Die Wirtschaft klagt gern über teure soziale Geschenke der GroKo. Dabei haben genau diese „Wohltaten“ der Wirtschaft dieses Jahr eine Rezession erspart. Da kann man auch mal Danke sagen.
Thomas Fricke: GroKo gegen die Rezession – Wenn Sozialklimbim die Wirtschaft rettet
Es gehört zu den Ritualen dieser Zeit: Immer, wenn die GroKo mal wieder etwas für Rentner, Mütter oder Kombinationen aus beidem beschließt, schwindet in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft der Frohsinn. So wie diese Woche bei der Grundrente. Schon wieder nichts für uns – kein Pralinchen für die Bosse. Keine Steuersenkung. Kein Abbau lästiger Regelungen für den Kündigungsschutz oder so. Wie das unter früheren Kanzlern mal üblich war. Stattdessen wieder einmal „Wohltaten“ für die „Klientel“ verschüttgegangener Parteien.
Das Kuriose daran könnte nur sein: Wenn in diesen Monaten die deutsche Wirtschaft von einer Rezession (bisher) verschont blieb, wie das Statistikamt am Donnerstag mitteilte, scheint das nach allen Künsten, die uns Adam Riese hinterlassen hat, daran zu liegen, dass die Konsumenten in Deutschland schön weiter Geld ausgegeben und die Konjunktur damit gestützt haben. Das wäre nicht der Fall gewesen, hätte es nicht dieses Jahr so viele Wohltaten für Rentner, Mütter und andere gegeben.
Liste der „Wohltaten“
Dass die Regierung von Frau Merkel einen Hang zu Beschlüssen hat, die sich nach klassischem Verständnis nicht eindeutig als unmittelbare Wohlfühlgeschenke für Bosse einordnen lassen, ist nicht ganz zu leugnen. Klar. Im Laufe allein der vergangenen beiden Jahre bekamen:
- Pflegeheime mehr Geld, um Personal aufzustocken und Pfleger ein bisschen besser zu bezahlen;
- ältere Menschen zwei Mal hintereinander drei Prozent mehr Rente;
- Eltern mehr Kindergeld;
- bedürftige Studis mehr Bafög;
- Bauwillige schönes Baukindergeld;
- ältere Mütter noch mal etwas mehr Rente,
- ebenso wie – geschlechtsunabhängig – Leute, die aus gesundheitlichen Gründen irgendwann nicht mehr arbeiten konnten;
- Ost-Rentner kriegten mehr, um nicht mehr so viel weniger zu kriegen wie West-Rentner;
- Krankenhäuser bekamen mehr Geld, um, wer weiß, Patienten auch mal weniger lang auf den Gängen rumstehen zu lassen;
- Schulen mehr Budget fürs Digitale;
- Einkommensteuerzahler höhere Grundfreibeträge;
- Beitragszahler weniger Abzüge für die Krankenversicherung, weil da jetzt auch die Arbeitgeber wieder mitmachen.
Allein die Entlastungen, die es dieses und nächstes Jahr bei der Einkommensteuer gibt, summieren sich nach Schätzungen der führenden Konjunkturforschungsinstitute auf 7,5 Milliarden Euro – macht 7,5 Milliarden Euro mehr, die von den Leuten ausgegeben werden können. Und das ja nicht auf dem Mond, sondern in Geschäften und Autohäusern, also der Wirtschaft. Die Erhöhung des Kindergeldes – macht in der Summe zwei Milliarden mehr auf den Konten. Die Mütterrente II allein dieses Jahr fast vier Milliarden Euro. Und so weiter.
Dazu kommen aus den Staatskassen fürs Volk deutlich mehr öffentliche Investitionen zur Wiederbelebung der Bundeswehr, für die Neuausstattung kommunaler Infrastruktur oder Anreize zum Kauf von E-Mobilen, was – via Tesla – künftig zumindest der brandenburgischen Wirtschaft zugutekommen dürfte.
2019: Kein Wachstum ohne „Wohltaten“
Diese 20 Milliarden entsprechen 0,6 Prozent der gesamten deutschen Wirtschaftsleistung 2019. Was bei einem derzeit gerade noch erwarteten Anstieg dieser Wirtschaftsleistung um 0,5 Prozent bedeutet, dass es dieses Jahr ohne diesen fiskalpolitischen Geschenkekorb mit Sicherheit ein Minus gegeben hätte, eine Rezession eben.
