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Thomas Fricke: Nachfolge von EZB-Chef Draghi – Vorsicht vor dem Zinsgaukler

15. Juni 2018

Die Deutschen tun gerne so, als bekämen Sparer tolle Zinsen, wenn nur kein Italiener Chef der Europäischen Zentralbank wäre – sondern lieber der Herr Weidmann von der Bundesbank. Was für eine gefährliche Illusion.

Der Befund scheint klar. Wenn der arme deutsche Sparer seit Jahren keine Zinsen mehr kriegt, liegt das am Italiener Mario Draghi. Und daran, dass der Chef der Europäischen Zentralbank die Leitzinsen so niedrig hält, um, klar, Italiens Finanzministern beim Schuldenmanagen günstige Konditionen zu bescheren. Rums.

Will heißen: Hätte nur Jens Weidmann, ein Deutscher, das Sagen, wären die Zinsen viel höher. Und umso schöner, dass der Bundesbank-Chef jetzt gesagt hat, er würde gern Nachfolger von Draghi werden.

Sparer, haltet durch, Rettung naht!

Was für ein Blödsinn. Glauben zu machen, unter dem netten Herrn Weidmann wären höhere Zinsen zu erwarten, hat das Zeug, ins Weltkulturerbe besonders dreister Behauptungen aufgenommen zu werden. Es spricht alles dafür, dass auch unter dem zinspolitisch Barmherzigen in Zeiten wie diesen kaum mehr für die Sparer rausgekommen wäre – und auch künftig nicht rauskommen wird.

Möglich, dass Weidmann in entscheidenden Krisenmomenten dagegen das Falsche getan hätte – und tun würde. Nach aller Erfahrung scheinen Bundesbanker eher anfällig dafür, in turbulenten Zeiten vor lauter ordnungspolitischer Ewigkeitstreue zu spät einzugreifen – anders als etwa die pragmatischeren Kollegen aus den USA und Großbritannien.

Wie tief die Sage vom Zinszauberer Jens im Land der Bundesbank schon sitzt, lassen die Ergebnisse einer Umfrage erahnen, die der Wirtschaftsrat der CDU unter seinen Mitgliedern gemacht hat. Demnach finden die Mitglieder nur zu 28 Prozent richtig, was der Herr Draghi macht. Während 74 Prozent der „Politik“ der Bundesbank von Herrn Weidmann zustimmen. Was schon deshalb etwas bizarr wirkt, weil die Bundesbank gar keine (Zins-)Politik mehr macht, sondern höchstens diesen oder jenen Kommentar dazu abgibt – was bekanntlich einfacher ist, als tatsächlich entscheiden und dafür auch Verantwortung übernehmen zu müssen.

Die Nachwirkunge n der Finanzkrise

Es ist ja nicht so, als bekämen Sparer nur im Geltungsbereich der Italo-EZB heute keine schönen Zinsen mehr. Das ist, bitte mitschreiben, seit der Finanzkrise schlicht und einfach überall so, zumindest in allen einigermaßen vergleichbaren Gebieten der Welt (siehe Grafik). Und das hat auch seinen ökonomischen Grund. In den USA kollabierte die Leitverzinsung viel früher – auf beinahe null. Bei den Briten sind die Sätze noch heute nahe null. Ähnliches gilt für die Dänen. Die Japaner kennen das Phänomen Nullzins, seit das Platzen der Immobilienblase zur Dauerkrise führte. In der Schweiz, jetzt nicht unbedingt bekannt für mangelnde Empathie gegenüber Geldbesitzern, liegen die Zinsen seit Jahren sogar im Minusbereich – wer spart, muss zahlen.

All das hat eben wenig mit Draghi oder Weidmann zu tun, sondern mit den Nachwirkungen der gigantischen Finanzkrise, die vor zehn Jahren die Weltwirtschaft erschütterte. Nach solchen Crashs werde über Jahre hinaus relativ wenig investiert – aus Vorsicht,und um Schulden abzubauen, sagt Holger Schmieding, Chefökonom der Berenberg Bank. Während umgekehrt relativ mehr gespart werde. So ist das mit der Marktwirtschaft, liebe CDU-Wirtschaftsräte. Weniger Nachfrage, mehr Angebot – da sinkt der Preis, also in diesem Fall der Zins. Da kann auch der liebe Jens nicht so viel dran ändern.

Die Notenbanken haben aus früheren Krisen gelernt

In solchen Nachcrashzeiten kommt hinzu, dass Anleger ihr schönes Geld mehr oder weniger hibbelig dahin bringen, wo es sicher ist. Zum Beispiel in die Schweiz. Oder nach Deutschland. Das heißt: noch mehr Geld-Angebot. Was wiederum erklärt, warum die Schweizer Notenbank ihre Zinsen zur Abschreckung sogar unter null setzte – und im sogenannten Target-System der EZB so viel Geld aufs deutsche Konto geht.

Richtig ist, dass die Notenbanken das Ihre dazu beigetragen haben, die Zinsen noch ein bisschen stärker fallen zu lassen, als sie das angesichts von Angebot und Nachfrage getan hätten. Nach Schätzungen von Ökonom Schmieding haben etwa die Anleihekäufe der EZB dazu geführt, dass die Zinsen auf Staatsanleihen noch einmal 0,5 Prozentpunkte niedriger liegen. Nur eben nicht, um Sparer zu ärgern. Sondern weil es nach Finanzkrisen ein enormes Risiko gibt, dass sich Depression und Deflation verselbstständigen – und es Jahre dauert, bis die Gefahr überwunden ist.

Dass die US-Notenbank acht Jahre nach dem Crash von 1929 die Geldpolitik wieder verschärfte und dies zum Rückfall in die Rezession beitrug, gilt unter US-Experten als kapitaler Fehler – und erklärt, warum heute die US-Notenbanker ihre Zinsen zwar mittlerweile allmählich wieder anheben, sie die Leitsätze selbst zehn Jahre nach Krisenausbruch aber noch bei mickrigen zwei Prozent belassen.

Jetzt könnte man aus alldem folgern, dass es keinen so großen Unterschied macht, ob nun Weidmann oder Draghi den Euro führen. Na ja. Zur Notenbankpolitik gehört nicht nur, gelegentlich Zinsen zu verändern – sondern auch, in Zeiten entglittener Finanzglobalisierung auf Marktpaniken und Systemkrisen zu reagieren. Ein Thema, das der Bundesbank nicht so zu liegen scheint.

Dieser Verdacht kam schon Anfang der Neunzigerjahre in der Krise des Europäischen Währungssystems auf, als die Währungshüter viel zu lange zögerten, die Spekulationswellen gegen das britische Pfund oder die italienische Lira zu stoppen – was nach Interpretation des britischen Ökonomen Simon Tilford auf der Insel womöglich bis zur Brexit-Haltung nachwirkt.

Als nicht gerade glorreich ließe sich auch einstufen, dass sich zu Beginn der Währungsunion im Euroraum jene Exzesse aufbauten, die später zur Krise beitrugen – und dass das alles unter der Aufsicht ehemaliger Bundesbanker geschah, die zwischen 1998 bis 2011 als Chefökonomen der EZB wirkten, ohne damals Alarm zu schlagen.

  • In die Zeit bundesbankdeutscher Chefökonomen fällt etwa die EZB-Fehlentscheidung, noch im Sommer 2008 einsam die Zinsen zu erhöhen – als die Finanzkrise schon ihren Lauf nahm und andere Notenbanken die Zinsen bereits senkten; wozu die Mitteilung der Bundesbank ein Jahr zuvor im August 2007 passt, wonach es für eine Bankenkrise keine Anzeichen gäbe.
  • Oder die viel zu späte EZB-Reaktion auf die Eskalation der Krise im Herbst 2008, wie der Ökonom Peter Bofinger moniert.
  • Oder die irre Entscheidung, im Sommer 2011 die Leitzinsen wieder anzuheben – viel zu früh, wie 1937 die Entscheidung der US-Notenbank, ihre Geldpolitik zu verschärfen. Was zum Rückfall in die Krise beitrug – und die Notenbanker kurz darauf wieder korrigierten.

Wie überfordert der gemeine Bundesbanker mit solchen Paniksituationen gelegentlich zu sein scheint, lassen auch die Protesteinlagen deutscher Notenbanker wie Jürgen Stark erahnen, der 2011 mit seinem Rücktritt aus dem EZB-Direktorium gegen jene Aufkäufe von Anleihen protestierte, die heute weitgehend unbestritten als das gelten, was die Krise gelöst hat, weil nur so die Finanzpanik ganz offenbar noch zu stoppen war. Sagen wir es so: Wir sollten drei Söder-Kreuze aufhängen, dass damals keiner der Bundesbanker in Europa das Sagen hatte.

Wenn da etwas dran ist, könnte es sein, dass es gar keine so gute Idee ist, in Hochzeiten irrer Politiker und latenter Finanzpanik einen ordnungspolitisch adretten Bundesbanker zum Leiter der zweitwichtigsten Notenbank der Welt zu machen. Zumindest nicht, ohne dem Mann einen guten Krisenmanager zur Seite zu stellen.

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Die neue Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

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