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Thomas Fricke: Kampf fürs Klima – Die Welt retten – mit Vergnügen

19. April 2019

Es ist naiv zu glauben, dass wir das Klimadesaster verhindern, wenn nur alle sofort auf Fleisch und Flugreisen verzichten. Der Durchbruch wird erst gelingen, wenn das Ganze vom Verzichtsdogma gelöst wird und Freude macht.

Kaum hat sich mal wieder ein Stück mehr herumgesprochen, dass wir sehr viel mehr tun müssten, um künftige Klimadesaster noch zu verhindern – da kommt einer um die Ecke und sagt, wir müssten deshalb jetzt alle mal auf Fleisch und auf Autofahren und auf Mallorca verzichten. Schon ist die Freude am Klimaretten wieder vorbei.

So ist das auch, was das Phänomen Greta Thunberg angeht. Da poltern junge Leute, um den etwas Älteren unter uns Druck zu machen. Das wirkt. Schon weil es den Älteren am Vorstellungshorizont mangelt, sich vor Katastrophen zu ängstigen, die in fünfzig Jahren oder so vielleicht mal kommen – selbst wenn erste ernstere Signale schon jetzt zu vernehmen sind.

Die Frage ist nur, ob es das Klima allein retten würde, wenn wir deshalb alle sofort wie Greta werden – und auf Fliegen und auf Autos und, wie ihre Mutter, sogar auf eine internationale Karriere als Opernsängerin verzichten, um stattdessen CO2-neutral unter der Dusche zu singen (natürlich im Wassersparmodus). Und dazu dann noch für alles mehr zu bezahlen, was als gut fürs Klima gilt. Stichwort Bio. Gut möglich, dass das weder auf Dauer vermittelbar ist, noch die Wahrscheinlichkeit stark erhöht, dass uns das Klima am Ende wirklich erhalten bleibt.

Entweder jetzt mal alle anders oder, na ja: Klima kaputt

Es liegt nahe, beim Thema Erderwärmung auch zu erörtern, was jeder Einzelne beitragen kann, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern. Womit man dann nur schnell bei emotionalen Lebensstilfragen wie Fleischessen, Autofahren oder Mallorca-Urlaub ist. Also beim Verzicht. Was wiederum den Eindruck bestärkt, dass Klimaschützen per se unangenehm und teuer ist. Und eigentlich eher etwas für freudlose Wesen. Oder besonders wohlhabende.

Um so tückischer könnte sein, beim Klimaretten allzu viel auf die Methode Verzicht-und-teuer zu setzen – trotz Greta-Bonus. Schon weil der Mensch, wie die Humanbiologen unter uns wissen, evolutionär bedingt mit Kampf und Abwehr reagiert, wenn er das Gefühl bekommt, dass seine Bewegung zu sehr eingeschränkt wird. Wie jedes Säugetier. Da braucht es gar kein Gezeter um Verbotsparteien. Da ist beim Appellieren an die Verzichtsfreude didaktisch noch Luft nach oben.

Sehr viel emotionale Energie für relativ wenig Emmissionseinsparung

Dazu kommt, dass es im Gesamtmaßstab für die Klimarettung auch gar nicht so viel bringen könnte, wenn wir alle zuhause blieben und Sellerie knabberten. Aus den statistischen Erhebungen des Umweltbundesamts lässt sich ableiten, dass etwa das Treibhausgas Methan, das von Rindern in die Luft gestoßen wird, lediglich drei Prozent der Emissionen in Deutschland ausmacht. Das heißt, dass wir immer noch 97 Prozent der Klimabelastung hätten, selbst wenn wir alle auf einmal kein Rindfleisch mehr essen und keine Kuhmilch mehr trinken würden. Die CO2-Emmissionen, die von Flugzeugen beim Fliegen ausgestoßen werden, dürften weltweit einen Anteil von fünf Prozent haben – wovon der gängige Urlaubsverkehr wiederum nur einen kleinen Teil ausmacht.

Klar gilt auch hier, dass sich so etwas summiert. Und es ist deshalb auch nicht blöd, von gewissen Dingen einfach weniger zu verbrauchen. Nur stehen die Summen selbst dann noch in keinem Verhältnis zum Aufwand – oder, um es anders zu sagen: Die Frage ist, ob da im Kulturkampf um Essen und Lebensstil nicht sehr viel emotionale Energie für relativ wenig Emissionseinsparung draufgeht, die anderswo mehr bewirken würde.

Wenn viele Leute bangen, am Ende des Monats noch genug zum Leben zu haben, ist die Begeisterung halt nicht so groß, noch mehr Steuern (auf Benzin) zu zahlen, weil das dem Klima hilft. Nachvollziehbar. Und trotzdem fatal: Frankreichs Regierung hat nach dem entsprechenden Aufstand der Gelbwesten auf die CO2-Steuer erst einmal verzichtet. Sprich: Die klimapolitische Teuerungsaktion ging nach hinten los.

