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Thomas Fricke: Anleihekäufe der EZB – Gebt das Geld lieber Leuten, die damit etwas Sinnvolles machen (also nicht den Banken)

13. Dezember 2019

Schluss mit Minuszins: Die neue Chefin der Euro-Notenbank, Christine Lagarde, sollte aufhören, Geld in ein überfordertes Finanzsystem zu pumpen. Und es stattdessen an uns alle verteilen.

Seit Jahren herrscht alle paar Monate helle Aufregung in deutschen Euro-Landen. Und bisher hieß der Erreger immer Mario Draghi – der Mann, der angeblich unsere armen Sparer enteignet und sinnlos Geld ins Finanzsystem fließen lässt, indem er alle möglichen staatlichen und privaten Anleihen kaufen lässt. Und dem der eine oder andere Bankkunde seit Kurzem sogar Gebühren aufs Ersparte zu verdanken habe. Heißt es.

Jetzt ist der olle Draghi weg, die Neue heißt Christine Lagarde, und die hat gestern angekündigt, nochmal über die Strategie nachzudenken.

Ist jetzt Schluss mit Minuszins und Geldfluten? Eher unwahrscheinlich. Der Wechsel sollte Gelegenheit sein, über einen ganz anderen Coup nachzudenken – und Geld nicht mehr ins Finanzsystem zu schicken, sondern an Leute wie Sie und ich, die das auch ausgeben würden. Und vielleicht sogar das Klima retten.

Zu den Quatschvorstellungen, die in Deutschland so grassieren, gehört, dass die Euro-Notenbank an den niedrigen Zinsen per se schuld ist. Dabei sind die Sätze ja auch außerhalb der Euro-Zone so niedrig, fast überall in der Welt. Und es hat sich unter den etwas ernster zu nehmenden Experten herumgesprochen, dass es dafür sehr reale Gründe gibt: Es gibt ein Zuviel an Erspartem bei zu wenig Nachfrage nach Geld –

  • weil in der Wirtschaft seit Jahren zu wenig investiert wird,
  • Staaten weniger bis keine neuen Schulden aufnehmen,
  • es zu viele Reiche gibt,
  • die Reichen sparen und ihr Geld gar nicht mehr ausgeben (können)
  • und seit der großen Finanzkrise auch sonst einfach zu viel gespart wird;
  • außerdem weil Bilanzen aufgeräumt werden
  • und die Perspektiven zu investieren eher wackelig erscheinen.

Da wirken Angebot und Nachfrage. Ergebnis: Nullzins.

All das würde ja nicht besser, wenn jetzt die neue Euro-Chefin gegen alle ökonomischen Trends den Leitzins per Dekret anheben würde. Es würde die Probleme im Zweifel nur verstärken. Weil dann noch mehr gespart würde – und noch weniger investiert. Ein Gaga-Rezept. Eher irritierend, dass jemand wie Kritiker-Bundesbankchef Jens Weidmann sich so wenig müht, die Deutschen darüber aufzuklären – und stattdessen Nahrung für die Hetze der „Bild“-Zeitung liefert.

Richtig an der Kritik ist, dass es nur bedingt zu helfen scheint, wenn die EZB-Götter zur Rettung monatlich staatliche und private Anleihen im Wert von zig Milliarden aufkaufen, wie sie das seit 2015 tun. Gedacht war es ja so: Wenn die EZB Anleihen kauft, haben die Anbieter der Anleihen mehr Geld, das sie dann schön weiterverleihen können an Leute, die es ausgeben. Wodurch die Wirtschaft belebt, mehr investiert und weniger gespart wird. Und die Zinsen wieder steigen. Problem behoben.

Der Haken: Ein nennenswerter Teil des schönen Geldes scheint auf dem Weg in die reale Welt verloren zu gehen. Es spricht einiges dafür, dass die Banken als Mittler – statt Investitionen in die Realwirtschaft zu finanzieren – mit dem Geld eher Aktienkäufe befördern. Was wiederum erklären könnte, warum in den vergangenen Jahren trotz relativ verhaltenen Wirtschaftswachstums die Kurse und Immobilienpreise so hochgeschnellt sind – während vergleichsweise wenig in der Realwirtschaft investiert wurde. Wobei nicht ganz klar ist, wie sehr niedrige Zinsen dazu tatsächlich beigetragen haben. Wären sie eine Hauptursache, dann hätten auch die Verschuldungsquoten stark hochschnellen müssen. Sind sie bisher aber nicht.

Wie kommt mehr Geld an?

Wenn hier die Probleme liegen, haben Kritiker durchaus recht, dass ein Mehr an Käufen nicht (unbedingt) die Lösung ist – zumal die Zinsen jetzt selbst für Kleinsparer nicht nur niedrig, sondern negativ werden. Das ist auf Dauer schwer vermittelbar.

