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Thomas Fricke: Schuldenstreit – Alexa, bring Italiens Wirtschaft zum Laufen!

16. November 2018

Ein Fall für künstliche Intelligenz? Deutsche und Brüsseler Experten wissen erschreckend wenig darüber, wie man der Wirtschaft Italiens wirklich hilft. Das bekommt das Land gerade leidvoll zu spüren.

Es ist ja im Moment immer wieder von dieser künstlichen Intelligenz die Rede, die alles Mögliche einfacher und uns arbeitslos machen soll. Weil die Roboter es besser können. Wobei dann meistens so ein Quatsch wie selbstfahrende Autos erwähnt wird. Oder Alexa, die, zack, das Licht ausmacht.

Dabei gäbe es ein Betätigungsfeld herkömmlicher menschlicher Intelligenz, auf dem das Zeug mal wirklich sinnvoll wäre: um zu entschlüsseln, warum eigentlich das eine Land wirtschaftlich erfolgreicher ist als das andere. Und, auf den Punkt gebracht: Was der Italiener denn jetzt machen soll. In dem Punkt scheint das, was herkömmliche Ökonomengehirne bisher leisten können, mit dem Begriff Intelligenz an sich schon recht freundlich bewertet zu sein.

Ganz im Ernst: Wenn so viele Italiener gerade ziemlich wütend Populisten gewählt haben, die sich nicht an alte Empfehlungen halten, liegt das ja nur zu einem Teil daran, dass der Italiener halt irgendwie komisch ist. Italien hat jahrelang genau das gemacht, was die gängige ökonomische Lehre via Brüssel und Wolfgang Schäuble so gefordert hat.

Nur hat das eben erstens ziemlich wenig gebracht – was auch dem Italiener irgendwann aufgefallen ist. Und zweitens wirkt es jetzt entsprechend wenig überzeugend, was den Italienern aus Brüssel und Berlin als Rettung und Alternative zu den Polterplänen der rechts-links-populistischen Regierung einfällt. Also: dass sie mal wieder irgendwas reformieren sollen. Nach altorthodoxer Lehre. So eine Art Wirtschaftstheologie.

Nach ebendieser Urlehre muss ein Land ja immer ganz viele Regeln vereinfachen, irgendwie Bürokratie abbauen, es Unternehmen leichter machen, Kosten zu kürzen, das Renteneintrittsalter eher anheben als senken, Schulden bremsen und der Bevölkerung mehr Druck machen, auch mal schlecht bezahlter Arbeit nachzugehen. Weil dann die Wirtschaft dynamischer wird – und das ganz viel Arbeit und glückliche Menschen schafft.

Wenn das stimmen würde, müsste Italiens Wirtschaft seit spätestens 2011 wenigstens tendenziell dynamischer und der Italiener definitiv glücklicher geworden sein.

Die Inflation ist in Italien seit Jahren niedriger als in Deutschland

Seitdem ist im Land nach und nach das Renteneintrittsalter angehoben, eine Schuldenbremse eingeführt, sind Gesetze gegen Korruption durchgesetzt, der Kündigungsschutz gelockert, die Zuzahlungen im Krankheitsfall erhöht, Post und andere Läden (teil-)privatisiert, der Druck auf Arbeitslose erhöht, Bürokratie abgebaut, flexible Lohnabschlüsse in den Firmen gefördert, die Vergabepraxis bei öffentlichen Aufträgen vereinfacht, die Steuermoral befördert und Justizverfahren beschleunigt worden. Um nur einige Beispiele zu nennen.

In der Zeit waren die Italiener auch immer nahe bei den Strebern in dem Reformeifer-Ranking, das sich die Leute von der Denkfabrik Lisbon Council ausgedacht haben, zum Beispiel. Nach orthodox-ökonomischen Kriterien müsste Italien seither auch als Vorbild angehimmelt werden – mit:

  • einem Exportüberschuss von rund 50 Milliarden Euro;
  • einem Überschuss im Staatshaushalt vor Zinsen von um die zwei Prozent der Wirtschaftsleistung;
  • und einer Inflation, die seit Jahren niedriger ist als in Deutschland.

Da versinkt der Amerikaner stabilitätspolitisch vor Neid in tiefer Traurigkeit.

Nur dass all das in Italien die Wirtschaft gar nicht so deutlich stärker hat wachsen lassen – oder die Italiener so glücklich gemacht hat, dass sie die Politiker, die all die schönen Reformen gemacht haben, prompt wiedergewählt haben. Was ihnen der Gerd Schröder vorher hätte sagen können.

