Deutschlands Ökonomen seien für die Schuldenbremse, wurde diese Woche gemeldet. Die zugehörige Umfrage kann man aber auch anders deuten: Es sind nur noch erschreckend wenige, die das Verfassungsgebot gut finden.
Thomas Fricke: Ifo-Umfrage zur Schuldenbremse – Der Schuldbürgerstreich
Diese Woche hat es eine Meldung zu einigem Trara gebracht, wonach die deutschen Volkswirte die Schuldenbremse verteidigen – entgegen dem Eindruck, der in jüngster Zeit vielleicht entstanden sei. So in etwa hatte es das Ifo-Institut vermeldet.
Was wiederum nicht nur die „Frankfurter Allgemeine“ ihren Lesern mitzuteilen sich beeilte, die mit dem Ifo gemeinsam die entsprechende Umfrage unter Ökonomen durchführt. Der Befund schaffte es sogar in die britische „Financial Times“, wo es gleich (wahrscheinlich kopfschüttelnd) hieß, Deutschlands „führende“ Ökonomen seien für eben jene Schuldenbremse, die es ja sonst fast nirgendwo gibt, weil es meist ohne genauso gut oder schlecht geht. Und die in jüngster Zeit selbst in Deutschland öfter kritisiert wurde.
Alles Quatsch? Na ja. Es lohnt, noch mal genauer nachzulesen.
Jetzt wollen wir dabei nicht kleinlich sein – und nölen, dass es natürlich nicht „alle“ deutschen Volkswirte sind, die das gesagt haben. In Wirklichkeit waren es in der zugrunde gelegten Umfrage 64 an der Zahl. Was bei 4000 Mitgliedern allein in der deutschen Ökonomenvereinigung, dem Verein für Socialpolitik, ein zumindest etwas gröberes Verständnis von Stellvertretung bedarf, um die Ergebnisse für repräsentativ zu halten.
Darüber sehen wir großzügig hinweg
Wir kämen natürlich auch nicht auf die Idee, die Mutter aller Finanzzeitungen zu korrigieren, was die Umschreibung der Antwortenden als „führend“ anbelangt. An besagter Umfrage haben auch – sicher ehrenwerte – Professoren aus Orten wie, sagen wir, Braunschweig aktiv teilgenommen, deren Führerschaft bislang zumindest noch nicht offen zutage getreten ist. Und die bisher auch nicht von sich behaupteten, ganz besonders gut in Finanzpolitik zu sein. Was nicht schlimm ist, aber eben auch nicht unbedingt führend.
Schwamm drüber. Auch darüber, dass die „FAZ“ überdeutet, die deutschen Volkswirte hielten, wie diese Umfrage zeige, (mehrheitlich) nichts davon, dass der Staat sich nun „uferlos“ verschuldet – geschenkt; das hat ja, soweit uns bekannt, so auch keiner vorgeschlagen und wurde auch in der Umfrage nicht gefragt. Erhoben wurde, ob die Schuldenbremse als „zielführend“ angesehen wird.
Ach, wir sehen auch großzügig darüber hinweg, wenn das Ifo-Institut in seiner Pressemitteilung im zweiten Absatz gleich den hauseigenen Leiter der Umfrage sprechen lässt, dass die Ergebnisse ja bestätigen, was er schon immer gesagt hat. Wenn das ein doofer Journalist macht, würden schlaue Professoren gleich schimpfen, dass da jemand Meldung und Meinung vermischt. Zu Recht.
Die Tücken der Schuldenbremse
Das Ding ist: Selbst wenn wir das alles, weil das Leben gerade schön ist oder wir andere Sorgen haben, mal nicht so eng nehmen – also uns sagen, dass 64 von ein paar tausend schon irgendwie repräsentativ sind, weil es immerhin auch die Mehrheit der Antwortenden ist (120) – dann ist da immer noch so ein komisches Gefühl, dass die Botschaft der Gelehrtenbefragung sich womöglich auch irgendwie umkehren ließe.