Nur dass es deshalb eben keine Lösung wäre, wenn Madame Lagarde als hübsche Neuerung jetzt einfach keine Anleihen mehr kaufen ließe – und gegen Angebot und Nachfrage höhere Zinsen durchzudrücken versuchte. Siehe oben. Die Folge wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit eher eine (richtige) Rezession. Wie labil die Lage ist, hat sich dieses Jahr ja schon gezeigt, wo die deutsche Wirtschaft ziemlich jäh an den Rand der Rezession geriet. Und davon haben auch die lieben Sparer nicht so furchtbar viel. Da wird so mancher ja eher zum Ex-Sparer, weil via Entlassung oder Gehaltsverlust die finanzielle Grundlage zum Geldzurücklegen abhandenkommt.

Statt am Symptom Nullzins zu kurieren, ließe sich das Problem auf ganz andere Art lösen. Die aber wäre so gar nicht im Sinne alter deutscher Orthodoxie (um es vorsichtig auszudrücken). Wenn die Grunddiagnose stimmt, dass ohne Intervention eher Rezession und Deflationsschübe drohen, aber auf bisherigem Wege zu wenig Geld wirklich in der Realwirtschaft ankommt, dann lohnt es darüber nachzudenken, wie mehr Geld ankommt.

Projekt „Helikoptergeld“

Kleines Gedankenspiel: hätte die Euro-Notenbank die rund 2,6 Billionen Euro, die sie seit 2015 in den Aufkauf von Anleihen gesteckt hat, gerecht auf jeden der rund 340 Millionen Euro-Bürger aufgeteilt und verschicken lassen, hätte jeder von uns seither sage und schreibe 7500 Euro bekommen. Und ein Großteil wäre seither nicht in Aktien, sondern in den Kauf realer Waren gegangen. Was die Wirtschaft, wenn so etwas in einem stetigen Fluss kommt, sicher deutlich stärker zu Investitionen angeregt hätte, als dies beim Geldschaffen via Finanzwelt der Fall ist.

Das Projekt mit dem flotten Fachterminus „Helikoptergeld“ ließe sich an Sinnhaftigkeit noch ausbauen – warum die Schecks, die dann so verteilt werden, nicht daran binden, dass damit klimafreundliche Investitionen in Elektroautos, hypereffiziente Kühlschränke oder Solardächer (mit)finanziert werden? Was nicht nur ganz schön für die Umwelt wäre (umso mehr natürlich, wenn es sich um elektrobetriebene Hubschrauber handelte). Sondern auch gewährleisten könnte, dass das Geld auch ausgegeben wird – und nicht unter dem Kopfkissen dahindarbt.

Dann würde die Wirtschaft mehr investieren, es gäbe weniger Gespare und mehr Geldnachfrage, was den Preis fürs Geld automatisch wieder steigen ließe. Schluss mit Krise. Schluss mit Negativzins. Geschenkekiste statt Sparersarg. Wer könnte da Nein sagen?

Gut, die Bundesbank, für die so etwas in etwa so akzeptabel wie die Pest ist, weil eine Notenbank nach alter Lehre sich nicht ins Politische einmischen und mit öffentlichem Geld hantieren sollte. Schon die Idee dürfte bei ordnungspolitischen Gralshütern Herzrasen auslösen. Die Frage ist nur, ob die Zeiten noch zu deren alten Schön-Wetter-Prinzipien passen.

Dass eine Bundesbank sich nicht in finanzpolitische Fragen oder gar die Rettung der Welt einzumischen hat, stammt aus Zeiten, in denen Ökonomen noch zu denken pflegten, dass Wirtschaft und Finanzwelt im Grunde immer am besten funktionieren, wenn niemand dazwischenfunkt – und Märkte am Ende immer besser wissen, was geht. Und wo Notenbanken nur gelegentlich mal ihre Leitzinsen ein bisschen anpassen mussten, wenn die Inflation etwas höher oder niedriger als vorher gedacht ausfiel. Damals bestanden Umweltsorgen darin, den Rhein sauber zu machen. Niedlich.

Das Finanzsystem ist latent bis akut dysfunktional

Die Realität heute ist, dass das Experiment einer Welt, in der sich alles von allein regelt und alle ihre Aufgaben schön teilen, gescheitert ist – spätestens seit dem Beinahe-Kollaps 2008. Das Finanzsystem ist seitdem latent bis akut dysfunktional – unfähig, das Geld in sehr viel mehr sinnvolle reale Projekte zu lenken. Weswegen es ja nach wie vor so krisenhaft unnormal niedrige Zinsen gibt. So geht es immer noch und immer wieder darum, den nächsten großen Crash zu verhindern.

Irre. Natürlich hat das, was eine Notenbank macht, auch Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt, so oder so. Und aufs Finanzsystem. Und auf Sparer. Und aufs Klima.

Es hat politisch wie menschlich etwas hochgradig Groteskes, wenn in diesen Zeiten eine Kontinentalinstitution wie die Europäische Zentralbank jeden Monat höhere zweistellige Milliardenbeträge ausgibt, ohne auch nur den Hauch eines Anspruchs zu haben, mit dem Geld die ziemlich akuten Probleme unserer Welt zu lösen. Wenn auf der anderen Seite Regierungen immer wieder abwinken, sobald es darum geht, eben diese Probleme zu lösen – weil sie angeblich kein Geld haben, um sehr viel mehr in Klima, Schulen, Bahnnetze oder Digitales zu investieren.

Zeit für eine sehr grundsätzliche Debatte.

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Die Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

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