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Thomas Fricke: Soli-Abschaffung – Da lacht die Rezession

17. August 2019

Solange kein Geld vom Himmel fällt, sollte die Abschaffung des Solidarzuschlags besser verschoben werden – statt sie vorzuziehen. Gerade weil Deutschlands Konjunktur gefährlich kippt.

Die Wirtschaftsleistung schrumpft, die Sorgen wachsen. Selbst tüchtige Daueroptimisten räumen mittlerweile ein, was sich seit mehr als einem Jahr abzeichnet: dass das exportverwöhnte Deutschland mit dem Großkriseln der Globalisierung selbst in eine Krise zu stürzen droht. Nur die Kanzlerin scheint wacker dagegenzuhalten: Für ein Konjunkturpaket sehe sie keine Notwendigkeit, hat sie diese Woche gesagt.

Jetzt gibt es einen relativ guten Grund, warum eine Kanzlerin nicht Rezession sagen sollte, selbst wenn vieles schon darauf hindeutet: weil sich die Krise sonst verselbstständigen könnte. Und Firmen wie Privatleute aus Angst dann erst recht kein Geld mehr ausgeben.

Das Ding ist nur, dass es auch nichts hilft, wenn alle schön schweigen. Es gab in der Wirtschaftsgeschichte mit einiger Wahrscheinlichkeit noch keine Rezession, die einfach herbeigeredet wurde. In den meisten Fällen passierte im Gegenteil das, was auch jetzt passiert – dass der Absturz viel zu lange unterschätzt wurde. Was in den Unternehmen passiert, hängt doch nur bedingt davon ab, was so gesagt wird. Und es wäre oft besser gewesen, früher Alarm zu schlagen – um mit Konjunkturpaketen die Rezession zu verhindern.

Dazu gibt es derzeit etliche Vorschläge: vom Abbau von Bürokratie bis zum Lancieren großer Investitionsprojekte. Nur, Obacht, drängt sich der Verdacht auf, dass da der eine oder andere Interessenvertreter die Rezessionssorge gerade zu nutzen versucht, um vorzuschlagen, wofür er oder sie schon immer Lobby machen. Beispiel: Bürokratieabbau. Schön. Aber nicht geeignet, Unternehmen vor einem Absatzeinbruch zu schützen.

Was hilft wirklich?

Höchste Zeit für einen Check, was wirklich gegen den Abschwung hilft – bevor es zu spät ist.

Nehmen wir zum Start (Fortsetzung folgt) die umstrittene Abschaffung des Soli-Zuschlags, die für das Gros der Soli-Zahler 2021 geplant ist und jetzt im Kampf gegen die Rezession vorgezogen werden sollte, wie es diese Woche hohe Vertreter der FDP oder der Chef des Münchner Ifo-Instituts Clemens Fuest gefordert haben.

Die Idee klingt erst einmal gut. Was den Abschwung derzeit beschleunigt, ist ja, dass vor allem Deutschlands Industriefirmen die Aufträge wegbrechen – ob als Folge des schwelenden Handelskrieges, der die Exporte trifft, oder weil es all die irrlichternden Trumps und Johnsons und Salvinis schwer machen zu kalkulieren, was morgen ist. Das lässt viele Firmen mit größeren Ausgaben zögern. Die deutsche Autoindustrie produziert mittlerweile weniger als in der großen Rezession nach dem Lehman-Crash.

Sollte es da nicht helfen, den Deutschen schon im Januar via Soli-Aus netto mehr Geld zu lassen? Damit sie einen Teil des Absatzeinbruchs ausgleichen, also mehr Autos kaufen und so?

Nicht so sicher. Die Sache könnte in der Praxis ziemlich teuer enden, ohne dass sie eine Rezession auch nur ansatzweise verlangsamt. Warum? Weil der Soli, anders als es die Werbekampagnen der Abschaffungsfans vermuten lassen, nur einen Teil der Bevölkerung nennenswert angeht.

Wegen diverser Freibeträge zahlt nach gängigen Schätzungen die untere Hälfte der Einkommensbezieher in Deutschland so gut wie keinen Soli – kann sich also mangels steuerlichen Entlastungspotenzials auch gar nicht als Konjunkturmotor betätigen. Obwohl bei dieser Gruppe eine recht hohe Bereitschaft vorliegt, mehr Geld auszugeben. Wenn es denn da wäre. Nach Schätzungen geben zwei von drei der untersten Einkommensgruppen monatlich mehr aus, als sie haben. Die gäben den Zaster sofort konjunkturwirksam aus, würden bei der Soli-Abschaffung nur eben gar nichts kriegen.

