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Thomas Fricke: Streit um Schulden – Wir dürfen unseren Kindern keine schwarze Null hinterlassen

1. März 2019

Lange galt es als höchste Staatsräson, am besten gar keine Schulden mehr zu machen. Jetzt werden Zweifel laut. Es hilft ja nichts, wenn wir unseren Kinder ein kaputtgespartes Land übergeben.

Es geschehen Zeichen und Wunder. Über Jahre galt es im Land der schwäbischen Hausfrau als ökonomisch überaus weise, so wundersame Sachen zu sagen wie: Man darf nicht mehr ausgeben, als man einnimmt. Als hätte irgendwer außer ein paar außerordentlich Betuchten bei strikter Einhaltung dieses Gebots je ein Haus oder Auto kaufen können, geschweige denn eine Kneipe oder einen Softwareanbieter eröffnen.

Da konnten Staatsschulden nicht schnell genug gesenkt werden. Mussten umstritten-komplizierte Schuldenbremsen gleich in Verfassungsrang versetzt werden. Da galt als Leitsatz, dass eigentlich alles, was der Staat macht, auch andere machen können – besser. Und befanden deutsche Lehrmeister, sobald ihnen ein Grieche, Italiener oder Franzose über den Weg lief, wie wenig die zu dieser deutschen Stabilitätskultur passten.

Und jetzt? Kommen Zweifel auf. Ist zu lesen, dass es mit dem Schuldenabbau auch mal gut sein müsse. Sagen selbst konservativ geneigte Wirtschaftsexperten wie der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, dass etwa die Schuldenbremse dazu beitrage, Investitionen und Steuersenkungen zu verhindern. Während der Chef des Münchner Ifo-Instituts Clemens Fuest sagt, dass es keinen Sinn ergebe, die Schuldenquote weiter zu senken.

Wie kann das sein? Sind Schulden plötzlich toll? Quatsch. Schulden sind weder per se gut, noch per se schlecht. Es kommt darauf an, was man mit dem Geld macht, das man sich ausleiht – und was man, umgekehrt, ohne Kredit nicht macht.

Was wiederum für den Etat eines ganzen Staates von deutschem Ausmaß mitsamt seinen Auswirkungen auf heutige Jobs und künftige Lebensverhältnisse noch sehr viel mehr gilt als für Tante Ernas Küchenkasse. Und weshalb auch eine schwarze Null nicht per se gut ist.

Das Land bekommt gerade an allen Ecken und Enden zu spüren, was ein falsch verstandener Schwarze-Null-Eifer an Desastern hinterlassen kann – auch für die viel bemühten Kinder, die wenig davon haben, dass der Herr Finanzminister im Fiskaljahr 2019 wieder mal eine schöne schwarze Null hatte, wenn ihnen im Gegenzug dafür kaputtgesparte Schulen oder, schlimmer noch, ein Smartphone-Empfang auf dem Niveau ihrer Eltern hinterlassen wird.

Gut für die Zukunft?

Fragen Sie zum Gegencheck einfach mal die vierzehnjährige Tochter, was ihr lieber ist: dass der Bundesetat im laufenden Haushalt ausgeglichen ist – oder WLAN? Sehen Sie?

Zur viel gelobten schwarzen Null hat auch geführt, dass über zwei Jahrzehnte fast Jahr für Jahr Personal im öffentlichen Dienst abgebaut wurde; oder Investitionen immer wieder gekürzt wurden. Ist das jetzt gut? Gut für die Zukunft?

Wenn Politiker heute klagen, der Staat könne gar nicht so viel mehr investieren, weil Ämtern und Baufirmen die Kapazitäten fehlen, dann ist das richtig, liegt aber auch daran, dass einfach in den Jahren davor so heillos gekürzt wurde – um Schulden abzubauen. Zu den Kollateralschäden eifriger Schuldenbegrenzung zählt, dass Schulen heute die Lehrer fehlen – auch weil mal als toll galt, Lehrer gar nicht mehr zu verbeamten (um, klar, Schulden abzubauen). Oder Kita-Kräfte so mies bezahlt werden, dass das eigentlich auch keinem mehr zuzumuten ist (weshalb auch da die Leute fehlen). Oder dass S-Bahnen zu Unternehmungen mit Lotteriecharakter geworden sind. Oder Minister mit ollen Maschinen in Afrika hängen bleiben. Oder die Deutsche Bahn mittlerweile einräumen muss, dass sie doch nach all dem Kürzen in der Vergangenheit einfach wieder mehr Leute braucht. Während in Kirchmöser der Bahnhof nur noch als Ruine dasteht. Oder dass es auf dem Dorf keine Post mehr gibt.

