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Thomas Fricke: Nachfolgekandidaten Merz, Spahn, Kramp-Karrenbauer – Dann doch lieber noch ein bisschen Merkel

2. November 2018

Es hätte gute Anlässe gegeben, Angela Merkel in die Wüste zu schicken. Aber jetzt? Das ergibt keinen Sinn, solange die möglichen Nachfolger auch keine Antwort auf die Megaprobleme unserer Zeit haben.

Die Welt steht vor einer womöglich dramatischen Zeit. Donald Trump zertrümmert die Beziehungen zwischen Ländern, die früher für Wohlstand sorgten. Die Brasilianer wählen sich freiwillig einen Halb-Diktator. Türken und Russen haben schon welche. Einstige Volksparteien werden plötzlich durch humorlose Sprücheklopfer und Nationalisten an den Rand gedrängt – egal, ob in Frankreich, Italien oder den Niederlanden.

Die Italiener haben aus Verzweiflung eine stark pubertierende Regierung gewählt. Während die Deutschen seit geraumer Zeit schon gar keine richtige Regierung mehr zusammenkriegen. Nicht auszuschließen, dass wir bald die nächste Währungskrise bekommen. Und die nächste Rezession – bei so viel Durcheinander.

Und wer will, nach dieser Merkel-geht-Woche, für die CDU als Retter gegen die drohenden Untergänge der Welt in den Kampf ziehen? Ja: Annegret Kramp-Karrenbauer, Jens Spahn – oder Friedrich Huch-jetzt-bin-ich-wieder-da-Merz.

Also die Frau, die so wie Merkel ist. Der Junge, der für irgendwas steht und sich gerade viel um die Pflege älterer Menschen kümmert. Und der schon etwas ältere Mann, der uns mal erklärt hat, die Welt würde besser, wenn man seine Steuererklärung auf einem Bierdeckel machen könnte. Die Welt wird viel Glück brauchen.

Jetzt soll man keinen vorzeitig und aufgrund früherer Haltungsschäden verurteilen. Nur, ganz im Ernst: Was da bei der Union für die Zeit nach Merkel zur Wahl und Weltenrettung bereitgestellt wird, klingt ein bisschen so, als würden die deutschen Sozialdemokraten (eine Partei, liebe Kinder, die früher sogar mal Kanzler stellte), sagen wir, Andrea Nahles und Olaf Scholz dazu bestimmen, den Absturz der SPD zu stoppen (oder waren die schon?).

Es kann ja nicht nur an Frau Merkel an sich liegen, wenn in aller Herren Länder plötzlich so viele Menschen Leute wählen, die eigentlich außer großen Sprüchen nicht viel zu bieten haben. Und die vor allem dadurch zu glänzen versuchen, dass sie gegen andere hetzen und poltern. Weder der viel diskutierte deutsche Flüchtlingsherbst 2015 ist daran schuld (Warum sollte der Amerikaner deshalb Trump gewählt haben?), noch die Tatsache, dass Frau Merkel die Christlich-Demokratische Union zur Ehe für alle und ähnlichen unkonservativen Dingen geführt hat.

Es gibt allerdings etwas, das den gruseligen Trend dieser Zeit in so vielen Ländern gleichzeitig erklären kann: Die schlecht gesteuerte Globalisierung und die wirtschaftsliberalen Dogmen der vergangenen Jahrzehnte haben fast überall Gesellschaften auseinanderdriften lassen, wie das zuvor über Jahrzehnte nicht der Fall war.

Diese Entwicklung hat eine Menge Leute arm gemacht oder zumindest ziemlich verunsichert – und sie lässt Regierungen plötzlich wie Trottel aussehen, weil diese auf alles Mögliche offenbar keinen Einfluss mehr haben: weder auf Google, noch auf Banken, die trotz dramatischer Geschäftsfehler mit Steuergeldern gerettet werden müssen. Und scheinbar auch nicht darauf, wer so ins Land kommt – zumindest in der von AfD und Anhang eifrig beförderten Wir-machen-euch-Angst-damit-ihr-uns-wählt-Wahrnehmung.

Die Politik kollabiert

Wenn es dieses Auseinanderdriften der Gesellschaften gibt, dann geht es um weit mehr als darum, hier und da ein bisschen zu reparieren – indem man Mindestlöhne oder schlecht funktionierende Mietpreisbremsen einführt. Dann geht es um ein ganz neues Verständnis von Globalisierung und Wirtschaften – bei dem es nicht mehr stets an erster Stelle stehen kann, wie sich dies oder das wirtschaftlich auswirkt, wie das in den vergangenen Jahrzehnten des Primats der Ökonomie gepredigt wurde, weil sonst angeblich immer Rezession und Arbeitslosigkeit folgen. Jetzt gibt es zwar (vorübergehend) die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 1981 in Deutschland und die größten Gewinne aller Zeiten. Allerdings bricht gerade die Gesellschaft auseinander, und die Politik kollabiert – siehe oben.

