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Thomas Fricke: Immobilienkrise – Was wirklich gegen die Wohnungsnot hilft

5. April 2019

Mieten und Hauspreise steigen – was tun? Die einen wollen enteignen, die anderen mehr bauen. Dabei ist beides als Lösung abwegig, solange Märkte versagen und Banken eifrig Immobilienblasen fördern.

Da sollen die Berliner dieses Jahr schön 30 Jahre Mauerfall und das Ende des Sozialismus feiern – und was tun sie? Stimmen darüber ab, ob mal wieder etwas enteignet werden soll.

Nun mag das historisch betrachtet etwas eigensinnig wirken. Richtig ist nur, dass die Leute durchaus einen Punkt haben, die Wohnkonzerne in Gemeinwohlfirmen verzaubern wollen: Es könnte sich als ziemlich naiv erweisen, steigende Mieten und Hauspreise zu bekämpfen, indem mal eben ganz fleißig neue Häusle gebaut werden – wie es derzeit allgemein favorisiert wird.

Wenn sich (bald) nur noch Mogule leisten können, in den Zentren von Metropolen zu leben, ist das ja nicht nur ein vorübergehendes Problem überlasteter deutscher Gewerke, sondern Teil eines globalen Dramas. Und eine Fehlentwicklung, bei der sich gegenseitig verstärkt, dass Märkte in Wahrheit kläglich versagen, wenn es ums Wohnen in gefragten Lagen geht – und Banken genau das nutzen, um in entrückter Finanzwelt de factoden Immobilienluxustrend zu befördern. Dagegen hilft dann auch kein Richtfestreigen.

Kräftig gestiegen sind vor allem die Bodenpreise

Fakt ist, dass seit Mitte der Neunzigerjahre fast überall in den Metropolen der Welt Hauspreise und Mieten irre gestiegen sind – am krassesten in London, Paris, Manhattan, Genf und Hongkong, wo man für 1500 US-Dollar monatlicher Miete gerade noch 25 bis 30 Quadratmeter Wohnung bekommt. In New York müssen Mieter im Schnitt mittlerweile fast die Hälfte ihres Einkommens für das geliehene Dach überm Kopf aufwenden – im Jahr 2000 war es ein Viertel. Ähnliches gilt für die Kaufpreise, die im Schnitt der wichtigsten entwickelten Länder seit 1990 um rund 50 Prozentpunkte schneller gestiegen sind als die allgemeinen Lebenshaltungskosten, wie eine Forschergruppe um den Bonner Ökonom Moritz Schularick errechnete.

All das kann kaum damit zu tun haben, dass überall gerade mal zu wenig gebaut wird, weil, was weiß ich, die Bürokratie doof ist, wie das in Berlin womöglich gelegentlich vorkommt.

Luxuspreise sind das Ergebnis

Wenn Immobilien in attraktiven Städten so viel teurer geworden sind, liegt das Schätzungen zufolge zu 80 Prozent daran, dass die Bodenpreise gestiegen sind – und weniger daran, dass die Wohnungen an sich irgendwie wertvoller ausgestattet sind.

Das macht einen großen Unterschied und stützt die Vermutung, dass dahinter ein grundlegendes Dilemma steckt. Weil Boden – anders als Brötchen oder Autos – nicht vermehrbar ist, klappt eine marktwirtschaftliche Grundregel nicht so richtig: Wenn die Nachfrage nach Wohnungsraum steigt, müsste nach Lehrbuch das Angebot nachziehen – kann es aber immer weniger, wenn Städte wie Paris oder Tokio ohnehin schon zugebaut sind. Dann bleibt nur: dass die Preise steigen. Ergebnis: Luxuspreise. Voilà Desaster.

Warum das gerade heute zu einem solchen Drama geworden ist, versucht der britische Ökonom Josh Ryan-Collins in einem beeindruckenden Buch aufzulösen, Titel: „Why can’t you afford a home?“ Danach spielen weniger einzelne Immobilienkonzerne als vielmehr die Banken eine entscheidende Rolle – und es gibt seit den Neunzigerjahren ein ziemlich tückisches Wechselspiel.

Früher waren es vor allem Spezialbanken, die – streng reguliert – Hauskredite vergaben. Das habe sich durch die Deregulierung seit den Zeiten von Margaret Thatcher und Ronald Reagan drastisch geändert, so Ryan-Collins. Was alle möglichen Banken nutzten, um immer mehr Immobilienkredite zu vergeben. Gerade weil, dank Marktversagen, das Häusergeschäft überdurchschnittlich steigende Preise und Erträge verspricht – und in Normalzeiten entsprechend solvente Kreditkundschaft.

Kreditvergabe treibt Preise noch weiter

Eine Wunderschaukel: Je attraktiver und sicherer dank Luxuspreistrend die Vergabe von Krediten für Immobilien erschien, desto mehr solche Kredite wurden angeboten, was noch mehr Nachfrage nach Häusern schuf und damit die Preise noch weiter trieb. Und die Kredite. Und so weiter. Toll. Wenn nicht Immobilienblasen gelegentlich auch mal platzten.

Für die These spricht, dass seit just den Neunzigerjahren nicht nur Immobilienpreise, sondern auch die Kredite für Immobilien atemberaubend gestiegen sind, wie Schularick in historischen Auswertungen ermittelte. „Beides hängt ganz klar zusammen“, so Ryan-Collins. Sprich: ohne Bankensause womöglich auch keine Wohnkostenkrise. Noch vor zwanzig Jahren machten Immobilienkredite 40 Prozent der Wirtschaftsleistung in den entwickelten Volkswirtschaften aus – heute seien es 70 Prozent.

