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Thomas Fricke: Risiko Trump – Keine Zeit für Steuergeschenke

14. Juni 2019

Wenn es um Wirtschaftspolitik geht, wird es in Deutschland schnell esoterisch. Wie jetzt – wenn nahegelegt wird, weniger Soli und Unternehmenssteuern schützten uns vor den Krisen der Welt.

Sagen wir so: Durchweg glücklich sahen unsere Großexperten fürs Wirtschaftliche in den vergangenen Jahren nicht aus. Mal hieß es, der deutsche Export sei am Ende – als der gerade zu boomen begann. Mal hieß es, der Mindestlohn werde massiv Arbeitslose bringen – und es kamen immer neue Jobrekorde. Mal hieß es nichts, und dann kam die größte Finanzkrise seit Jahrzehnten. Während umgekehrt seit 2018 keiner so richtig auf dem Schirm zu haben gehabt scheint, wie stark Wirrnisse à la Trump und Brexit die deutsche Wirtschaft kippen lassen.

Das Kuriose ist, dass all das den Mut derselben Großexperten nicht gebremst zu haben scheint, bei begrenzter Beweislage dennoch unbekümmert große Dinge zu diagnostizieren – und seit Wochen zu preisen, was angeblich gegen die schwierige Weltlage hilft: nämlich bei uns die Steuern für Unternehmen zu senken und den Soli sofort und ganz abzuschaffen.

Dabei gibt es für die These, dass uns das helfen würde, tiefere Krisen zu vermeiden, in etwa so solide Belege wie, sagen wir: für die Bedrohlichkeit des Mindestlohns. Oder dafür, dass Globuli gegen Rücken helfen. Ein Grundsatzproblem.

Keine Argumente

Es ist schon beeindruckend, wer und wie viele das mit dem Soli und den angeblich gefährlich hohen Unternehmenssteuern in den vergangenen Wochen so alles gesagt und nochmal gesagt und zum Nachdruck meist mit der Ansage verbunden hat, dass sonst im Grunde die Welt, also zumindest die deutsche Wirtschaft (mal wieder) vor dem Aus stehe: vom Chef der, yep, Wirtschaftsweisen über den Chef vom Bundesverband der Deutschen Industrie und vom Wirtschaftsrat der CDU und Friedrich Merz und Christian Lindner bis hin zum Chef des altehrwürdigen Kieler Instituts für Weltwirtschaft.

Mal wird behauptet, in allen möglichen Ländern würden angeblich gerade die Steuern für Unternehmen gesenkt – weshalb die Deutschen jetzt dringend mitziehen müssten, damit nicht Geld aus dem Land fliehe. Weil, naja, äh, Steuerwettbewerb. Was schon auch ein bisschen so ist, als würde ihr Arzt ihnen deshalb Tabletten verschreiben, weil der Nachbar die gestern auch bekommen hat. Dabei ist gar nicht gesagt, dass der das gleiche Übel hat und die Tabletten auch wirken.

Wenn die Reichen mehr haben, hilft das der Konjunktur wenig

Entsprechend gewagt ist die Grunddiagnose, dass die konjunkturelle Schwäche in Deutschland derzeit nur irgendetwas damit zu tun haben könnte, dass Reichere bei uns (auch künftig noch) Soli zahlen. Oder dass Unternehmen höhere Körperschaftsteuern als in dem einen oder anderen Wunderland wie Italien oder Trumps Schulden-Amerika zahlen müssen.

Keine Verdienstgruppe hat in den vergangenen Jahren so viel dazugewonnen wie die Top zehn Prozent, die ohnehin in der Regel so viel haben, dass sie es nicht konjunkturbringend alles wieder ausgeben können. Liest man die nüchtern-soliden Konjunkturdiagnosen der Experten etwa des besagten Kieler Instituts für Weltwirtschaft, ist in den aktuellen Daten zur Lage der hiesigen Wirtschaft nichts davon zu finden, dass es wegen des Steuerwettbewerbs gerade irgendwelche Probleme gäbe. Oder dass deutsche Unternehmen per se zu wenig Geld hätten, um es zu investieren.

Im Gegenteil: die Rahmenbedingungen seien nach wie vor „außerordentlich anregend“. Und dürften es auch bleiben. Da helfen auch keine Steuerglobuli.

Umgekehrt verdichten sich jene Signale, dass das gepriesene Steuersenken vielleicht ohnehin nicht die Wunderwirkung hätte, die ihm hiesige Gurus zuzuschreiben scheinen. In den USA hat der Geldsegen dazu geführt, dass die Unternehmen mehr eigene Aktien gekauft und so die Kurse hochgetrieben haben. Real mehr Investitionen hat es offenbar nicht gegeben – was ebenfalls darauf schließen lässt, dass es auf der anderen Seite so furchtbar viele negative Effekte bei uns nicht geben kann, nur weil in Amerika die Steuern gesenkt wurden. In den USA mehren sich nach dem konjunkturellen Strohfeuer mittlerweile die Abschwungsignale.

Fiele das Geld vom Himmel, würden wir es natürlich gern an alle verteilen. Auch an die, die schon viel haben – und eigentlich auch nicht mehr brauchen. Wir wollen ja nicht kleinlich wirken. In der realen Welt sind die Mittel nur relativ begrenzt, und die Frage ist dann, was am besten gegen die realen konjunkturellen Probleme hilft. Und da stehen die Chancen eher schlecht, dass es auf Anhieb zu mehr Ausgaben und Umsatz führen würde, wenn der Soli komplett wegfällt oder Unternehmen weniger Steuern auf ihre Gewinne zahlen müssen. Das ergibt auch keine makroökonomische Modellrechnung.

Ökonomen-Esoterik

Dann ist nur das Risiko hoch, dass zweistellige Milliardenbeträge, die wir vorher ja alle erst einmal erwirtschaften und an den Fiskus zahlen müssen, an Leute verpulvert werden, die uns gar nicht helfen, die akuten Probleme aufzufangen. Die liegen ja darin, dass angesichts multipler politischer Versagensfälle und Handelskriege plötzlich zu wenig Nachfrage nach deutschen Waren da ist – und die Unternehmen irgendwann anfangen, ihre Investitionen weiter zu kappen und Leute auf die Straße zu setzen. Das wird nur besser, wenn die ausfallende Nachfrage irgendwie ersetzt wird oder von woanders kommt – und nicht dadurch, dass die Unternehmen steuerlich entlastet werden oder Reiche keinen Soli mehr zahlen, solange sie deshalb nicht (viel) mehr Geld ausgeben.

Da könnte es wirksamer sein, nur um ein Beispiel zu nennen, Unternehmen zu ermöglichen, ihre Investitionen schneller abzuschreiben – was in Zeiten erhöhter Unsicherheit erfahrungsgemäß tatsächlich wirkt und dazu animiert, Investitionen nicht auf die lange Bank zu schieben.

Wer so penetrant danach ruft, den Soli abzuschaffen und die Unternehmenssteuern zu senken, um die Wirtschaft solider zu machen, sollte einigermaßen nachvollziehbar darlegen können, ob und wie das funktionieren soll. Mit Beispielen aus anderen Ländern. Oder aus der Vergangenheit. Was auch immer. Alles andere ist Ökonomen-Esoterik. Ein bisschen so, als würden wir mit Globuli gegen die Wirren angehen, die Donald Trump derzeit auszulösen droht. Omm.

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Die Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

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