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Thomas Fricke: Europawahl – Schöner kriseln mit CDU und CSU

30. März 2019

Manfred Weber will EU-Chef werden. Seine Partei, die Union, wünscht sich besonders strenge Euro-Regeln. Doch ihr Plan wird Europa in der nächsten Krise nicht stabilisieren, sondern zerreißen.

Als die zuständigen Politiker diese Woche vorstellten, was sie den deutschen Wählern zur Europawahl so vorschlagen, war viel zu lesen darüber, dass jetzt ja erstmals die CDU mit der CSU zusammen Programm macht. Wahnsinn.

Etwas untergegangen ist vor lauter Kuschelambiente nur, was drinsteht. Dabei haben es die Versprechen in sich, zumindest, was die Passagen dazu angeht, wie es künftig mit dem Euro weitergehen soll: So, wie es in den Bibelausgaben hiesiger Ordnungsapostel mal vorgesehen war.

Als hätten globale Bankenkrisen und Eurodesaster nicht einiges in den vergangenen Jahren ad absurdum geführt, was die Deutschen da lange gepredigt haben. Nicht schlimm, könnte man sagen, wenn es von irgendeiner Dingsda-Partei käme. Es steht nur jetzt im Programm von der Partei, die mit Manfred Weber ganz gern den künftigen EU-Kommissionspräsidenten stellen würde. Und vielleicht auch wird.

Falsche Krisenanalyse

Wenn Herr Weber und seine CDU/CSU das ernst meinen, dürfte Europa bei der nächsten Krise in einem historischen Crash kollabieren.

Klar, hält sich der Glaube hierzulande nicht nur bei der Union wacker, wonach an der Krise im Grunde nur schludernde Südländer schuld sind – und dass die einfach gezüchtigt werden müssen (wofür wir zwischenzeitlich den Schäuble hatten). Die Frage ist nur, ob das als Grunddiagnose taugt.

Was unter Experten international und zunehmend auch in Deutschland als unumstritten gilt, klingt anders. Danach…

  • …waren es gar nicht so sehr die Staatsschulden, die den Kern des Desasters ausmachten, sonst hätten ja Irland und Spanien nicht kriseln dürfen, da beide zuvor sogar Überschüsse im laufenden Haushalt hatten. Die Staatsschulden schnellten oft erst als Folge der Krise hoch, weil Banken und Konjunktur gerettet werden mussten.
  • …wurde ein Großteil der Probleme durch heiß laufende Immobilienmärkte und verspekulierte Banken ausgelöst – nicht nur in der Eurozone, sondern in aller Welt.
  • …hat sich die Eurokrise vor allem deshalb derart verselbstständigt, weil das gesamte Bankensystem seit dem großen Crash von 2008 systemisch latent kriselte – und zappelige Finanzmarktakteure seither reflexartig in sichere Anlagen flohen.
  • …breitet sich solche Panik in Zeiten andauernder Zweifel an der Stabilität des gesamten Geldsystems rasch von einem Land aufs nächste aus, bis – wie 2011/12 – selbst stabilitätspolitisch so-gut-wie-deutsche Länder wie Österreich und die Niederlande unter Druck gerieten, vor allem aber Spanien und Italien, obwohl die Fundamentaldaten dort gar keinen Anlass für Staatspleiteängste gaben.
  • …war es ein dramatischer Fehler, den Krisenländern mitten in solcher Panik drastische Programme zur Kürzung von Ausgaben oder Erhöhung von Steuern aufzudrücken – weil es die Wirtschaft nur noch mehr geschwächt, konjunkturbedingt noch weniger Einnahmen für den Staat gebracht, und die Etats mehr ruiniert als zu sanieren geholfen hat.
  • … ist es auf Dauer eine schlechte Idee, wenn, sagen wir: deutsche Finanzminister Druck auf gewählte Politiker anderer Länder ausüben (lassen), damit die Sachen umsetzen, die alles nur schlimmer machen – ohne sich dafür vor den Leuten in, sagen wir: Griechenland oder Italien rechtfertigen zu müssen.

Wenn all das stimmt, ergibt sich logisch einigermaßen zwingend, was nötig wäre, um neue und noch größere Eurodramen zu verhindern:

  • Weniger manisch auf Staatsschulden gucken – und mehr darauf, wie Banken und Private schludern (wobei gerade ja eher ein, zwei deutsche Bankhäuser auffällig geworden sind – na sowas) oder was an den Immobilienmärkten überdreht (wie derzeit bei uns).
  • Gegen zappelige Finanzjongleure einen Stoppmechanismus setzen, um Panikwellen gar nicht erst aufkommen zu lassen, so wie man das, als Lehre aus tausend Bankenkrisen, mit der Einlagensicherung in allen modernen Ländern macht. Und wie das Mario Draghi de facto dann (erst) 2012 erfolgreich umgesetzt hat, als er deklarierte, im Zweifel alles an Anleihen aufzukaufen, um den Euro zu retten.
  • Gegen eine Ansteckung von Land zu Land gemeinsame Sicherungen entwickeln, die angegriffene Länder davor schützen, zum Opfer solcher Paniken und Spekulationsattacken zu werden. Was für gemeinsame Staatsanleihen spricht, bei denen alle von der hohen Glaubwürdigkeit des großen Ganzen profitieren – selbst Länder wie Deutschland. Deren Anleihen gelten zwar auch so als sicher, trotzdem haben sie ebenfalls etwas von der Clubsicherung, weil dann wichtige Handelspartner nicht so schnell in Krisen stürzen.
  • Gegen Austeritäts-Spiralen Notpläne erlauben – die es Regierungen in solcher Lage etwa ermöglichen, von allzu starren Zielen fürs Staatsdefizit sachte abzuweichen. Was auch für die Idee eines gemeinsamen Finanzministers der Eurozone spricht, der so etwas koordinieren müsste. Es spricht auch für die Idee einer europäischen Arbeitslosenversicherung, bei der aus einem gemeinsamen Topf Geld zur Verfügung gestellt würde, um etwa bei panikbedingt steigender Arbeitslosigkeit die Kosten (vorübergehend) aufzufangen.

Wie aus einer kuriosen Parallelwelt wirkt dagegen, was CDU und CSU unbekümmert vorschlagen, als gäbe es all die Lehren aus der Krise nicht:

  • keine gemeinsamen Anleihen, die vor der nächsten Panik schützen könnten;
  • keine Notenbank, die in der Not Staatsanleihen kauft, um die Währung zu retten;
  • keine Flexibilität bei der Einhaltung jährlicher Staatsdefizitziele, wie sie nötig wäre, um Rezessionen nicht zu verschlimmern – so wie es im Falle Spaniens seit 2014 schon prima gewirkt hat -, dafür mehr Sanktionen;
  • keine Euro-Arbeitslosenversicherung, die schon in der nächsten Krise den Deutschen als erstes helfen könnte, wenn die derzeitige Rezession der Industrie nicht bald gestoppt wird und die Arbeitslosigkeit dann stärker zu steigen droht als anderswo;
  • keinen europäischen Finanzminister, der in Krisen dafür sorgen könnte, dass sich die Europäer nicht wieder durch gegenseitiges Schlechtmachen ruinieren;
  • keine Bestandsgarantie für Staatsanleihen als Sicherungsmittel – im Gegenteil: eine Insolvenzordnung für Staaten, die Finanzjongleure nur noch mehr Anlass geben könnte, auf Pleiten zu spekulieren;
  • dafür aber eine Gewähr, dass deutsche Abgeordnete künftig per se mitentscheiden, was die Regierungen anderer Länder ihrem Volk an Rettungspaketen in der Krise zumuten.

Es gibt zwei Möglichkeiten: entweder die Parteivertreter des möglichen künftigen EU-Oberhaupts meinen das Ernst. Dann würde bei der nächsten Eurokrise mangels klarer Stoppregel die Panik an den Finanzmärkten eskalieren, bis solide Länder unter Druck geraten. Dann würden reihenweise Länder in Rezessionen griechischen Ausmaßes schlittern, weil sie trotz dramatischer Krisenausfälle in den öffentlichen Etats versuchen müssten, ihre Defizitziele mit immer neuen Kürzungen und Steuern einzuhalten. Was auch die deutsche Wirtschaft früher oder später in den Krisensog geraten lassen würde, weil es dann auf allen Absatzmärkten kriselt.

Oder die meinen das nicht wirklich so. Dann erzählen sie dem Wähler etwas, was sich früher oder später als, der Trump würde sagen, Fake erweist. Das ist in der aktuell etwas angespannten Lage der Volksparteien auch nicht zielführend.

Die Neunziger sind vorbei

Die Zeiten haben sich nun einmal gewandelt. Als der Maastricht-Vertrag Anfang der Neunzigerjahre beschlossen wurde, herrschte noch die naive Vorstellung, dass Finanzmärkte immer tolle Sachen machen. Dass es systemische Krisen in einer so deregulierten Mega-Bankenwelt gar nicht mehr geben kann. Dass es immer gut ist, wenn der Staat Ausgaben kürzt. Und dass Austerität der Wirtschaft guttut. Die Hochzeit des ultramarktliberalen Träumens.

Weshalb damals auch niemand auf die Idee kam, im Vertrag vorzusehen, dass die Notenbank auch mal als Retterin in letzter Not eingreifen können muss; stattdessen eine No-Bailout-Klausel, wonach kein Staat gerettet werden darf – in einer Welt instabil-labiler Finanzmärkte kompletter Irrsinn.

Und weshalb es als schick galt, den Regierungen via Stabilitätspakt das exakte Einhalten jährlicher Defizit-Punktziele aufzuerlegen – egal wie und wann. Ein altorthodoxer Glaubenssatz, der sich mittlerweile ebenfalls als Quatsch herausgestellt hat.

Es hilft ja nichts, überholten Regeln nachzuweinen. Wäre gut, wenn sich das auch in Wahlprogrammen von Parteien ein bisschen spiegeln würde, die möglicherweise bald den EU-Oberguru stellen.

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Die Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

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