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Thomas Fricke: Haushalt in Rezessionszeiten – Die schwarze Null von heute ist die Krise von morgen

14. September 2019

In Zeiten des Abschwungs auf die schwarze Null zu pochen, ist ökonomisch unseriös. Und für die Zukunft kommender Generationen unverantwortlich.

Jetzt kommt, was zu befürchten war. Seit einem halben Jahrzehnt lassen sich unsere jeweils amtierenden Bundesfinanzminister daran messen, ob sie die schwarze Null halten, also im Namen des Volkes mehr Geld eintreiben, als sie dem Volk an Geld ausgeben. Was bei anhaltendem Wachstum und stetig fallender Arbeitslosigkeit auch nicht so schwierig war.

Ökonomisch ist gar nicht klar, ob das eine Katastrophe wäre, im Gegenteil. Das Drama könnte eher darin liegen, die schwarze Null vor lauter Symbolbrimborium viel zu lange zu halten. Vielleicht wäre jetzt auch der Moment, die Lehre aus dem aktuellen deutschen Mix aus vermeintlich (noch) tollen Staatsfinanzen und desolatem Zustand von Straßen und Schulen und sonstigen öffentlichen Einrichtungen zu ziehen. Und mal wieder mehr auszugeben als einzunehmen. Weil alles andere in Rezessionszeiten ohnehin wenig bringt und für unsere Zukunft eher schlechter wäre.

Das Tückische an dem Ziel, den Etat stoisch ausgleichen zu wollen: Es verleitet in schlechteren Zeiten zu fatalen Reflexen. Wie jetzt. Weil die Wirtschaft weniger wächst, hat der Finanzminister automatisch weniger Einnahmen als geplant – klar, weil auf etwas, das nicht erwirtschaftet wird, auch keine Steuer erhoben werden kann. Ähnliches gilt für Rentenkassen und andere. Sobald die Arbeitslosigkeit steigt, steigen umgekehrt automatisch die Ausgaben für Arbeitslosengeld I und II.

Gängigen Daumenregeln zufolge bedeutet jedes Prozent weniger Wirtschaftsleistung einen halben Prozentpunkt mehr Staatsdefizit. Das macht auf einen Schlag fast 17 Milliarden Euro, die in den Etats fehlen. Ganz automatisch.

Läuft der Realität hinterher

Will der Schwarze-Null-Minister unter diesen Umständen ein Schwarze-Null-Meister bleiben, muss er die 17 Milliarden an anderer Stelle reinholen, was nur in Sonntagsreden der FDP immer ganz einfach klingt: mehr Steuern, weniger (staatliche) Aufträge. Nicht wirklich das, was die Wirtschaft in Zeiten schwindender Nachfrage braucht – im Gegenteil. So ein Steuerschock kann die Rezession nur verstärken. Werden die Ausgaben gekürzt, ist es eher noch schlimmer.

Eine große Gefahr stoischer Jahreshaushaltsführung ist, dass Finanzwarte schnell dem Abschwung hinterhersparen, wie einst Hans Eichel nach Jahren vergeblicher Versuche einsah. Mit jeder Meldung ausbleibender Einnahmen beginnt dann in den Haushaltsausschüssen die nächste Runde hektischer Suche danach, welche Ausgaben mal schnell geblockt oder gekürzt werden können, um die Löcher schnell zu stopfen, wie es im Erbsenzählerjargon heißt.

Worin auch das eigentlich Fatale liegt: Wenn schnell Geld her muss, bleibt nichts anderes übrig, als es dort zu holen, wo es leicht zu kriegen ist. Und das ist gerade dort, wo Ausgaben nicht fest gebunden, aber zugleich tendenziell für die Zukunft des Landes besonders wichtig sind. Zum Beispiel jene Ausgaben, mit denen in Straßen, Schienen, Schulen und andere Infrastruktur investiert wird. Da können lokale Kassenwarte vergleichsweise schnell kürzen. Es lässt sich in der Not auch mal schnell ein Einstellungsstopp für Lehrer verfügen. Oder staatliche Wohnungen verkaufen. Alles schon da gewesen, wie die Berliner unter uns wissen.