Es ist ja tatsächlich so, dass die einen oder anderen ideologisch auch unverdächtigen Experten in jüngster Zeit auf die Tücken dieser Art von Schuldenbremse hingewiesen haben:
- weil etwa die Sorge besteht, dass durch die strikte Vorgabe nicht nur unsinnige Staatsausgaben gebremst werden, sondern auch solche, die – wie jene zum Klimaschutz oder zur Ankunft von Schulen und Bahnschienen im 21. Jahrhundert – dringend nötig wären;
- und weil nach der im Detail ziemlich komplizierten Schuldenbremsenregelung derzeit trotz akuter Rezessionsgefahr nur ein paar Milliarden Euro mehr ausgegeben werden dürften, was irre ist;
- obwohl es selbst Kritikern schwer fällt, gute Gegenargumente zu nennen, wo der Finanzminister für jeden vergebenen Kredit aktuell sogar noch was dazubekommt, und Schätzungen zeigen, dass gut investiertes Geld in Infrastruktur oder Gesundheit sich auch für den Finanzminister auf Euro und Cent auszahlt, wenn es künftig zu mehr Wirtschaftsleistung und somit höheren Steuereinnahmen führt.
Es geht ja auch nicht um, sagen wir, die Erhöhung der innerstädtischen Parkgebühr, was jeder Stadtrat mal eben beschließen und wieder rückgängig machen kann, sondern um eine Grundsatzregelung, die mit viel Tamtam vor zehn Jahren als vermeintlich ewige Wahrheit in die Verfassung gesetzt wurde, wo auch sowas langlebiges wie die Unverletzbarkeit der Menschenwürde drinsteht.
Und nach der festgelegt wurde, dass der Bund in konjunkturell unauffälligen Zeiten nur noch Schulden in Höhe von exakt 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, entspricht 12 Milliarden Euro, machen darf – in schlechteren etwas mehr. Wobei es für die Einschätzung, was normal ist, so kuriose Formeln gibt, dass dies, wie im Moment, auch mal zum Diktum führt, dass nach Verfassung gerade einmal die Hälfte davon an Kredit aufgenommen werden dürfte – obwohl die Umstände in Sachen Rezession, Klimakrise oder Politikvertrauensverlust eigentlich alles andere als normal sind. Was nur damals, als die Schuldenbremse ins Grundgesetz kam, eben noch keiner ahnen konnte. Kern des Problems.
Die eigentliche Nachricht
So wird nicht nur klar, warum tatsächlich die Zweifel unter den Experten zuzunehmen scheinen. Und die eigentliche Nachricht, die sich aus der Umfrage ergibt, müsste anders lauten. Etwa mit folgender, zugegeben nicht ganz so knackiger Schlagzeile:
Für eine Grundsatzregel, die in Bundestag und Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit brauchte, um in die heilige Verfassung zu kommen, sprechen sich zehn Jahre danach nur noch gut die Hälfte der Experten aus – mal angenommen, siehe oben, das wäre einigermaßen repräsentativ. Und selbst bei denen gilt das Ja nur für die Frage, ob sie daran „grundsätzlich“ festhalten würden. Was umso irrer ist, als der ultimative Teil dieser Regel – der für die Bundesländer – zum Jahreswechsel erst in Kraft treten soll – also zu einem Zeitpunkt, wo zumindest der Umfrage zufolge nicht einmal zwei Drittel, sondern nur noch etwas über die Hälfte der Experten das noch gut findet. Sagen wir: ein Schuldbürgerstreich.
Also Obacht, liebe Politiker, beim Verfassungsregelmachen: So etwas sollte man nur anstellen, wenn man wirklich, wirklich sicher ist, dass einem nicht zehn Jahre später die Experten weglaufen, die das noch richtig finden.
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Die Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).