde natürlich Hand in Hand gehen mit einer faktischen Zahlmeisterrolle des stärksten Mitgliedslandes, sprich Deutschlands. Der Widerwille dagegen, ist erst einmal verständlich. Allerdings ist die Alternative dazu, ein wesentlich krisenanfälligeres Umfeld.
Faktisch ist Deutschland hier in einer ähnlichen Rolle wie viele überregionale oder regionale Hegemonialmächte in der Vergangenheit und Gegenwart. Ein stabiles Umfeld ist nur um den Preis von Verantwortungsübernahme und Ressourceneinsatz zu haben. Das häufige Hin und Her der USA zwischen Internationalismus und Isolationismus vor dem zweiten Weltkrieg ist ein gutes Beispiel dafür, wie mal die Suche nach Stabilität oder mal die Vermeidung von Lasten priorisiert wurde. Der Marshallplan und die Sicherheitsgarantie für Europa nach 1945 sind hingegen passende Beispiele dafür, dass eine Vormachtrolle mit erheblichen finanziellen Verpflichtungen einhergeht. Alles andere ist ein Wunschtraum.
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8. Mai 2018 um 17:16Westfalenpost: Gesichert ist nur der Wandel - Zum jüngsten "Atlas der Arbeit" | KrausFinanz