Ein Zeitenwandel, der kaum wahrgenommen wurde. Nicht nur in der besonders stark deregulierten angelsächsischen Welt. Etwa die Hälfte des Geldes, das die freundlichen Berater der Deutschen Bank in den vergangenen Jahren verliehen haben, war für den Kauf von Immobilien bestimmt, so Schularick. Da bekommt der Begriff von der Hausbank eine ganz neue Bedeutung. Mit drastischen Folgen.

Wenn Immobilienblasen doch mal platzen

Die Tücke liegt nicht nur darin, dass das Ganze für Normalsterbliche ohne (geerbten) Immobilienbesitz zunehmend fatal wirkt – und nur die profitieren, die schon viel besitzen. Zum großen (Banken-)Drama wird es, wenn Immobilienblasen doch mal platzen. Wie 2008, als für etliche Banken bei fallenden Preisen das Geschäftsmodell kollabierte und Häuslebesitzer pleitegingen. Worauf Jahrhundertfinanzkrise und große Rezession folgten.

Die Vermengung von Finanzsphäre und Wohnzimmer wirkt auch so für den Wohlstand tückisch: Wenn es für Banken attraktiver ist, Geld zu verleihen, um damit Immobilien(-blasen) zu befördern, als es beispielsweise mutigen Unternehmen zu leihen, die es in die Entwicklung von Zukunftstechnologien stecken. Die Immosause macht Banken und Besitzer reich, das Land aber weder produktiver, noch wettbewerbsfähiger, noch sonst wie für die Zukunft besser gewappnet. Im Gegenteil. Wie Studien ergaben, wachsen Länder eher schwach, in denen besonders viele Kredite für Immobilien gemacht werden.

Wenn das stimmt, dürfte eine der größten Herausforderungen unserer Zeit bald darin liegen, die Wechselwirkung zwischen Finanzzauber und Wohnungsnot zu brechen – und dabei Radikaleres anzusteuern als den Bau neuer Wohnungen.

Logische Antworten

Was also tun? Wie Ryan-Collins darlegt, sprechen etliche Studien dafür, dass das Abdriften der Banken ins Immogeschäft in wirtschaftsliberalen Hoch-Zeiten begann, als alle möglichen Regeln für die Banken gelockert wurden – und es einfacher wurde, über Hypotheken und Verbriefungen noch mehr mit dem Hausgeschäft zu spekulieren. Das umzukehren, könne Teil der Antwort sein. Etwa, indem es für Geschäftsbanken wieder schwerer werde, wackelige Immobilienkredite zu vergeben. Oder dass Banken einen Teil der Risiken bei der Kreditvergabe mittrügen, indem sie bis zur Rückzahlung formal Miteigner seien.

Noch konsequenter wäre, das Grunddilemma anzugehen, dass bei begrenztem Land Kaufpreise ohne Korrekturautomatik davonzueilen neigen. Und dass Leute daraus Profit schlagen, die das Land besitzen – ohne auch nur einen Cent aufzubringen oder etwas dafür tun zu müssen, dass das Land, auf dem sie sitzen, plötzlich wertvoller wird. Etwa, weil das Viertel eine tolle Bahnverbindung bekommt – oder sonst wie als Lage attraktiver wird.

Eine logische Antwort müsste sein, jeden so zufallenden Wertzuwachs zu besteuern – so wie jede Stunde zusätzlicher Arbeit von Leuten besteuert wird, die dafür ihren Körper bewegen müssen. Dann fiele für Spekulanten ein Grund weg, Immobilien oder einfach Land zu kaufen und vom Sonnendeck den Wertzuwachs zu beobachten.

Wohnungsbau ist nicht die Lösung

Auch für Freunde von Enteignungslösungen Berliner Art ließe sich aus Ryan-Collins‘ Diagnose etwas ableiten. Immerhin wüchsen Mieten und Bankenblasen just in jenen Ländern sehr viel weniger krass, in denen ein großer Teil des Mietmarktes durch staatliche Institutionen gemanagt wird. Das sei nur in westlichen Ländern „politisch nicht machbar“. Zumindest außerhalb von Berlin, wo es ja auch nur um ein paar große Konzerne geht – und nicht darum, die Hälfte der Häuslebesitzer auszubezahlen.

Es wäre schon eine Menge gewonnen, wenn in Deutschland die Illusion wiche, dass das, was da gerade passiert, mit dem Bau von vielen neuen Wohnungen zu lösen ist. Wenn das Drama in der tückischen Wechselwirkung zwischen Marktversagen und Bankenverirrung liegt, könnte es sogar sein, dass Deutschlands Großstädte erst am Anfang des Desasters stehen. Noch ist Berlin im Vergleich zu Paris, London oder Hongkong ja geradezu billig.

Dann gilt es, ganz schnell sehr viel grundlegender gegenzusteuern. Damit aus unseren schönen Städten nicht bald Reichenzoos werden. Und damit Banken sich wieder auf das konzentrieren, was für unsere Zukunft viel wichtiger wäre: Geld für die Erfindung und Umsetzung neuer Ideen zu verleihen – und nicht für Häuslegeschäfte.

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Die Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

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