Italiens Regierungen haben seit 2011 in der Summe definitiv nicht weniger reformiert als die Deutschen zur Agenda-Zeit – und ihre Regierungen sind dafür genauso abgestraft worden wie damals Rot-Grün. Nur gab es in Deutschland zwischenzeitlich doch mehr Wirtschaftswachstum und deutlich mehr Beschäftigung. Was bei näherer Betrachtung weniger an den Agenda-Reformen als daran lag, dass damals die halbe Welt Party feierte und Maschinen oder Autos brauchte. Und Deutschland von der Eurokrise profitiert hat. Glück gehabt.

In den vergangenen Jahren nach der Finanzkrise hat keiner mehr so richtig Party gefeiert – weshalb auch die italienische Wirtschaft nicht so schön aus der Krise kam wie einst die deutsche.

Kein Rezept, das in allen Ländern hilft

Schon das macht es absurd so zu tun, als ob eine wirtschaftliche Heilslehre immer und überall gleich wirkt – wenn überhaupt. Es gibt de facto ziemlich dynamische Länder wie die nordischen, wo die Leute sehr viel Steuern zahlen müssen und der Staat ziemlich präsent ist. Was das orthodoxe Lehrbuch ja eigentlich nicht so vorsieht. Andere wiederum passen ins Lehrbuch, zumindest auf den ersten Blick. Wie Singapur. Nur was hilft es, sich mit so einem Sonderstätchen zu vergleichen?

Wenn es finanzpolitisch eine Erkenntnis aus den vergangenen Krisenjahren gibt, dann die, dass Staatsschulden auf Dauer nur dann weniger werden, wenn die Wirtschaft gut läuft. Womit man wieder bei der Frage ist, wie denn so eine Wirtschaft dynamischer wird, ohne dass die Leute dann zu den Populisten rennen. Wenn viel reformiert wird, ohne dass es den Leuten zumindest nach einer Weile besser geht, wählen die Leute Protestparteien. Und dann hilft es erst recht nichts, noch mehr Reformen einzufordern, die nichts gebracht haben. Zumindest nicht genug, um Wähler davon zu überzeugen.

Was hilft die wettbewerbsfähigste Industrie, wenn die Gesellschaft vom Nebeneffekt drastisch auseinanderdriftender Einkommen zerrissen wird? Und irgendwann Populisten herrschen, denen die Regeln egal sind. Siehe Rom.

Klar, gibt es das eine oder andere Indiz, dass diese oder jene Reform tendenziell mehr bewirkt als andere. Sehr viel weiter reicht die Weisheit der Ökonomie aber nicht. Was in einem Land zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten konjunkturellen Umfeld wirkt, tut es im nächsten nicht mehr. Und der Erfolg hängt eben auch davon ab, ob sich Reformen und Kürzungen demokratisch noch vermitteln lassen.

Da nützt es auch wenig, dass etwa die Experten des Internationalen Währungsfonds der Regierung in Rom zwar durchaus sensibel Maßnahmen nahelegen, wie sie mehr Wirtschaftsdynamik erzeugen – wenn das mit dem sakralen Ökonomenspruch verbunden ist, dass diese oder jene Reform „langfristig“ Wachstum schaffen dürfte. Mit etwas Glück. Vielleicht.

Kleine Kenntnisse, große Entschiedenheit

Die Entschiedenheit, mit der gerade aus Brüssel oder Berlin dies oder das von Italien gefordert wird, steht in entsprechend atemberaubendem Widerspruch dazu, wie wenig gemeine Ökonomen darüber wissen, was einigermaßen gesichert zu Wirtschaftswachstum und (dann) weniger Staatsschulden führt.

Was zu einem ziemlich grundlegenden Schluss führen könnte: dass man so eine heikle Übung dann auch stärker den Regierungen überlassen sollte, die sich vor ihren Wählern dafür anschließend verantworten müssen, was sie angestellt haben.

Zumindest bis unsere Freunde aus der Forschung so weit sind, den ersten künstlich mit hinreichend Intelligenz ausgestatteten Volkswirt entwickelt zu haben, um uns zu erklären, was genau eine Regierung wann machen muss, um die Dynamik im Land zu erhöhen. Das wäre mal sinnvoll.

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Die Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

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