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Thomas Fricke: Immobilienboom als Gefahr für die Gesellschaft – Billionengewinner – und Millionen Verlierer

24. Juni 2019

In Deutschland wird bisher spektakulär unterschätzt, wie sehr hochschnellende Hauspreise das Land spalten. Diesen Schluss legen neue Berechnungen nahe. Wie lange ist die Ungleichheit noch auszuhalten?

Es sind bizarre Zeiten. Da beteuern führende Denker des Landes, wie gut es uns doch gehe – mit mehr Wachstum, weniger Arbeitslosigkeit und weniger Ungleichheit, wie der Chef des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, jüngst in einer Talkshow vortrug. Während wir das Gefühl nicht loswerden, dass dann doch nicht jeder die Einschätzung so ganz teilen mag.

Möglich allerdings auch, dass in Deutschland über Jahre hinweg mangels hinreichender Statistiken dramatisch unterschätzt wurde, wie enorm reale Einkommen und Vermögen in jüngster Zeit auseinanderdriften. Und wie stark das mit dem Hochschnellen von Hauspreisen und Mieten zu tun hat – mehr als anderswo sogar.

Darauf lassen die spektakulären Ergebnisse einer gerade veröffentlichten Studie von drei Köln-Bonner Ökonomen schließen. Kein gutes Omen für Deutschlands nähere Zukunft.

Die Forscher um den Wirtschaftshistoriker Moritz Schularick schätzten erstmals, wie sehr die seit knapp einem Jahrzehnt hochschnellenden Preise für Immobilien dazu beitragen, die Vermögen im Land wundersam zu vermehren – und wer davon in welchem Ausmaß profitiert. Oder verliert.

Drei Billionen Euro mehr Vermögen

Nach den Schätzungen haben allein die rasant steigenden Immobilienwerte dazu geführt, dass diejenigen, die hierzulande Häuser besitzen, seit 2011 um sage und schreibe mehr als drei Billionen Euro an Vermögen gewonnen haben. Anders gesagt: Die Häuser sind heute über drei Billionen Euro mehr wert als damals.

Schon das wirkt komplett irre. Zumal so ein Haus ja seither nicht produktiver geworden ist. Und die Besitzer nicht mehr dafür tun als vorher. Außer zufrieden die Preisentwicklung zu verfolgen.

Um so viel Geld mit richtiger Arbeit statt mit Beobachtung zu erwirtschaften, muss der Rest des Landes ein ganzes Jahr lang malochen. Für Hobby-Ökonomen: Da ist so viel Vermögenswert dazugekommen wie ein jährliches Bruttoinlandsprodukt. Selbst wenn man einrechne, dass auch für Hauseigentümer die Lebenshaltung insgesamt in der Zeit teuer geworden sei, bleibe noch ein Gesamtgewinn von 2,5 Billionen Euro, so die Forscher.

Man kann zur Veranschaulichung noch eins drauflegen: Würden die Häuslepreisgewinner zwei Drittel des Nominalgewinns an, sagen wir, den netten Herrn Bundesfinanzminister abgeben, hätte Deutschland auf einen Schlag keine Staatsschulden mehr. (Was wir natürlich auch nicht wollen, weil dann ja keiner mehr Staatspapiere als Altersvorsorge halten kann.)

Die Nicht-Gewinner müssen für Glanz und Gloria der Betuchten zahlen

Spektakulärer noch ist, bei wem die Gewinne gelandet sind – oder anders gesagt: bei wie wenigen Menschen im Land. Wie Schularick und Kollegen auf Basis diverser Schätzungen erstmals errechneten, landete etwa die Hälfte des (allein) preisbedingten Vermögenszuwachses bei den (ohnehin schon) reichsten zehn Prozent der Deutschen. Die Top-20-Prozent konnten ihr Vermögen nur durch die wundersam-wunderbaren Wertsteigerungen um die Hälfte vergrößern.

Ein Drama wird daraus, wenn man auf die – vermögensmäßig – untere Hälfte der Bevölkerung blickt. Das halbe Land hat gar kein Haus – und kann deshalb auch nicht von den schönen Preisen profitieren. Hier liegen die geschätzten Immosausen-Vermögensgewinne der vergangenen Jahre nahe Null.

Schlimmer noch: Die Nicht-Gewinner müssen, wenn wir es auf den Punkt zu bringen versuchen, im Grunde für Glanz und Gloria der Betuchten zahlen – über die derzeit gelegentlich thematisierten monatlichen Mietzahlungen. Die wiederum im Sog der Hauspreise hochschnellen. Nur, dass der Mieter – anders als der Eigentümer – davon nicht so richtig reich werden will.

40 Prozent des Einkommens fürs Wohnen

Wie Forscher um den Ökonomen Christian Dustmann herausfanden, ist der Trend hier fatal umgekehrt. Die ärmsten 20 Prozent der deutschen Haushalte müssen wegen der immobiliensausebedingten Mietaufschläge mittlerweile 40 Prozent ihres Einkommens fürs Wohnen ausgeben. Anfang der Neunzigerjahre waren es gerade einmal 25 Prozent des Einkommens.

Das Ergebnis ist atemberaubend: Kein Teil der Gesellschaft ist durch den Immobilienboom so unfassbar viel reicher geworden als die, die ohnehin schon zu den Reichsten zählten. Und keine Gruppe hat durch denselben Boom so viel an verfügbarem Einkommen verloren als die, die ohnehin schon am wenigsten Einkommen haben.

Noch Fragen? Das ist komplett irre.

Dieses Auseinanderdriften sei auch krasser als anderswo, so Schularick. Schon weil bei uns einfach weniger Leute in den eigenen vier Wänden leben als etwa in den USA – und Eigenheime bei den oberen Zigtausend konzentriert vorkommen. In den Vereinigten Staaten profitiert auch die Mittelschicht stärker von höheren Preisen auf die (eigenen) Häuser, wie Rechnungen von Schularick ergaben.

Das wird auf Dauer nicht gut gehen. Kevin hin oder her. Das hält eine Gesellschaft nicht lange aus.

Da hilft auch das Gebrabbel meist eher gut situierter Kommentatoren im Land wenig, wonach doch seit Jahren (angeblich) die laufenden Einkommen nicht mehr weiter auseinanderdriften. Toll. Das stimmt erstens nicht so ganz. Und es spiegelt zum anderen eben auch nur einen Teil der Wirklichkeit.

Was hilft es, wenn die Gehälter wieder etwas mehr steigen – wenn wegen hochgeschnellter Mieten am Ende des Monats trotzdem weniger übrig bleibt als vorher? Während andere im Schlaf reicher werden – nur weil sie zufällig im richtigen Moment ein Haus gekauft haben.

Höchste Zeit, sich sehr viel grundlegender damit zu befassen, wie der Wahn zu stoppen ist.

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Die Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

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