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Thomas Fricke: AfD und die Krise der Union – Bloß kein Retro-Merz!

14. Dezember 2018

Wolfgang Schäuble orakelt, es würde die Polit-Ränder schwächen, wenn Freund Merz in der Union für klare Kante sorgt. Eine fatale Fehldiagnose der Ursachen für das weltweite Erstarken politischer Extreme.

Macht er jetzt weiter? Oder ist er einfach beleidigt? Seit Tagen kommt das Land nicht zur Ruhe über der Frage, ob nun der Friedrich Merz nach seiner Niederlage beim Parteichef-Hakeln wieder etwas mit Fleiß und Wirtschaft macht. Oder doch irgendwie in der Politik bleibt – was zumindest der Wolfgang Schäuble vom Schwarznull-Intriganten-Stadl prima fände: Weil es, ganz schön schlau, die „politischen Ränder“ schwächen würde, wenn Freund Merz endlich wieder ordentlich konservative Politik einbringt – und die AfD-Wähler dann gar nicht mehr wissen, warum sie AfD wählen sollten.

Klingt genial und ist als Befund derzeit gängig. Dabei könnte das Kalkül auch auf einer ziemlich dramatischen Fehlannahme beruhen – und Friedrichs Merz‘ etwas abgehangenes Orakeln über Fleiß und Ordnung, gar nichts an den eigentlichen Ursachen dafür ändern, dass es politisch gerade drüber und drunter geht. Denn das tut’s ja nicht nur im Land der bösen Angela. Könnte sogar sein, dass Merz mit seinen Wirtschaftsfloskeln aus der Vergangenheit diese Krise nur verschlimmern und der AfD helfen würde.

Die derzeit noch übliche Erklärung geht so: Weil Frau Merkel irgendwie grün-sozialistische Politik macht, wurden die armen Konservativen obdachlos. Und als dann der Herbst 2015 mit all den Flüchtlingen kam – und Angela auch noch Mutter Teresa gespielt hat -, sind eben die Wähler zur AfD. Rums. Lösung: Union wieder nach rechts rücken. Merz. Krise weg.

Verlust an Vertrauen

Nun mag im Befund ein Stück Wahrheit stecken. Fragt sich nur, warum dann die SPD noch stärker kriselt. Was ja hieße, dass SPD-Wähler zu AfD (oder Linken) gewechselt sein müssten, weil die Union zu viel SPD-Politik macht. Hä? Gaga. Die Frage ist auch, warum es gerade in allen möglichen (meist) westlichen Ländern politisch so fundamental kriselt. Die alten Mitte-Vertreter sind ja nicht nur in Deutschland politisch implodiert, sondern auch in Frankreich, Italien, den USA, Großbritannien und so weiter. Und: Weder in den USA, noch in Frankreich gab es einen Herbst 2015; und es gibt auch keine zweite italienische oder britische Angela Merkel, die dort eine konservative Partei sozialdemokratisiert hat.

Alles Zufall? Quatsch. Es gibt zunehmend Belege dafür, dass es (andere) gemeinsame Ursachen haben muss, wenn derzeit fast alle drei Monate irgendwo anders das Politsystem zu wackeln beginnt – ob via Brexit, Trump, römische Populisten, französische Gelbwesten oder AfD. Und dass das eher an Dingen liegt, die wirtschaftlich und sozial in den vergangenen Jahrzehnten schiefgelaufen sind. Und zu einem Verlust an Vertrauen darin geführt haben, dass die Politiker noch im Griff haben, was Finanzmärkte und andere Phänomene einer entglittenen Globalisierung so anstellen.

Lösungen für die, die ohnehin schon gutgestellt sind

Nur so lässt sich erklären, warum rechte Parteien überall dort besonderen Zulauf bekommen, wo es in der Vergangenheit wirtschaftliche Umbrüche gab – ob im Rust Belt in den USA oder im Osten Deutschlands. Und warum Populisten nicht nur bei Armen gewinnen, sondern auch bei Leuten aus der Mittelschicht, die heute tatsächlich schneller abzustürzen drohen als früher – vor lauter Eigenverantwortung und Abbau von öffentlichen Leistungen, Tarif- oder Arbeitsplatzschutz. Und warum es in Ländern kracht, wo nach der Finanzkrise Rentner und Angestellte weniger Geld bekamen oder mehr Steuern zahlen mussten – um (indirekt) Banken zu retten.

Weshalb nicht nur das Vertrauen in „die da oben“ schwand. Seither verfängt auf fatale Art die tumb-rhetorische Frage, warum Geld für Geflüchtete da ist, wenn das Volk vorher jahrelang verzichten musste, weil angeblich kein Geld da war (was ja nicht stimmt, wir hatten ja nur Schäuble-Pech).

