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Thomas Fricke: Größtes US-Handelsdefizit seit zehn Jahren – Riskante deutsche Häme

8. März 2019

Dass Amerikas Handelsdefizit weiter wächst, brachte dem US-Präsidenten viel Spott ein. Auch aus Deutschland. Dabei sollten gerade die Deutschen gewarnt sein, wie schnell der Zoll-Rosenkrieg die Wirtschaft treffen kann.

Seit mehr als einem Jahr müht sich Amerikas großer Staatslenker darum, dass Unternehmen aus anderen Länder nicht mehr so viele Waren in Amerika verkaufen, zumindest nicht mehr, als US-Firmen selbst im Rest der Welt. Damit endlich dieses Handelsdefizit kleiner wird, das die USA vor allem mit den fiesen Chinesen und den gemeinen Deutschen haben. Und weshalb Donald Trump vergangenes Frühjahr zur Abschreckung alle möglichen Zölle zumindest schon mal auf chinesische Importe nach Amerika verhängen ließ.

Umso größer war diese Woche der Spott, als die Statistiker brav meldeten, dass Amerikas besagtes Defizit 2018 nicht wirklich viel kleiner, sondern, na ja, in Wahrheit eigentlich größer geworden ist. Viel größer.

„Haben wir’s Dir nicht gesagt?“, twitterte daraufhin Gabriel Felbermayr, der neue Chef vom Kieler Institut für Weltwirtschaft und offenbar ein Duzfreund des US-Präsidenten. Bei einer größeren deutschen Wirtschaftszeitung war zu lesen, das sei jetzt „getrost“ mal als Lehrgeld für Trump zu sehen. Bätsch.

Möglich. Ob nur Duz-Lehrsprüche aus Germany die angemessene Reaktion auf das sicher noch etwas ausbaufähige Ökonomieverständnis des US-Präsidenten sind? Nicht sicher. Bei näherem Hinsehen sollte das, was die US-Jahresabschlussdaten offenbaren, gerade die Deutschen eher schaudern lassen – angesichts des Tempos, mit dem seit Beginn des Zollstraf-Hakelns der US-Teil des Handels kollabiert ist. Das könnte auch hier bald dramatische Folgen haben.

Das war anders gedacht

Gewollt hatte Trump natürlich etwas anderes: Die Zölle auf chinesische Waren sollten dazu führen, dass die so teuer werden, dass kein Amerikaner den Ramsch noch kauft und dafür US-Produkte vorzieht. Und das sollte Jobs im Land sichern. Tolle Idee.

  • Nur haben eben, erstens, die Chinesen daraufhin gesagt: So nicht, jetzt gibt es auch von unserer Seite Extrazölle.
  • Und zweitens hat Trump just 2018 so viele Dollar ans Volk verteilt, dass die Amerikaner mit dem ganzen schönen Geld wieder chinesischen Ramsch kauften.
  • Und drittens wurde mittels all der Zölle auch das teurer, was US-Firmen an chinesischen Produkten brauchen, um sie zu Waren zu verarbeiten, die sie exportieren. Und diese waren damit plötzlich auch teurer. So was Blödes aber auch.

Dass das keinem hilft, hatten Ökonomen wie Donalds Duzfreund Gabriel in der Tat schon damals prophezeit. Was jetzt herausgekommen ist, ist nur noch verrückter. Nicht nur, dass das US-Handelsdefizit 2018 alles in allem so auf 621 Milliarden Dollar stieg – ein Zehn-Jahres-Hoch.

Noch spektakulärer ist, was aus den Details der Statistik zum Export zu lesen ist: Was die Amerikaner nach China verkaufen, begann mit Einsetzen des Zoll-Catchens im Frühjahr zu kollabieren. Ende des Jahres lagen die US-Exporte ins Reich des Handelsbösen um sage und schreibe 34 Prozent niedriger als noch ein Jahr zuvor – während Chinas Verkäufe in die USA das Niveau in etwa halten konnten. Trotz der Trump-Strafen.