Kleine bis große Desaster

Wir haben die weltweit herausragende schwarze Dauer-Null. Nur fehlt dafür Geld, um das viel zitierte Breitbandnetz in Deutschland auszubauen – die Sache mit dem Empfang. Oder um endlich den großen Sprung in die Elektromobilität hinzukriegen – was auch daran scheitert, dass nicht genug Geld in ein großes Netz an E-Tankstellen gesteckt wird. Oder darein, dass öffentliche Verkehrsbetriebe sich mehr (teurere) Elektrobusse leisten können. Oder in Forschungsförderung.

All das sind keine kleinen Unannehmlichkeiten, die sich noch heroisch als nötige Opfer heutiger zugunsten künftiger Generationen verkaufen lassen. Es sind kleine bis große Desaster, deren Auswüchse genau diese künftigen Generationen zu belasten drohen. Was hilft es, Ausgaben, sagen wir: bei der Bahn zu bremsen – wenn dadurch die Wahrscheinlichkeit künftiger Klimaschocks steigt, deren Folgen und Behebung für unsere Kinder sehr viel teurer würden? Oder Investitionen in E-Tankstellen zurückzuhalten, wenn das die Gefahr erhöht, dass Deutschlands Autoindustrie irgendwann angesichts der staatlich gepuschten Konkurrenz aus China kollabiert; dann kann es sein, dass die nächste Generation die Folgen auskurieren muss – eine tiefe Krise der Industrie.

Die Logik lässt sich noch weiter spannen. Was haben die großen Kürzungen in den Sozialetats geholfen, wenn das so viel Unmut auslöst, dass die GroKo seit Jahren heillos versucht, die Schäden wieder auszugleichen – und die Sozialbudgets damit wieder hochtreibt? Und wenn das zur Steilvorlage für rechte Populisten geworden ist, die damit Stimmung machen, dass die „eigenen“ Leute so geschunden sind, während Flüchtlinge angeblich all unser schönes Geld kriegen. Auch ein Kollateralschaden falsch angewandter Sparpolitik.

Womit wir wieder bei der eigentlich entscheidenden Frage sind – nach den guten und den schlechten Schulden. Und wie sich herausfinden und bestimmen lässt, für welche Ausgaben und Investitionen es sich lohnt, im Zweifel auch mal Schulden aufzunehmen – und für welche nicht. Zumal in Zeiten niedriger Zinsen. Weil womöglich absehbar ist, dass die Finanzierungskosten von heute durch mehr Wirtschaftsleistung und Wohlstand und (dadurch auch) öffentliche Einnahmen in ein paar Jahren gedeckt sind.

Tragisch-romantische Gaga-Sprüche deutscher Stabilitätsprosa

Das lässt sich eben nicht daran messen, was es heute kostet – also ob es nun die schöne schwarze Null hier und heute gefährdet; sondern daran, ob es eine gute Investition ist, um künftige Krisen zu vermeiden, neuen Wohlstand zu schaffen – oder gar den Kollaps liberaler Demokratien zu verhindern, wie er in manchem Land droht. Davon haben die nächsten Generationen sehr viel mehr als von irgendwas mit schwäbischer Hausfrau.

Es gehört zu den tragisch-romantischen Sprüchen deutscher Stabilitätsprosa, dass es furchtbar ist, wenn wir heute Schulden machen – weil unsere armen Kinder das irgendwann mal zurückzahlen müssen. Die Wahrheit ist: Erstens müssen die überhaupt nicht alle Schulden zurückzahlen. Und zweitens könnte es sein, dass es sonst einmal sehr viel mehr Schulden sein werden – wenn wir hier und jetzt nicht eine ganze Menge mehr Geld in bessere Schulen, Unis, neue Verkehrssysteme, eine fittere Verwaltung, den Abbau von Reichtumsgefälle, zuverlässige Ministerflugzeuge oder die künftige Sicherung unserer lieben Autokonzerne stecken. Oder bald einen Plan haben, die nächste Rezession zu verhindern – mit ähnlichen Mitteln.