Womit wir wieder bei Merz (und Schäuble) wären. Wenn all das stimmt, könnte besagtes Kalkül ziemlich daneben gehen. Klar, man kann fordern, den Soli abzuschaffen – Hurra-Idee christdemokratisch-liberaler Hoch-Ökonomie. Oder die Aktienkultur fördern wollen, wie Merz es angeregt hat (also der Mann, der für die große Firma Blackrock arbeitet, die zufällig von einer lebhaften Aktienkultur lebt). Was an dem einen oder anderen Mitbürger, der, sagen wir, unter oben genannten Problemen leidet, haarscharf vorbeigehen könnte, weil es nur denen zugutekommt, die ohnehin schon recht gut gestellt sind. Die meisten anderen haben so wenig Einkommen, dass sie ohnehin keinen Soli zahlen, und auch am Ende des Monats kein Geld übrighaben, um was mit Aktien zu machen.

Was also keine der beschriebenen Krisenursachen beheben würde.

In der Vergangenheit hängengeblieben

Der Rest klingt bei Merz ein bisschen, als wäre der Erkenntnisprozess irgendwann in der Vergangenheit hängengeblieben: Markt immer toll, Fleißige gut, Staat doof. Damals ließ sich noch schön mutmaßen, dass von den fünf Millionen Arbeitslosen – konservativer Gassenhauer – bestimmt viele zu faul sind. Das klingt gaga, wenn die Arbeitslosigkeit wie jetzt nahe Rekordtief liegt – und in der Zwischenzeit Millionen neue Jobs geschaffen wurden – und die Erkenntnis unter Experten gereift ist, dass die verbliebenen Arbeitslosen selbst mit Druck keinen Job kriegen. Da können die noch so fleißig suchen.

Das führt zu einer gruseligen Vermutung: Was Merz als wirtschaftspolitisches Ideal erkennen lässt, ähnelt jener Wirtschaftspolitik, die zur aktuellen Krise stark beigetragen hat – und könnte die nächste gleich noch beschleunigen – das einseitige Gequassel von den Leistungsträgern und der Eigenverantwortung und der schlauen Wirtschaft, die angeblich alles immer besser weiß als der blöde Staat.

Ein Gequassel, das uns desolate öffentliche Einrichtungen und Angstschübe in der Mittelschicht und teure Bankenkrisen und das freie Unternehmertum des Dieselskandals gebracht hat. Und das Gefühl, dass unsere Regierungen nichts auf die Reihe kriegen. Wie auch, wenn so viel dereguliert und globalisiert und dem heiligen Markt überlassen wurde? So, wie Leute wie Herr Merz das gepredigt haben – und, schlimmer noch, heute noch zu glauben scheinen.

So wird die Unsicherheit nur noch verstärkt

So einfach ist Wirtschaft eben doch nicht. Im Jahr zehn nach der schlimmsten Finanzkrise seit den Dreißigerjahren der Aktienkultur zu huldigen, wenn der Aktienindex Dax gerade auf Talfahrt ist, weil die Finanzwelt immer noch latent kriselt, hat etwas Bizarres. Damit wird die nächste Finanzkrise nicht unwahrscheinlicher – höchstens folgenschwerer. Und: Es wird die Absturzängste der Leute auch nicht verringern, wenn sie keinen Soli mehr zahlen – im Gegenteil – und dafür der Kündigungsschutz abgebaut wird. Um die nächsten Krisen zu verhindern, braucht es eine schlaue Neudefinition dessen, wann und wie der Staat unterstützt und innovativ wirkt. Da helfen keine Religionsbekundungen zur Heiligkeit unternehmerischen Wirkens.

Mag sein, dass der eine oder andere Konservative aus Verzückung über solche Sprüche wieder Union statt AfD wählen würde. Nur wird das wenig helfen, wenn die wirtschaftspolitischen Vorstellungen von Merz und Gleichgesinnten genau jene grassierende Unsicherheit noch verstärken, die den Aufstieg von Populisten in allen möglichen Ländern in diesen Zeiten antreibt. Dann wird es vor lauter Markt- und Eigenverantwortungsgequassel bald noch mehr Krisen und Absturzsorgen und Kontrollverlust geben.

Und dann könnte Wolfgang Schäubles Chouchou am Ende die politischen Ränder gestärkt haben. Statt die AfD zu schwächen.

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Die Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

  1. Hans-Joachim Heeg
    14. Dezember 2018 um 17:06

    Wow. Ganz deutlich die Misstände aufgezeigt. Aber das wird in einer Partei, die einstimmig die Überprüfung der Gemeinnützigkeit der Deutschen Umwelthilfe fordert, leider keiner hören wollen.
    Und so bleibt meine Überzeugung: unser (Deutschlands) eigentliches Problem sind weder Geflüchtete noch die AFD, sonder die CDU, die in den Jahrzehnten ihrer Regierungsverantwortung die meisten Menschen schon lange aus den Augen verloren hat.

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