David Milleker: Das Brexit-Trilemma
Von Beginn an hat sich die Diskussion über die Art und Weise des Austritts Großbritanniens aus der EU daran festgefahren, dass die Briten sich einigen Illusionen hingeben. Oder im Ökonomensprech formuliert: inkonsistente Positionen vertreten. Der noch zu gehende Weg bis zum Brexit ist durch instabile Parlamentsmehrheiten mehr als holprig. Straucheln nicht ausgeschlossen.
Man kann diese inkonsistenten Positionen formell in Form eines Trilemma darstellen. Es gibt drei Grundpositionen, von denen je nur eine Kombination aus zweien in sich schlüssig ist.
Pol 1: Keine harte Grenze in Irland.
Pol 2: UK verlässt den Binnenmarkt.
Pol 3: Es gibt keinen Unterschied in der Behandlung von Ulster (Nordirland) und dem Rest Großbritanniens.
Die Kombination zwischen Pol 1 und Pol 3 liefe auf einen gesamten Verbleib Großbritanniens im Binnenmarkt – zumindest in dem für Güter hinaus. Nennen wir diese „Norwegen minus“. Die Kombination der Pole 1 und 2 resultiert in einer Zollgrenze in der irischen See („Kanada plus“). Und die Kombination der Pole 2 und 3 wäre ein „Hard Brexit“, der allerdings für die EU schon deswegen inakzeptabel ist, weil er den irischen Friedensprozess in Frage stellen und ein Veto der Republik Irland nach sich ziehen würde.
Ökonomisch wäre für einen geordneten Übergang des Ausscheidens Großbritanniens aus der EU Ende März 2019 notwendig, dass bei den Verhandlungen ausschließlich die Scheidungsmodalitäten und eine Übergangsfrist vereinbart würden. Die Modalitäten des künftigen Zusammenlebens könnten auch noch auf die Übergangsfrist vertagt werden. Problematisch wäre hingegen wegen der Vorleistungsverflechtungen ein Herausfallen Großbritanniens ohne jegliche Anschlussfrist. Dann würden Vorleistungsketten plötzlich zum Stillstand kommen und gegebenenfalls deutliche Produktionsstopps nach sich ziehen. Um die Größe eines solchen Schocks zu verdeutlichen: Rund 6% der im britischen Export enthaltenen Wertschöpfung stammt aus den vier großen Mitgliedsstaaten der EU (Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien) und umgekehrt rund 6,5% Exportwertschöpfung dieser Staaten aus Großbritannien (davon rund 50% bei Deutschland). Das sind keine immensen, aber durchaus spürbare Größenordnungen.
Blicken wir nun einmal auf die Mehrheitsverhältnisse im Parlament. Zunächst ist die Regierungsbank selbst tief gespalten. Von den 314 Abgeordneten der Konservativen neigen 12 Abgeordnete eindeutig der Norwegen-Lösung zu, etwa 60 der Hard-Brexit-Lösung. Die Parlamentsmehrheit hängt an der kleinen nordirisch-protestantischen DUP (10 Abgeordnete), für die die „Kanada“-Variante als Vorstufe zu einer Wiedervereinigung mit der katholischen Republik vollkommen inakzeptabel ist. Die schottischen Nationalisten (35 Abgeordnete) sowie die Liberaldemokraten (12 Abgeordnete) sind eindeutig für die Norwegen-Lösung. Darüber hinaus gibt es 13 Abgeordnete, die wahlweise unabhängig oder Kleinparteien (Grüne und walisische Nationalisten) sind. Bleibt Labour mit seinen 255 Abgeordneten. Hier findet sich eigentlich der größte Block an Befürwortern für eine Norwegen-Lösung. Nur rund 12 der Labour-Abgeordneten sind explizit für einen Hard Brexit. Das Problem liegt darin, dass sich die Partei- und Fraktionsführung hier explizit darauf festgelegt haben, über einen Sturz der Regierung Neuwahlen herbeizuführen und sich nicht zum Mehrheitsbeschaffer für Premierministerin May machen zu lassen.
Mit anderen Worten: Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Regierung – mit welchem Vorschlag auch immer – ins Parlament geht und zumindest im ersten Anlauf keine Mehrheit findet. Von dort kann es noch durchaus weitere Komplikationen geben, angefangen mit dem Versuch der „Hard Brexit“-Fraktion der Konservativen, die Premierministerin zu stürzen, bis zum bereits im Frühjahr 2018 angewendeten Versuch der Regierung, die eigene Fraktion durch ein angedrohtes Misstrauensvotum auf Linie zu bringen. Im Extremfall werden sogar Neuwahlen notwendig. Hinzu kommt das Risiko, dass etwa EU-Mitgliedsstaaten wie Italien oder Polen versuchen könnten, das Thema Brexit über die notwendige Einstimmigkeit, als Geisel für ihre eigenen Konflikte mit der Kommission zu nehmen.
Das letzte Stück Weg hin zu einer vernünftigen Scheidung mit Übergang ist also mit potenziellen Schlaglöchern gepflastert. Bleibt zu hoffen, dass wir nicht – wie so oft im politischen Prozess –erst in einen ökonomischen Abgrund schauen müssen, um dann doch noch zu einer vernünftigen Lösung zu kommen.