Bliebe die einkommensmäßig obere Hälfte des Landes. Bei deren Vertretern umgekehrt das Problem vorliegt, dass sie sättigungsbedingt mit dem Ausgeben ihres Geldes überfordert sind, also gar nicht mehr alles ausgeben, was sie haben – was sie als Konjunkturbeschleuniger ebenfalls nur bedingt geeignet macht, wie Daten belegen.

Würde der Soli in ein paar Monaten sogar vollkommen abgeschafft, blieben zwar fast zwei Drittel des Geldes als Netto-Einkommensplus auf den Konten der Einkommens-Top-Zehn-Prozent der Bevölkerung – immerhin gut elf Milliarden Euro. Blöd nur: Selbige Top Ten geben nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Mittel rund 40 Prozent ihres Einkommens gar nicht aus – von jedem zusätzlichen Euro, der etwa durch Soli-Aus netto mehr bleibt, dürften es noch mehr sein.

Das Soli-Geschenk landet oft im Sparschwein

Von den elf Milliarden Soli-Geschenk für die Topverdiener würde möglicherweise die Hälfte im Sparschwein oder sonstwo bei der Bank landen – und nicht in der Kasse vom Autohaus Soundso, wo gerade der Umsatz wegbricht.

Entsprechendes gilt für den Rest der oberen Hälfte, dessen Vertreter nicht ganz so viel verdienen. In der Einkommensklasse zwischen 70 und 90 Prozent liegt die Sparquote im Mittel bei 20 bis knapp 30 Prozent. Da würde relativ etwas mehr vom zusätzlichen (Soli-)Euro ausgegeben – dafür zahlen diese Leute in der Summe bisher aber auch deutlich weniger Soli als die Top-Zehn-Prozent. Und es würde immer noch ein ordentlicher Teil des Zugewinns aufs Konto wandern – also der Konjunktur bestenfalls sehr bedingt helfen.

Nicht auszuschließen, dass von den insgesamt rund 19 Milliarden Euro, die das Soli-Aus den Steuerzahlern bringt, nur zehn überhaupt in den Ausgabenkreislauf gehen. Zumal in zunehmend unsicheren Zeiten auch die Betuchteren aus Vorsicht mehr sparen und nicht einmal sicher ist, ob das Geld zugunsten der Branchen ausgegeben würde, die gerade kriseln. Die Summe entspräche knapp 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Da lacht die Rezession.

Wenn das Geld wie Manna vom Himmel fiele – oder der Finanzminister weder Schuldenbremse noch Schwarze-Null-Fetisch hätte – wäre auch das nicht so schlimm. Das Problem ist, dass es mit dem Abflauen der Konjunktur bald schwierig wird, noch einen ausgeglichenen Etat zu halten. Und dass es bei anhaltender Schuldenmanie in Deutschland in Kürze nur darum zu gehen droht, wofür überhaupt noch Geld ausgegeben wird. Und dass es bei fortgesetztem Abschwung zugleich umso dringlicher wird, jeden Euro, der mobilisiert wird, möglichst effektiv dafür zu verwenden, die Konjunktur zu stützen.

Das könnte man mit den Soli-Milliarden machen

Was, um es auf den Punkt zu bringen, durch eine Abschaffung des Solis so wenig gewährleistet ist wie bei kaum einer anderen Maßnahme. Man könnte auch sagen: verdammt schlechtes Preis-Leistungs-Verhältnis.

Mit den fast zwanzig Milliarden Euro, die dem Finanzminister nach Abschaffung des Solis plötzlich jährlich fehlten, könnte in Deutschland:

  • in weniger als zehn Jahren der gesamte Investitionsstau bei Deutschlands Kommunen abgebaut werden;
  • oder die öffentliche Hand bis 2030 eine halbe Million Wohnungen bauen lassen (und hätte trotzdem fast die Hälfte des Geldes noch übrig);
  • oder der geschätzte jährliche Bedarf an Investitionen in frühkindliche Bildung, in den Ausbau von Ganztagsschulen, in den Breitbandausbau und in den Deutschlandtakt der Bahn gesteckt werden – und zwar all das zusammen.

Es spricht mehr dafür, die Soli-Abschaffung zu verschieben – eher nach 2021. Und mit dem Geld die dringenden Probleme des Landes anzugehen. Die Idee, den Soli gerade jetzt abzuschaffen und das Geschenk für die obere Hälfte im Land inmitten einer nahenden Rezession auch noch vorzuziehen, dürfte zu den abwegigsten zählen, die man sich ausdenken kann.

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Die Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

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