Zumal aller Erfahrung nach dann nicht nur die 0,6 Prozent an Wirtschaftsleistung gefehlt hätten, die dem Volk via GroKo zum Ausgeben zur Verfügung gestellt worden sind, sondern auch all das, was so ein Stück Ausgabenfreude an Zweit- und Dritteffekten mit sich bringt. Etwa dass dann der Händler, bei dem dank GroKo derzeit mehr eingekauft wird, auch mehr Geld in den Kassen hat, um selber einkaufen zu gehen – oder jemanden zusätzlich noch einzustellen, der auch wieder undsoweiter.
Es spricht viel dafür, dass die „Wohltaten“ damit sogar eine viel größere Katastrophe verhindert haben. Immerhin ist die deutsche Industrie, die viel mehr an der Nachfrage im Ausland hängt, schon seit Mitte 2018 auf Talfahrt – und hat mit dem Entlassen auch schon angefangen. In der Autobranche lag das Minus bei der Produktion teils sogar bei 20 Prozent. Das sind Einbrüche, die in (fiskalischen) Normalzeiten sehr wahrscheinlich längst Kettenreaktionen ausgelöst hätten – mit Massenentlassungen und Pleiten.
Ein bisschen mehr Planung wäre schön
Dass es dazu bisher noch nicht gekommen ist, hat nach allem, was die Statistik hergibt, nicht nur, aber ziemlich maßgeblich damit zu tun, dass es just im Jahr des beschleunigten Abschwungs so viel Geld gibt, das die Leute zusätzlich ausgeben können. Auch wenn das von denen, die das beschlossen haben, als Konjunkturprogramm gar nicht gedacht war. Glück.
Wie die Institute in ihrem neuen Herbstgutachten errechneten, kommt das, was an Wirtschaftswachstum 2019 noch übrigbleibt, vollständig über den Konsum. Alles andere schrumpft oder stagniert. „Konsum rettet Konjunktur“, titelten diese Woche die Ökonomen des Versicherungskonzerns Allianz.
Das alles heißt jetzt nicht, dass die deutsche Wirtschaft keine Rezession mehr kriegen kann – Unsinn. Oder dass es immer gut ist, einfach nur irgendwie Geld auszugeben. Es spricht viel dafür, dass es weder wirtschaftlich, noch zur Behebung sozialer Not zwingend war, etwa die Mütterrente so auszuweiten, wie das unter dem politischen Druck einer eher im Süden der Republik aktiven Partei gemacht wurde.
Und es wäre auch gut, solche Finanzschübe sehr viel besser in einem Zukunftsplan abzustimmen, statt sie mehr oder weniger ad hoc im Koalitionspoker entstehen zu lassen – und lieber mehr Geld in ein solides Investitionsprogramm zu stecken, das dem Land künftigen Wohlstand sichert.
Absurd ist nur eben auch, so zu tun, als wären all diese GroKo-Beschlüsse per se immer schlecht für die Ökonomie – sie können sogar vor Rezessionen schützen. Und als wäre jeder Versuch, gesellschaftliche Schieflagen im Land zu beseitigen, ein Anschlag auf die Wirtschaft.
Wenn stimmt, dass ein Teil des gefährlichen Kriselns, das die liberalen Demokratien gerade erleben, auch mit dem Gefühl vieler Leute zu tun hat, dass nicht immer die vom Fortschritt profitieren, die das verdient haben – dann ist es vielleicht auch eine ziemlich gute Investition in die Zukunft, dafür zu sorgen, dass Pflegeheime ordentlich ausgestattet sind, mehr für Leute übrig bleibt, die Kinder haben – oder Studenten Geld zum Studieren bekommen, die das sonst nicht könnten. Und nicht nur Wirtschaft zu entlasten.
Da kann man auch mal Danke sagen.
* Die Umfrage wurde vom Forum New Economy in Auftrag gegeben, einem Ökonomen-Netzwerk, das von SPIEGEL-Kolumnist Thomas Fricke mitgegründet wurde.
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Die Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).