So niedrige öffentliche Investitionen wie in wenigen anderen entwickelten Ländern

Genau hier liegt womöglich der tiefere Grund für das sehr deutsche Dilemma, zwar seit Jahren tolle Etatzahlen auszuweisen, dafür aber heute zu wenig Lehrer und Wohnungen zu haben sowie teils katastrophale Zustände an Unis, bei S- und Deutscher Bahn oder beim Handy-Empfang. Was sich vielfach leicht als Spätfolgen der Jahre zwischen Einheitsboom und Ende der Schröder-Ära identifizieren lässt.

Vor allem unter letzterem Kanzler folgte jeder Nachricht schlechterer Konjunktur die nächste Steuer- und Abgabenerhöhung oder Haushaltssperre – worauf die Wirtschaft Jahr für Jahr tiefer in die Stagnation geriet. Und das Staatsdefizit über Jahre trotz aller heroischen Sparversuche nicht kleiner wurde. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt sind die öffentlichen Investitionen in Deutschland mit rund zwei Prozent seither so niedrig wie in kaum einem anderen so entwickelten Land. Kaputtgespart.

Umso absurder ist, dass gerade deutsche Kassenwarte vor lauter zweifelhaftem Schwarze-Null-Eifer andere Regierungen in der Euro-Krise dazu drängten, de facto dasselbe zu tun. In Spanien sind die staatlichen Investitionen geradezu kollabiert (was auch dadurch nicht besser wird, dass die eine oder andere vorher überdimensioniert gewesen sein mag). In Griechenland hat das Aufdrücken jährlicher Komme-was-wolle-Budgets zu einem der größten menschlichen Desaster der jüngeren Wirtschaftsgeschichte beigetragen.

Besser wurde es in all den Ländern erst, als der Spuk zu Ende war und nicht mehr versucht wurde, auf Teufel komm raus Etats zu kürzen. Auch in Deutschland, seit Angela da ist.

Es dürfte heute international nicht mehr viele Experten geben, die das Kürzen in der Krise nicht grundsätzlich als Unsinn einstufen würden. Selbst der einst so harte Internationale Währungsfonds (IWF) hat da längst Einsicht walten lassen, wie auch die Ratgeber der OECD.

Es wäre gut, wenn das auch bei unseren geschäftigen Haushältern ankäme. Klar, man könnte entgegnen, dass die schwarze Null mittlerweile so eine Art Fall für politische Glaubwürdigkeit geworden ist. So richtig viel hat es den Teilnehmerparteien der Großen Koalition allerdings offenbar auch nicht geholfen, wenn man den leichten Abwärtssog bei Wahlen und Umfragen betrachtet.

Vor allem hilft auch das Beschwören esoterischer Elemente eines Bundeshaushalts wenig, wenn der Schaden stoischer Zahleneinhaltung einfach zu groß ist. Spätestens wenn in den kommenden Monaten die Rezession noch stärker durchzuschlagen beginnt, wird die schwarze Null nur noch zu halten sein, wenn entweder die Steuern schnell angehoben werden – oder mal wieder da rasch gekürzt wird, wo es am einfachsten geht: bei den Investitionen in die Zukunft des Landes. Ob im Kampf gegen Klimawandel, die lahme Bahn, das schlechte Internet, bröckelnde Universitäten oder sonst wie mangelhafte Infrastruktur.

Dann droht die schwarze Null von heute das wirkliche Desaster von morgen zu werden. In Krisen zählt, möglichst rasch auszugleichen, wenn Umsätze wegbrechen und Beschäftigte entlassen werden sollen. Und das geht nur, wenn der Finanzminister die schwarze Null rasch schwarze Null sein lässt. Dann wäre es absurd, ihn dafür zu kritisieren – zumal jetzt, wo es erste Anzeichen dafür gibt, dass das, was international unter Ökonomen Konsens ist, auch im Bundesfinanzministerium ankommt.

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Die Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

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