Startseite > Chefökonom > Thomas Fricke: Deutschlands Industrie in Not …dann schickt Griechenland die Troika zu uns

Thomas Fricke: Deutschlands Industrie in Not …dann schickt Griechenland die Troika zu uns

12. April 2019

Während unsere einst gefeierte Industrie immer tiefer in die Krise steuert, floriert die griechische Wirtschaft zunehmend. Geht’s noch?

Was waren das für Zeiten! Als wir den Griechen noch aufgebracht sagen konnten, dass sie wirtschaftlich nichts auf die Reihe kriegen. Nur Oliven machen. Einen gescheiterten Staat haben. Mal so haushalten sollten wie wir – wenn sie das überhaupt können. Weil sie ja lieber in der Sonne sitzen. Und eigentlich immer tricksen. Was Analysen in Hochburgen deutschen Denkens (wie der „Bild“-Zeitung) halt so ergaben. Und sich jetzt nicht auch noch anmaßen sollten, selbst zu bestimmen, was gut für sie ist.

Nicht mit uns. Weil. Wir. Das. Geld. Haben. Und einfach besser sind.

Jetzt hat unsere Glaubwürdigkeit schon ein ganz klein bisschen gelitten, seit es bei uns nicht so richtig deutsch vorangeht mit, sagen wir, dem Bau unseres Hauptstadtflughafens, der seit Jahren in der Sonne vor sich hin gedeiht. Und wir auch nicht so einwandfrei tugendhaft waren beim Einstellen von Messwerten in Dieselautomobilen. Und wir fast ein halbes Jahr gebraucht haben, um wieder eine Regierung zu kriegen – was wir sonst eher anderen zutrauen.

Blöd genug. Nur dass es noch schlimmer zu kommen droht, wo nun auch die kürzlich noch boomende deutsche Industrie in Rezession verfällt – und die Kollegen aus dem „failed state“ Griechenland im Ernst florierende Geschäfte melden. Geht’s noch?

Es könnte lohnen, daraus schnell zu lernen. Bevor wir bei den Griechen noch Hilfe beantragen müssen, wenn das so weitergeht.

Nicht lustig. Zumindest, was die jüngsten Trends angeht. Die Auftragslage der deutschen Industrie ist seit Monaten rückläufig, im Februar gingen spektakuläre 8,2 Prozent weniger Aufträge ein als im Vorjahr. Und der Absturz scheint sich zu beschleunigen. Nach Umfragen unter Einkaufsmanagern liegt der entsprechende Index zur Lage der Industrie bei nur noch 44 Punkten – so niedrig wie seit 2012 nicht mehr und unter der 50er-Marke, ab der die Ergebnisse erfahrungsgemäß Wachstum spiegeln.

Für Griechenland kommt in der gleichen Umfrage seit Monaten das Gegenteil heraus: Der Index liegt deutlich über der Wachstumsschwelle – und ist im März sogar auf fast 55 Punkte gestiegen. Und es werden so viele Jobs geschaffen wie seit zwanzig Jahren nicht. Eher Boom als Rezession.

Auch kein Ausrutscher. Vergangenes Jahr wuchs die griechische Wirtschaft erstmals seit der großen Krise stärker als die deutsche. Und: Während für uns die Wachstumsprognosen zuletzt auf knapp mehr als ein Prozent gesenkt wurden, hob die EU-Kommission ihre Vorhersage für die Griechen kürzlich sogar an – auf 2,2 Prozent für dieses Jahr. Na, sowas.

Wobei das auch sonst ins Bild passt. Im März gelang es der Regierung in Athen, erstmals seit 2010 wieder zehnjährige Staatsanleihen zu verkaufen. Und wie die Brüsseler Kommission feststellt, gewinnen griechische Exporteure weltweit Marktanteile. Hä?

Klischeehaft selektive Wahrnehmung

Jetzt könnte es natürlich sein, dass die Griechen entgegen ihrer Neigung plötzlich doch ganz viel reformiert haben – und uns deshalb konjunkturell abhängen. Und nur keiner bei der „Bild“-Zeitung Bescheid gesagt hat. Möglich. Oder? Das wäre dann auch sonst in den deutschen Redaktionsräumen nicht angekommen. Da war noch 2018 wie gewohnt zu lesen, dass Griechenland bei der Umsetzung der Reformversprechen „massiv hinterherhinkt“, Ministerpräsident Alexis Tsipras „nicht liefert“, Athen nach wie vor „nicht nach den Regeln zu spielen bereit“ sowie die Wettbewerbsfähigkeit gefährdet sei – und die Regierung stattdessen so furchtbare Dinge mache, wie den Mindestlohn anzuheben.