Dann braucht es ganz neue Ideen dafür, den Menschen wieder stärker das Gefühl zu geben, über ihr Schicksal zu bestimmen. Oder Regierungen davor zu schützen, dass die Laune an den Finanzmärkten mehr zählt als jede Wahl. Oder neu zu definieren, was dringend international zu regeln und in Brüssel festzulegen ist, weil es sonst niemandem hilft – und was womöglich auch der Bürgermeister im Dorf wieder festlegen kann.

Man braucht sehr viel Fantasie, um aus irgendwelchen Äußerungen der designierten Vielleicht-Merkel-Nachfolger auch nur den Ansatz einer Antwort auf solche Fragen zu erkennen. Auch wenn Friedrich Merz gerade erst durch einen Aufruf aufgefallen ist, in dem sogar eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung in Europa als sinnvoll erachtet wurde – was in der Tat Teil einer Neudefinition von Aufgaben sein könnte, wenn es darum geht, unsere Währung vor neuen Krisen zu schützen. Nur ein Beispiel.

„Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, hat Helmut Schmidt anno 1980 ja mal gesagt. Das hat aus heutiger Sicht etwas Tragikomisches. Wer damals Visionen hatte, waren diejenigen, die mit Thatcher, Reagen und Lambsdorff die Welt kurz darauf in genau diese unkontrollierte wirtschaftsliberale Globalisierung zugunsten von Finanzindustrie, Großkonzernen und Ohnehin-schon-Reichen befördern wollten; was als Vision damals schon viele Jahre vorbereitet worden war. Und diese Visionäre sind damit nicht zum Arzt gegangen, sondern in die Regierung. Was uns am Ende jenen Kontrollverlust von Regierungen bis hin zur Finanzkrise beschert hat, deren Spätfolgen jetzt wiederum den Unmut der Leute antreiben und die liberalen Demokratien gefährden.

Wäre vielleicht klug gewesen, dieser Vision damals schon eine bessere entgegenzusetzen. Statt Leute, die das tun wollten, zum Arzt zu schicken.

Es ist nicht sonderlich schwer zu diagnostizieren, dass Angela Merkel jetzt nicht wirklich durch große Visionen in die Geschichte einzugehen geeignet ist. Daran hat sie letzte Zweifel ausgeräumt, seit sie auf die Europa-Vision von Emmanuel Macron so gar nichts zu antworten wusste.

Merkels Stärke ist ihre Lernbereitschaft

Bittere Folgen hatte dieses Manko schon früher: etwa als die Kanzlerin weder auf Banken- noch auf die Eurokrise so reagierte, wie es eine akute Finanzkrise verlangt hätte – und damit zur Eskalation maßgeblich beitrug. Was, wie nicht schwer zu belegen ist, als Spätfolge zur Wahl von Populisten in Italien geführt hat – und es als Nächstes womöglich in Frankreich tut. Eine Finanzkrise in Zeiten fortgeschritten entglittener (Finanz-)Globalisierung behebt man eben nicht durch das Schwäbische-Hausfrauen-Prinzip.

Merkels Stärke: Sie kann solche Fehler irgendwann erkennen und ihre Politik schwurbelig anpassen. Etwa als es darum ging, allzu strenge Austeritätsvorgaben in vielen Euroländern aufzugeben. Oder einzugestehen, dass es doch wichtig war, die Euro-Notenbank als Retterin in letzter Instanz wirken zu lassen – was die Bundesregierung kurz vorher noch abgelehnt hatte. Oder einen Mindestlohn einzuführen, weil spürbar wurde, dass es sonst kritisch wird.

Vieles davon kam merkelbedingt ziemlich spät – und hat nur Schlimmeres noch verhindert. Nur kam es wenigstens. Was es bedeutet hätte, einen dogmatisch-sturen Politiker zu haben, hat die Griechenland-Krise gezeigt, wo Wolfgang Schäuble aus lauter Starrsinn selbst das Tabu des Grexits noch gebrochen hat – was aus der Währungsunion ein Spekulationsobjekt gemacht hat. Das erfahren auch die Italiener gerade.

Vielleicht wäre es besser, in diesen Zeiten eine visionsfreie Kanzlerin mit pragmatischem Hang zur Spätkorrektur zu haben – als jemanden, der oder die weder eine Vision für eine neue Zeitrechnung der Globalisierung hat, noch die merkelsche Lernbereitschaft (und internationale Erfahrung), die in den nächsten Krisen wieder gebraucht werden. Um Schlimmeres zu verhindern.

Dann womöglich doch lieber noch ein Weilchen merkeln. Bis es wenigstens ansatzweise überzeugende Ideen dafür gibt, wie eine neue Politik aussehen soll, mit der die großen Probleme unserer Zeit zu lösen sind. Statt nur Politiker, die gerade da sind und irgendwie eine Parteivorsitzende ersetzen können.

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Die Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

  1. Uli
    2. November 2018 um 15:57

    „Dann womöglich doch lieber noch ein Weilchen merkeln. Bis es wenigstens ansatzweise überzeugende Ideen dafür gibt, wie eine neue Politik aussehen soll, mit der die großen Probleme unserer Zeit zu lösen sind.“

    Da können wir mit Merkel lange warten.

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