Ein Warnsignal: Derartige Proteste drohen auch anderswo. Gerade weil höhere Abgaben ärmere Leute relativ stärker treffen. Da hilft die schönste (klima-)ökonomische Theorie dann wenig.

Positivere Note notwendig

Es spricht umso mehr dafür, dass der große Durchbruch im Kampf gegen den Klimawandel erst gelingt, wenn das Ganze vom tristen Verzichtsdogma viel stärker gelöst wird und eine positivere Note bekommt – und sich die Beteiligten nicht im Kulturkonflikt verkämpfen. Schon weil der Mensch eher bereit ist, etwas zu tun, wenn er eine (nähere) Belohnung in Aussicht hat. Und weil wirtschaftlich oft auch gut ist, was dem Klima hilft. Die Erfahrung in vielen Industrien zeigt, dass CO2-sparende Materialien zugleich billiger, also wirtschaftlicher sein können – doppelt gut.

Vor lauter Gezeter um Lebensstile drohen zudem die Relationen außer acht zu geraten: Mehr als ein Drittel aller Treibhausgase europaweit entstehen nicht beim Fliegen oder Fleischkonsum, sondern durch das Leben in Gebäuden: dadurch, dass es Energie verbraucht, Räume zu beheizen, Wasser zu erwärmen, Licht zu machen oder Essen zu kochen. Für all das wird allein rund 40 Prozent der Energie gebraucht. „Hier liegt derzeit das größte Potential, CO2-Emissionen abzubauen“, sagt der Potsdamer Klimaökonom Carlo Jaeger.

Dabei würde es am meisten bringen, die Gebäude sehr viel besser zu isolieren – oder die Beheizung auf erneuerbare Energien umzustellen. Was mit der gängigen Verzichtsrhetorik wenig zu tun hat. Ist doch toll, das Klima zu schützen – und dabei als Nebeneffekt auch noch weniger zugige Fenster zu haben, oder ein paar schicke Solarzellen auf dem Dach. Die Hindernisse liegen hier eher darin, dass so etwas noch ziemlich teuer ist. Ein Haus energieneutral zu renovieren, kostet zwischen 35.000 und 45.000 Euro. Und die Kosten sind erst nach etlichen Jahren wieder wettgemacht.

Die dringendste Klimapolitik liegt dann nicht darin, irgendeinen Lebensstil radikal umzustellen, sondern etwa ein gigantisches Programm aufzulegen, das es für Eigentümer lukrativ macht, viel Geld in Gebäudedämmung zu investieren – ob mit direkten Hilfen oder dadurch, dass Vermieter gesicherte Aussicht auf Erträge bekommen – ohne dass die Mieter Angst haben müssen, dafür anschließend allein blechen zu müssen.

Die Liste ließe sich um einiges verlängern:

  • Warum nicht Klimaschecks verschicken, mit denen die Leute animiert werden, klimaschonende Kühlschränke und Autos zu kaufen – statt die Fahrer alter Kisten zu gängeln, die sich ohne solche finanzielle Hilfe gar kein Neues leisten könnten?
  • Warum nicht besser das Netz von E-Tankstellen massiv ausbauen – um das Kaufen nicht-fossiler Autos bald als etwas total Schickes und Gutes aussehen zu lassen?
  • Und warum nicht ein europaweites Hilfsprogramm auflegen, mit dem auf dem Kontinent in den nächsten Jahren endlos viele Gebäude renoviert werden? Alles Dinge, die enorm viel bewirken würden – und ohne traurige Verzichtsappelle auskommen.

Um es klarzustellen: Das ist kein Grund, sich jetzt gleich selbst ein Rind in den Garten zu stellen – oder nicht im Privaten mal auf klimaschonenderen Konsum zu achten. Sehr gut möglich auch, dass es auf Dauer nicht gehen wird, ohne dass auch die Älteren unter uns manche Gewohnheit sachte ablegen.

All das wird nur müßig bleiben, solange nicht die wirklich großen Potenziale zum Abbau von Emissionen ausgeschöpft werden – und so erst die eine oder andere Voraussetzung geschaffen wird, dass jeder Einzelne seinen Beitrag leisten kann. Ohne etwa beim Kauf eines Elektroautos oder der Sanierung der eigenen Wohnung gleich arm zu werden.

Es ist unwahrscheinlich, dass die Sache lange gut geht, wenn sich das Wirken gegen drohende Klimadesaster auf den Kampf um und gegen Lebensstile reduziert. Das trifft weder den Kern des Problems. Noch wird es menschlich wie wirtschaftlich gutgehen, ohne dass es zu großen Rückschlägen kommt. Und dann wird es das Klima erst recht nicht retten.

Schluss mit Fasten. Als Dogma.

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Die Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

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