                       America first – Amerika stürzt zuerst ab
                       Außenhandel der USA mit China, Veränderung gegenüber Vorjahr in %
Will heißen: Der Zollstreit hat Amerikas Exportindustrie weit dramatischer getroffen als die Chinesen. Das dürfte auch ein wenig daran liegen, dass zugleich der Dollar aufgewertet hat – und US-Produkte im Ausland automatisch zusätzlich teurer wurden.

Doch stärker verflochten, als manche vielleicht dachten

Wichtiger könnte als Erklärung sein, dass die Chinesen einfach effizienter im Handelskrieg sind. Und vor allem, dass die Amerikaner gerade zu spüren bekommen, wie stark selbst ihre Wirtschaft heute international verflochten ist – und wie schnell Handelskämpfe daher ganze Lieferketten auseinanderbrechen lassen. Womit wir wieder bei den Lehren für uns Deutsche sind.

Deutschlands Exportwirtschaft mag in der einen oder anderen Hinsicht solider aufgestellt sein – besser spezialisiert und daher weniger abhängig von Preis und Kosten. Und die eine oder andere hiesige Firma dürfte derzeit sogar davon profitieren, dass die Chinesen das eine oder andere Produkt jetzt von uns, statt von den Amerikanern kaufen.

Damit wäre es allerdings vorbei, wenn es doch noch zur Eskalation zwischen Europäern und Trump kommt. Und dann könnte für die Deutschen rasch umso gravierender wirken, dass die Industrie noch viel stärker global verflochten ist – und ein viel höherer Teil der Wirtschaftsleistung am Export hängt. Deutschlands Autokonzerne machen heute mehr als ein Drittel ihres Gesamtabsatzes in China.

Die Polit-Turbulenzen in Europa wie in Amerika haben schon gereicht, um die deutsche Industrieproduktion seit Monaten schrumpfen zu lassen. Ein Warnsignal.

Wie schnell ein eskalierender Handelsstreit zum Kollaps der Geschäfte führen kann, lassen die jüngsten US-Exporteinbrüche erahnen. Und: Die USA und China sind heute Deutschlands wichtigste Handelspartner.

Möglich, dass Trump den einen oder anderen Berater noch um sich hat, dem auch aufgefallen ist, wie viel dramatischer die Rumtata-Strategie des Präsidenten auf die eigenen Exportfirmen wirkt – statt auf die chinesischen. Dann könnte es vielleicht doch bald zur Entspannung im Handelsstreit mit China kommen.

Könnte aber auch sein, dass es genau das Gegenteil bewirkt. Zumal seit Kurzem Trumps Drohung im Raum steht, als Nächstes doch die europäische und vor allem deutsche Industrie zum (Handels-)Kriegsgebiet zu erklären. Gut möglich, dass das bisherige Desaster für den US-Export nur dazu führt, dass Trump bald noch mehr gegen das Böse bei uns kämpft.

Sagen wir so: Gerade weil es nach aller Erfahrung nicht so ganz einfach ist, die Gedankengänge des derzeitigen US-Präsidenten zu verfolgen, wäre es fahrlässig, es drauf ankommen zu lassen.

Die wohl bessere Strategie

Die Ökonomen des Industrieländerclubs OECD haben angesichts international abstürzender Konjunkturdaten diese Woche gefordert, dass in Europa jene Länder zu einem Investitionsprogramm ansetzen, die es sich dank überschüssiger Etats leisten können. Also wir zum Beispiel.

Gut möglich, dass das für uns ohnehin die bessere Strategie ist: Wenn es dank solcher Hilfen konjunkturell wieder besser läuft, werden die Europäer ganz automatisch auch mehr aus dem Land des in besagter Handelsbilanzsache bislang etwas, sagen wir, unglücklich agierenden Präsidenten kaufen.

Und dann muss auch keiner mehr darüber spotten, wie der Donald seine Ziele verfehlt. So viel Lehrmeisterei kommt ohnehin aus einem Land nicht so gut, in dem es immer noch als Ausweis ökonomischer Kompetenz gilt, es gut zu finden, den Rest der Welt mit Waren „Made in Germany“ zu fluten – ohne dort nur ansatzweise so viel Geld auszugeben. Angela, wir haben’s Dir gesagt!

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Die Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

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