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Thomas Fricke: „Schlanker Staat“ und „Eigenverantwortung“ – Framing für die Fleißigen

22. Februar 2019

Die ARD will ihr Image aufhübschen? Vielleicht sollte sie bei Gerhard Schröder und Anhang fragen, wie die einst dem Land die Agenda 2010 schöngeredet haben. Das wirkt bis heute. Nur nicht unbedingt gut.

Es gibt ja gerade ganz schön viel Aufregung darum, dass die ARD vor zwei Jahren eine Broschüre hat machen lassen. Darin wurde geneigten Mitarbeitern angeboten, den Sender nicht unbedingt als Staatsfunk zu bezeichnen, sondern nettere Worte zu finden. Das sei Manipulation, poltern jetzt manche. Und eigentlich Sozialismus.

Das ist jetzt argumentativ natürlich eher steil. Zumal es auch außerhalb des engeren sozialistischen Wirkungsfelds gelegentlich einen Hang gibt, Sachen sprachlich ein bisschen hübscher zu gestalten, die auf den einen oder anderen verunsichernd wirken könnten.

Wenn wir dazu mal ein Beispiel aus der jüngeren wirtschaftshistorischen Vergangenheit nehmen, das uns noch heute beschäftigt, besonders die Andrea Nahles. Also: die Agenda 2010 und ihre Nachwehen.

Die ließ rein begrifflich ja auch schon Dinge positiv wirken, die sonst nicht für jeden sofort als etwas Zukunftweisendes hätten erscheinen können – wie etwa die Verkürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld.

Hübsch klingt, wenn wir, wie uns damals nahegelegt wurde, alle zusammen dafür sorgen, dass wir einen „schlanken Staat“ kriegen. Das kommt einfach lebensfroher herüber als zu sagen, dass jedes Jahr ein Prozent Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut und Leute nach Hause geschickt werden. Gleich ein Stück netter wirkte auch, so etwas als Schritt hin zu einer „neuen sozialen Marktwirtschaft“ zu beschreiben, in der wir, nächste Glücksformel, mehr „Eigenverantwortung“ übernehmen. Himmlisch. Auch wenn das, na ja, gelegentlich etwas schnöde dadurch zum Ausdruck kam, dass wir sozusagen in eigener Verantwortung mehr für Medikamente zuzahlen mussten. Ein Hauch von Freiheit.

Wie schön, dass es nicht mehr so viel staatliche Rente gibt

Es hatte auch etwas Schönes, in die „private Altersvorsorge“ einsteigen zu dürfen – das kommt einfach besser herüber, als die Leute in das doch eher unangenehme Gefühl zu versetzen, dass es dafür halt nicht mehr so viel (staatliche) Rente gibt. Auch wenn die meisten für etwas wie den freiheitlich-privaten Kauf einer Aktie am Ende des Monats gar nicht so viel Geld überhaben.

Bei entsprechend geeigneter Sprachgebung wirkt selbst der Abbau von Kündigungsschutz wie ein Besuch in der Wellnessoase. Oder sportliche Hochleistung. Es ist eindeutig befriedigender, zur „Flexibilisierung“ des Arbeitsmarkts beitragen zu dürfen. Zumal als „Ich-AG“. Fast wie so ein richtiger Konzern.

Und wenn’s mal nicht so gut läuft, ins „Jobcenter“ zu tänzeln, statt sich wie früher aufs „Arbeitsamt“ zu bewegen. Oder den Arbeitgeber mit Klauseln zum eigenen Kündigungsschutz zu ärgern. Schlechtes Karma.

Wobei man jetzt dazu sagen muss, dass damals auch nicht alles so ganz nach Plan gelaufen ist bei der sprachlich wohlfühlenden Begleitung von Gerhard Schröders Agenda. Es war ja eigentlich nicht vorgesehen, dass Hartz IV als Hartz IV in den bundesdeutschen Sprachgebrauch eingeht. Was allein von Intonation und Assoziation her eindeutig an Leichtigkeit vermissen lässt. (Vielleicht sollte man bei der Vergabe von Kommissionsleitungsstellen künftig ein wenig darauf achten und eher einen Herrn Sonnenschein oder so nehmen.)