Schuldenmachen ist kein Selbstzweck. Und es lässt sich in öffentlichen Haushalten sicher auch immer noch etwas mit guten Gründen kürzen. Der beste Weg dahin wäre nur, heute mehr und nicht weniger zu investieren. Dann braucht es künftig auch weniger statt mehr Geld, um das eine oder andere Desaster zu beheben, was wir heute noch verhindern können. Der Schuldenabbau von heute ergibt keinen Sinn, wenn er die Probleme von morgen schafft. Höchste Zeit, dass Deutschland aus dem Schwäbische-Hausfrauen-Albtraum aufwacht.

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Die Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

  1. K.-J. Mathes
    6. März 2019 um 19:03

    Hallo Herr Fricke,
    haben Sie das folgende Zitat ernst gemeint?
    „Fragen Sie zum Gegencheck einfach mal die vierzehnjährige Tochter, was ihr lieber ist: dass der Bundesetat im laufenden Haushalt ausgeglichen ist – oder WLAN? Sehen Sie?“
    Fragen Sie mal einen 14-jährigen was ihm lieber wäre, mit 18 einen PS-Boliden oder mit 65 eine Rente. Auch da werden Sie keine weitsichtige Antwort bekommen. Die Frage ist doch nicht, ob wir nicht investieren. Die Frage ist doch eher, ob wir mit weniger Schulden nicht mehr investieren könnten. Zinsen sind immer eine Umverteilung des Geldes von unten nach oben. Halten Sie das für clever? Ich denke, Schuldenabbau ja (auch ein Start-up muss irgendwann der Bank das Geld wiedergeben) und die gesparten Zinsen investieren. Die Schulden sind mit Masse in einer Hochzinsphase gemacht. Da gibt es ne Menge zu investieren.
    Mit freundlichen Grüßen
    Karl-Josef Mathes

  2. erwin
    4. März 2019 um 15:33

    „Womit wir wieder bei der eigentlich entscheidenden Frage sind – nach den guten und den schlechten Schulden“
    Zweifellos eine wichtige Frage – wichtiger ist aber die Frage nach den gesamten Steuereinnahmen: Wenn wir Steuersätze wie zu Helmut Kohls Zeiten hätten, wäre beides möglich: Entschuldung und Investition.
    Wenn man dann noch dafür sorgen würde, dass die Amazons, Googles, Apples und auch Deutsche Großkonzerne angemessene Steuern zahlen würde, wäre alles gut.
    Insofern geht der Artikel am Grundproblem vorbei.

  3. Hans Matthias
    3. März 2019 um 15:28

    Wenn es so einfach wäre: Das nächste Mal heißt es von der jungen Generation, warum sollen wir für die Schulden unserer Eltern aufkommen??
    Und das zweite Problem: Wer definiert, was gute Schulden/schuldenfinanzierte Investitionen sind…?

    Das Problem ist doch, dass Politiker nur Wohltaten verteilen, statt sinnvoll zu investieren.

  4. Nisi
    2. März 2019 um 13:10

    Thomas Fricke: Streit um Schulden – Wir dürfen unseren Kindern keine schwarze Null hinterlassen.

    Herr Fricke spricht von der schwäbischen Hausfrau !
    Die schwäbischen Hausfrau spricht vom sparen, indem weniger ausgibt als man zur Verfügung hat. Das heißt sie einen danach positiven Restbetrag.

    Der Politiker spricht schon vom sparen in dem er weniger Schulden macht, wie vorgesehen.

    Resultat einen negativen Restbetrag ! In vor von erneuten Schulden.

    Man kann erkennen das der Begriff Sparen zum teil widersinnig verwendet wird.

    Versuchen Sie es mal mit den Ausdruck Austerität (deutsch ‚Herbheit, Ernst, Strenge‘) bedeutet „Disziplin“, „Entbehrung“ oder „Sparsamkeit“.
    auseinander zu setzen.

    Ein Bauer kann im Grunde nur das Verzehren was er geerntet hat, es sei er bestiehlt
    jemand oder fließt das Saatgetreide auf . Was folgt ist der Zusammenbruch seiner Wirtschaft.

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