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Thomas Fricke: Italo-Populisten – Das wahre Dilemma der Römer

26. Mai 2018

Die neue Regierung in Rom hat eine Menge spinnerter Dinge vor. In einem hat sie wohl dennoch recht: Solange das Land derart hohe Altschulden bedienen muss, wird es in der Krise feststecken.

Europas Politvertreter sind seit ein paar Tagen leicht aufgeregt. An den Finanzmärkten wächst die Nervosität. Die Risikoaufschläge auf italienische Staatsanleihen steigen. Seit klar ist, dass Italien jetzt von einer Koalition aus Rechtsnationalen und Irgendwie-links-rechts-Populisten regiert wird, zeichnet sich ab: Die Sache könnte teuer werden. Denn die neuen Regierenden haben alles Mögliche versprochen. Am liebsten wäre es ihnen, wenn Italien einen Teil seiner Schulden einfach erlassen würde.

Jetzt könnte schon allein eine solche Ankündigung bei Anlegern derartige Panikattacken auslösen, dass es statt eines Schuldenschnitts erst mal zur nächsten großen Finanzkrise kommt. Nur sind die Regierenden in spe für solche Vorschläge immerhin gewählt worden – und werden schon deshalb nicht alles gleich fallen lassen. Und in einem Grundreflex könnten sie auch recht haben: Das Land scheint bei näherem Hinsehen einen viel zu hohen Preis für jene Staatsschulden zu zahlen, die zu einem Gutteil vor langer Zeit entstanden und gar nicht den Italienern heute anzulasten sind. Hier könnte das wahre italienische Dilemma liegen – und unseres.

Dass italienische Politiker per se einen Hang zum Schuldenmachen haben, ist historisch ziemlicher Quatsch. In den Siebzigerjahren stieg die Verschuldungsquote in Italien nicht schneller als in Deutschland. In den Neunziger- und Nullerjahren sogar nur halb so stark – um jeweils nur zehn Prozent der Wirtschaftsleistung, gegenüber mehr als 20 Prozent im Land der schwäbischen Legendenbildung.

Altlast aus den Achtzigerjahren

Dass Italiens Schuldenquote trotzdem heute so hoch ist, lässt sich zeitlich ziemlich gut eingrenzen. Der große Ausreißer war die Zeit zwischen Anfang der Achtziger- und Neunzigerjahre. Damals gab es tatsächlich ziemlich irre Ausgabenschübe – und die Schuldenquote schnellte binnen weniger Jahre von gut 50 auf fast 100 Prozent hoch. „Ursächlich für die hohe Verschuldung Italiens sind die Achtziger“, so Philipp Ehmer, Ökonom bei der KfW.

Das Fatale ist, dass diese Altlast seither nachwirkt – mit dramatischen Konsequenzen. Auf derart hohe Staatsschulden müssen Jahr für Jahr automatisch so entsprechend viele Zinsen gezahlt werden, dass schon ein Gutteil der Steuereinnahmen des Finanzministers draufgeht. Blöde Finanzarithmetik: Immer wenn die Zinsen höher sind als das prozentuale Wirtschaftswachstum (und damit die Steuereinnahmen), steigt die Schuldenlast. Da reicht selbst ein ausgeglichener Etat nicht mehr.

Um die Verschuldungslast abzubauen, wie das in den Neunziger- und Nullerjahren oft der Fall war, muss der Finanzminister ständig sehr viel mehr einnehmen, als er (jenseits der Zinsen auf die ollen Schulden) ausgibt. Von 2013 bis 2017 lag der Überschuss im italienischen Haushalt (vor Zinsen) bei durchschnittlich sage und schreibe gut drei Prozent – Überschuss, nicht Defizit. Das hat außer Griechenland kein anderes EU-Land hinbekommen. Selbst unter Einrechnung der Zinsen bleiben die Italiener damit seit fünf Jahren schon brav unter der Euro-Vorgabe.

Klingt vorbildlich, hat nur eine Kehrseite. Italiens Staat nimmt seinen Bürgern und Unternehmen de facto Jahr für Jahr Geld in Höhe von aktuell mehr als 50 Milliarden Euro weg, um die Altlasten zu bedienen – ob über Kürzungen oder höhere Steuern.

Das erklärt, warum der Staat zwar weniger Geld (für Sinnvolles) ausgibt, es aber (wegen der Zinsaltlast) trotzdem höhere Staatsschulden gibt. Die öffentlichen Investitionen sind in Italien von rund drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in den Nullerjahren auf zuletzt nur noch zwei Prozent gesunken. Ähnlich dramatisch ist der Rückgang der Ausgaben für Bildung. Weil es, sagen wir, Opa und Oma in den Achtzigern so doll getrieben haben, dass es seitdem jene hohen Altschulden gibt – und selbst die größten Kürzungen kaum mehr helfen.

Ein Teufelskreis

Hier liegt womöglich sogar der Kern des italienischen Dramas. Wenn der Staat Jahr für Jahr so viel Geld abzieht und weniger in die Zukunft des Landes investiert, ist es kein Wunder, dass im Land nicht mehr Geld ausgegeben und die Konjunktur so wieder gezogen wird – und das Wachstum seit Jahren schwächer ausfällt als andernorts. Auch wenn das sicher nicht der einzige Grund ist. An fehlender Nachfrage aus dem Ausland oder mangelnder Wettbewerbsfähigkeit kann es kaum liegen: Italiens Ausfuhren sind vergangenes Jahr mit gut fünf Prozent real sogar stärker gewachsen als die deutschen.

Ein Teufelskreis: Ohne Wachstum fällt es schwer, genug Geld aufzutreiben, um die Altschulden zu bedienen. Das wiederum erhöht den Druck, noch mehr zu kürzen – und das bremst die Wirtschaft noch mehr. Nur so lässt sich erklären, warum die Italiener das (berechtigte) Gefühl haben, ständig verzichtet zu haben.

Es gibt für Deutschland zwei Möglichkeiten:

  • Entweder den Moralapostel geben – nach dem Motto: Pech gehabt, wenn Oma und Opa geschludert haben. Dann kommen wir zwar in den Oberlehrerhimmel, müssen allerdings damit leben, was es bedeutet, wenn Italien auf absehbare Zeit nicht aus seinem Dilemma herausfindet. Und damit, dass uns früher oder später die nächste große Polit-, Finanz- und Wirtschaftskrise droht, die das Exportland Deutschland mitziehen wird.
  • Oder wir fangen an, die Italiener ernst zunehmen und einzuräumen, dass wir selbst es auch nicht geschafft haben, unsere Altschulden abzubauen – bis uns EZB-Präsident Mario Draghi und das kleine deutsche Wirtschaftswunder schwarze Nullen geschenkt haben. Dann könnte der eigentlich logische Schluss sein, die eine oder andere Schuld im eigenen Interesse eher zu erlassen, wie es die irre neue Regierung in Rom gern hätte – was nur erst einmal ziemlich unrealistisch ist, weil der Ausfall italienischer Anleihen die eine oder andere deutsche Bank in den Ruin ziehen und auf den Finanzmärkten eher Panik auslösen könnte.

Die Alternative wäre es, Regeln zu schaffen, die es Italiens Regierungen ermöglichen, trotz der Altschulden von anno dazumal endlich wieder in die Zukunft des Landes zu investieren – um mit neuer Dynamik dann auch die Altschulden abbauen zu können.

Alles besser, als moralisch überlegen zu sterben.

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Die neue Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

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