Nur war wohl der eigentlich vorgesehene Name – jenes wohlklingende „vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ – dann doch, was weiß ich, zu lang oder zu kompliziert. Jedenfalls setzte er sich nicht richtig durch als Begriff für die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe bei reduzierter Bezugsdauer der Leistungen auf ein Jahr.

Obwohl das natürlich viel optimistischer geklungen hätte. Und man sich auch nicht vorstellen könnte, dass Andrea Nahles bei korrekter Namensverwendung kürzlich statt „wir lassen Hartz IV hinter uns“ ausgerufen hätte, dass ihre Partei nun das „vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ hinter sich zu lassen gedenkt.

So etwas will ja keiner. Das hätte für kognitive Dissonanz gesorgt. Wer weiß, vielleicht würde die SPD Hartz IV dann gar nicht hinter sich lassen wollen.

Allzu stark sprachlich aufgehübscht

Wir sollten natürlich auch sagen, dass es umgekehrt selbst bei geglückter Begriffsverankerung gelegentlich aufzufliegen tendiert, wenn Sachen sprachlich allzu stark aufgehübscht werden – und sich mit der realen Wahrnehmung so gar nicht mehr in Einklang bringen lassen.

So haben die Deutschen sich zwar viele Jahre ganz vorbildlich um einen schlanken Staat bemüht und das vielen anderen Ländern nahegelegt, dafür jetzt aber eine kriselnde Bahn und Bundeswehr, viele Löcher in den Straßen, kein Geld mehr für Schwimmbäder, kaputte Klos in den Schulen und zu wenig Computer an den Unis. Und den einen oder anderen überkommen gelegentlich Zweifel, ob es nicht doch ein blödes Verständnis von schlank war, wenn man heute Wochen auf einen neuen Pass warten muss. Oder die Bahn nirgendwo mehr hält.

Ein bisschen aufgeflogen scheint spätestens seit der Implosion der Bankensause 2008 auch das Versprechen von der privaten Altersvorsorge als Goldlockenquelle, wonach im Grunde jeder mit Finanzgeschäften problemlos altersreich werden kann (und, ähem, auch hätte werden müssen, um den Wegfall staatlicher Rente auszugleichen). Worin übrigens auch der tiefere Grund dafür steckt, dass die Regierenden in der GroKo seit geraumer Zeit an allen Ecken und Enden die (staatliche) Rente wieder aufzubessern versuchen. War halt nix mit der Privatsause.

Reich = fleißig?

Und überhaupt scheint aufgeflogen, dass es bei der gepriesenen „Eigenverantwortung“ doch auffällig oft darum ging, Leistungen für Leute zu kürzen, die das mangels Einkommen nicht ganz so spontan als Gewinn an Eigenverantwortung einzuordnen wissen. Ging halt um Kürzungen. Davon plappert selbst die FDP nicht mehr.

Irgendwie hip ist in Sachen Sprache dafür anno 2019 gerade, von den „Fleißigen“ zu reden, wenn es um die Forderung geht, den Soli ganz und gar und nicht nur überwiegend abzuschaffen. Weil es im Land der Fleißigen natürlich Zustimmungsquoten um die 100 Prozent mit sich bringt. Wenn nicht der eine oder andere Widerborst gelegentlich darauf hinwiese, dass als Profiteure faktisch nur die gemeint sein können, die zu den paar Prozent Topverdienern im Land zählen. Die anderen zahlen den Soli entweder sowieso nicht – oder werden ohnehin nach GroKo-Beschluss schon entlastet. So geht Marketing bei fleißigen Wortgestaltern wie Meister Christian Lindner.

Sagen wir so: Es ist schön, mit kritischer Distanz das Treiben im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu begleiten. Noch schöner (und glaubwürdiger) wäre, hinsichtlich möglicher sprachlicher Manipulationen auch dann achtsam zu sein, wenn es um unsere Freude am Reformieren geht. Ganz frei und ohne Staatsfunk. Denn da hat das Land und Leuten wirklich geschadet. Bis heute.

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Die Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

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