Nun scheint sich hinter solchen Befunden hierzulande ein geheimnisvoller Hang zu klischeehaft selektiver Wahrnehmung zu verbergen – was einen Teil der Überraschung erklären könnte: Natürlich waren die Griechen nie per se faul. Und der Staat auch nicht per se gescheitert. Und natürlich haben die Griechen in den vergangenen Jahren stetig Dinge verbessert. Sonst hätten sie manche Kredittranche nicht bekommen.

Nur sind zum Glück die Zeiten alten Schäuble-Drills vorbei, in denen Reformieren mit dem heillosen Kürzen von Geldern für Rentner und Krankenhäuser verwechselt wurde – was die Krise bis 2016 immer wieder verschlimmert hat, weil der Wirtschaft die Nachfrage wegbrach. Das, was in den jüngeren Programmen steht, hat damit nicht mehr viel zu tun – dafür zunehmend (auch) mit etwas konstruktiveren Ideen wie dem Aufbau von Krankenstationen; oder mehr Einstellungen in wichtigen Behörden.

Wenn Griechenlands Wirtschaft just seit 2017 überhaupt wieder wächst, liegt das entgegen aller altökonomischer Vorstellung auch daran, dass die Regierung in Athen seither gerade nicht mehr so heillos kürzt und Steuern erhöht. Und stattdessen wie kürzlich den Mindestlohn anhob.

Wie sehr der Kurs gelockert wurde, lässt sich daran messen, wie sich die (strukturellen) Überschüsse im Etat jenseits von Sonder- und Konjunktureffekten entwickeln. Besagter Überschuss dürfte 2019 um fast drei Prozent der Wirtschaftsleistung niedriger liegen als noch 2016 – so viel Geld kam zusätzlich in den Wirtschaftskreislauf. Seither läuft auch die Konjunktur wieder besser. Zumal es auch keinen deutschen Finanzminister mehr gab, der persönliche Fehden gegen ungehörige griechische Kollegen führt und mit Euro-Rauswurf droht – was nur für Panik sorgt und Spekulanten animiert.

Sprich: Es wurde besser als und weil die Zuchtmeisterei aufhörte. Was für Spanier und Portugiesen schon seit Jahren gilt. Und was, wäre die Erkenntnis auch in Berlin etwas früher angekommen, vielen Griechen Leid erspart hätte.

Warum die Griechen jetzt sogar besser mit den Krisen der Welt klarkommen als wir, hat noch einen bemerkenswerten Grund. Was dem Land in der Eurokrise vorgehalten wurde, wirkt plötzlich wie ein Glücksfall: Zum einen, dass nur ein relativ kleiner Teil der Wirtschaftsleistung vom Export von Waren kommt – daher kriegt die Wirtschaft jetzt weniger von Brexit und US-Präsident Donald Trump und italienischen Regierungswirren ab, als die stramm globalisierte deutsche. Zum anderen, dass griechische Exporteure kaum in Sachen Automobil und Maschinenbau unterwegs sind, wo es besonders rumpelt, und stattdessen im Verkauf von Arzneimittel-Generika. Wie Berenberg-Chefökonom Holger Schmieding sagt: eher eine sichere Nummer, was die Zukunft angeht.

Vielleicht werden die Griechen sogar mal unsere Vorbilder

Und: Wer wenig am Export hängt, lebt eben auch stärker von der Binnennachfrage. Kein ganz so schlechtes Modell in diesen Zeiten. Zumal der Tourismus läuft. Und der private Konsum. Etwa dank steigendem Mindestlohn.

Klar: Was die Griechen erleben, ist alles andere als eine rauschende Party – eher der Versuch, eine wirtschaftspolitische Katastrophe allmählich zu überwinden. Und es wird auch dauern, bis die Menschen das richtig spüren.

Trotzdem lassen die starken positiven Signale aufhorchen. Wer weiß? Vielleicht werden die Griechen sogar mal unsere Vorbilder. Lernen können wir allemal daraus. Wie gut es ist, mit Austerität aufzuhören – und womöglich gar nicht anzufangen. Oder wie eine Wirtschaft funktioniert, die nicht wie irre davon abhängig gemacht wurde, ob der schöne Export läuft, die Welt lieb zu uns ist – und politische Amokläufer wie Donald Trump, Theresa Brexit May oder Matteo Salvini für oder gegen uns sind. Das können die Griechen gerade sehr viel entspannter verfolgen.

Nicht, dass die irgendwann noch eine Troika mit Empfehlungen zur Verbesserung unserer Wirtschaftspolitik nach Berlin schicken müssen.

_______________________
Die Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

%d Bloggern gefällt das: