Die Medien manipulieren. Politiker sagen ohnehin nicht die Wahrheit. Also, dass uns der Islam bald fertigmacht. Und die Eliten sind ohnehin gegen das Volk. Während Gutmenschen an Realitätsverlust leiden.
So oder so ähnlich tönt es, wenn unsere Freunde aus den systemisch besorgten Parteien derzeit durch ihre Länder ziehen – ob in Deutschland, Frankreich, Amerika oder Österreich. Und der These Nachdruck verleihen, dass Wahrheit, ungeschönte Diagnose und manipulationsfreie Befunde natürlich nur bei ihnen aufzusuchen sind.
Kleinpartei-Politiker mit derart ausgeprägtem, sagen wir: Wahrheitsempfinden und Sendungsbewusstsein hat es zwar schon immer gegeben. Bemerkenswert ist, dass es heute davon US-Präsidenten gibt. Und dass die steile These von den chronisch manipulierenden Medien-Politiker-Eliten-Gutmenschen mittlerweile auch bei uns wie selbstverständlich erörtert wird.
Was die Frage aufwirft, ob die Diagnose einfach stimmt – oder die Leute heutzutage aus ganz anderen wirtschaftlich-sozialen Gründen nur besonders anfällig für solche etwas grobschlächtigen Generaldiagnosen sind.
Wenn die FPÖ Geschichte lehrt
Für die Anfälligkeitsthese spricht ein ziemlich irres Phänomen, das Wissenschaftler bei unseren Nachbarn im schönen Österreich entdeckt haben. Wie die beiden Ökonomen Christian Ochsner und Felix Rösel bei der Auswertung von detaillierten regionalen Wahlergebnissen in Österreich herausfanden, hat die stark rechtslastige FPÖ just in den Bezirken besonders an Stimmen gewonnen, in denen vor – Achtung! – knapp 500 Jahren die Türken durchzogen, als sie auf dem Weg zur Belagerung nach Wien furchtbares Elend anrichteten. Nach Berechnungen der beiden Forscher vom Ifo-Institut in Dresden bekommt die FPÖ in diesen Regionen anteilig ein Zehntel mehr Wähler als überall dort, wo die Türken anno 1529 (und nochmals 1683) nicht vorbeikamen.
Jetzt könnte das natürlich daran liegen, dass in diesen Dörfern die Erinnerung an die Gräuel einfach täglich so präsent geblieben ist, dass das ein halbes Jahrtausend später noch das Wahlverhalten bestimmt. Man hat in den Alpen ja auch Ötzis, die vor 5000 Jahren schon da rumliefen.
Nur fanden die Forscher noch etwas Kurioseres heraus: Die Wähler in den ehedem türkisch geplünderten Gebieten tendieren noch gar nicht so lange dazu, mehr als andere nach rechts zu neigen. Sie wählen dort in Wirklichkeit erst seit 2005 mehr FPÖ als Wähler in den Regionen, wo der Türke in der frühen Neuzeit nicht wütete. Und das fällt zeitlich eher damit zusammen, dass 2005 die FPÖ ihren neuen Chef Heinz-Christian Strache bekam, der die Partei erst mit so islamkritischer Haltung versorgte – und zur Untermalung seither gern mal die türkischen Plünderungen zitiert. Was wiederum in den Regionen offenbar am meisten verfing, wo sich tatsächlich irgendwelche Erinnerungsmale finden ließen.
Irre, aber wahr: Für die Zeit vor 2005 konnten die Forscher keinen Unterschied im Wahlverhalten zwischen geplünderten und verschonten Regionen finden. Sprich: vor Straches historischer Eingebung hat die Erinnerung an das, was ein paar Jahrhunderte vorher passiert ist, in den betroffenen Dörfern offenbar nie (politisch) eine Rolle gespielt.
Wirtschaftliche und soziale Unsicherheit
Zum Test checkten die Wissenschaftler unter anderem noch, ob womöglich auch andere rechte Parteien, die weniger auf Antiislamkurs sind, in den einst heimgesuchten Regionen besonders viele Stimmen bekommen haben. Ergebnis: nein. Was die Vermutung erhärtet, dass die Ursache für das plötzliche Geschichtsbewusstsein eher im Nachhelfen Straches zu suchen ist.
Nach Ansicht der Forscher zeigen die Ergebnisse, wie sich lang vergessene historische Ereignisse für politische Kampagnen gegen ethnische und religiöse Minderheiten reaktivieren lassen – was ein bisschen unglücklich nach Empfehlung klingt. Man könnte es auch etwas anders auf den Punkt bringen: Wenn selbstdeklarierte Volksversteher lange Vergessenes so eindrucksvoll einsetzen können, dass Wähler aufgrund von Ereignissen, die ein halbes Jahrtausend zurückliegen, plötzlich mehr Angst davor haben, was ihr türkischer Nachbar morgen anrichten könnte, dann ist das womöglich eher ein Anzeichen dafür, dass etwas anderes nicht stimmt.
Wenn es heute offenbar eine Menge Leute gibt, die sich von so etwas so schnell beeindrucken lassen, könnte dahinter das stecken, was etliche Studien in jüngster Vergangenheit fast einmütig zeigen: dass der eigentliche Grund für den Unmut vieler – bewusst oder unbewusst – in der Angst liegt, wirtschaftlich und sozial abzustürzen oder die Kontrolle über die eigene Zukunft zu verlieren.
Das liegt in der Regel ja nicht daran, was der Türke früher so angestellt hat, lässt die Betreffenden aber ganz menschlich dazu neigen, auf Fremde zu schimpfen; so wie es der hohe Anteil von Wählern rechter Parteien etwa in solchen Regionen vermuten lässt, in denen es viele Verlierer der Globalisierung, aber eigentlich gar nicht so viele Ausländer gibt.
Kritisch nachfragen, Fakten wahrnehmen
Das Gruselige an dem Befund eines jähen historisch alten Einflusses aufs Wählen österreichischer Rechtsparteien ist, dass es erahnen lässt, wie leicht es die einen oder anderen gerade haben, den einen oder anderen zu manipulieren. Und dann auch noch zu behaupten, dass man die Wahrheit vertritt gegen all die angeblichen Manipulierer.
Es gibt wenig Gründe anzunehmen, dass es nur bei den Österreichern so gefährlich gut funktioniert, Gefahren aus der Ferne hochzureden. Immerhin haben es Deutschlands Wutbürgervertreter auch schon ganz gut hingekriegt, dass sich das ganze Land seit Jahren über fast nichts anderes mehr sorgt als darüber, ob mit den Geflüchteten nicht vor allem Mord und Totschlag ins Land gekommen sind – obwohl nüchternere Analysen darauf schließen lassen, dass die Gefahr, heute Opfer einer Tat zu werden, nicht höher ist als vor ein paar Jahren. Und Deutschland ganz andere Krisen drohen.