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Thomas Fricke: Milliardengeschäft Fußball – Hoppitalismus in der Krise

6. März 2020

Jemanden so anzugehen wie Milliardär Dietmar Hopp ist daneben. Der Wirbel um finanzschwere Fußballgötter könnte aber eine viel tiefere gesellschaftliche Sinnkrise spiegeln.

Klar, es geht gar nicht, andere zu beleidigen. Transparente mit persönlichen Beschimpfungen hochzuhalten. Oder Schmährufe anzustimmen. So etwas macht man vielleicht noch bei Renate Künast. Auf einem Fußballplatz hat das nichts zu suchen. Da spricht das gegen die Kultur an sich. Bei einem Spiel, das sich nicht zuletzt durch die feinsinnige Wortgewandtheit seiner Spieler auszeichnet.

Scherz beiseite. Selbstverständlich hat es etwas Böses, Dietmar Hopp, den Mäzen des Bundesligisten TSG Hoffenheimals Sohn einer Prostituierten zu beschimpfen. Und seinen Kopf in einem Fadenkreuz abzubilden, ist dumm.

Wenn sich die halbe Fußballwelt gerade furchtbar aufregt, wie böse die Ultra-Fans zu Herrn Hopp sind, hat das aber auch etwas bizarr Kleinkariertes.

Da reicht es nicht, ins Jahr 2008 zurückzuschauen, als besagte TSG Hoffenheim zum Bundesligisten wurde, eher schon bis 1992, als in Großbritannien die großen Klubs eine eigene Liga bildeten, die dann von Sky mit viel Geld aufgepumpt wurde. Was nicht zufällig zur Hochzeit des marktliberalen Dogmas passierte, als das Gros der führenden Ökonomen die Heilslehre predigte, alles Mögliche zu kommerzialisieren. So wurden damals die Telekommunikation über die Bahn bis zu Teilen der Krankenversorgung privatisiert, weil sich mit Geld angeblich alles am besten regeln ließ.

Seitdem haben die Summen, die über den Tisch gehen, immer absurdere Rekorde erreicht, wurden plötzlich die Superreichen der Welt zu Klubbesitzern, die von der großen Sause und diversen Absurditäten des Marktliberalismus profitierten. Vergangenes Jahr erzielte der FC Barcelona als erster Verein einen Umsatz von mehr als 800 Millionen Euro, wie die jüngste Auswertung der Unternehmensberatung Deloitte ergab. In ein, zwei Jahren könnte es erstmals eine Milliarde Euro sein. Ein Fußballverein.

Und die Logik funktioniert seit geraumer Zeit nur noch deshalb, weil TV-Sender sich gegenseitig mit Geboten für die Übertragungen überbieten – was wiederum den Vereinen erst ermöglicht, Spielern im Monat (im Monat!) Millionen zu zahlen.

Tradition ohne Mäzen

Was wächst, ist dabei das Gefälle: Mittlerweile macht Topverdiener Barcelona das mehr als Vierfache des Umsatzes, den der Zwanzigste Neapel macht; in der Vorsaison lag die Rate noch bei 3,8. Irre. Kleiner aktueller Gegencheck, was das sportlich bedeutet: Von den 16 Mannschaften, die derzeit im Achtelfinale der Champions League noch spielen, sind 13 aus der Top-20-Liste der Reichsten. In der nächsten Runde könnten die Geldsäcke wieder unter sich sein.

Am anderen Ende kämpfen Traditionsvereine wie, sagen wir, Alemannia Aachen seit Jahren ums Überleben, mitunter weil sie tapfer an Prinzipien festhalten, etwa den eigenen Stadionnamen nicht an eine Firma zu verkaufen. Solche Vereine beobachten, wie immer wieder Konkurrenten an ihnen vorbeiziehen, die sich eben doch verkauft haben, weil es wieder einen Mäzen gab, der mal eben auf Spieler-Monopoly macht und ein paar Klassen höher einkaufen geht. Die eigenen Chancen aufzusteigen tendieren dabei gegen null.

Am oberen Ende ist die Bundesliga zu so einer Art Rasen-Dax geworden – mit Volkswagen, Bayer, Allianz oder eben SAP als Großgestaltern. Und einer Telekom, die Leute weiß anzieht, um sie dann als peinliche T-Formation in den Block zu setzen. Und Red Bull, das ausnahmsweise nicht im Dax ist.

Nostalgische Spinnerei? Wie die Mäzene und ihre Freunde über viele Jahre bei solchen oder ähnlichen Einwänden gesagt haben? Macht doch der internationale Wettbewerb? Möglich.

Die Reichsten so enorm viel reicher

Nur fallen die Einwände heute in eine Zeit, in der nach Umfragen fast 90 Prozent der Deutschen mehr oder weniger stark zustimmen, dass das wachsende Gefälle zwischen Reich und Arm im Land den Zusammenhalt der Gesellschaft gefährdet. Und gut 80 Prozent sagen, dass die Politiker zu viel Rücksicht auf die Interessen der privaten Wirtschaft nehmen. Und dass die Privatisierung öffentlicher Leistungen in den vergangenen Jahrzehnten zu weit gegangen ist. Und knapp zwei Drittel nicht mehr nachvollziehbar finden, warum die Reichsten im Land so enorm viel reicher sind – viel krasser, als das zu Zeiten der Fall war, als es noch keine Milliardäre gab, und Fußballer noch keine Millionen verdienten.

Kein allein deutsches Phänomen. Heute finden nach internationalen Umfragen mehr als die Hälfte der Leute, dass der Kapitalismus in seiner heutigen Form mehr schadet als nutzt.

Was dahintersteckt, ist eine tiefere Glaubwürdigkeitskrise der Marktwirtschaft. Die kratzt auch am Selbstverständnis von der glorreichen Ökonomisierung weiter Lebensbereiche. Da lässt sich eben zunehmend schwer vermitteln, warum erstens überhaupt jemand allein so unfassbar reich werden kann – wenn auf der anderen Seite das Geld für ordentliche Schulen nicht ausreicht.

Und warum so einer dann, nur weil er so viel Geld hat, so maßgeblich über ein öffentliches Ding mit so hoher gesellschaftlicher und politischer Tragweite bestimmen darf – zumal, wenn er dafür nie demokratisch gewählt worden ist. Geht ja nicht um Software, sondern um ein Kulturphänomen. Und ein Stück Volksseele.

Andere Werte als Geld

Vielleicht steckt hier sogar eines der Rezepte gegen den aktuellen gesellschaftlichen Verdruss – und die Glaubwürdigkeitskrise von Politikern. Vielleicht braucht es künftig wieder mehr Lebensbereiche, in denen es mal nicht darauf ankommt, wer die dickere Hose hat und ob man (oder der eigene Verein) zufällig zu den Reicheren zählt; oder in denen es nicht ständig heißt, dass irgendwas so sein muss, weil es die Konkurrenz noch größerer Konzerne nicht anders erlaubt; oder einem sonst die Mäzene nicht mehr so nett Geld geben. Einfach Sachen, in denen andere Werte zählen. Ganz menschliche.

Utopisch? Mag sein. Nur auch nicht utopischer, als es wohl gewirkt hätte, wenn man jemandem in den Siebzigern erzählt hätte, dass ein Fußballer mal millionenschwere Wochengehälter einsacken würde. Wenn Fußballer heute ein Vielfaches von dem kriegen, was ihre Vorgänger hatten, liegt das ja nicht daran, dass sie ein Vielfaches mehr Tore schießen. Blasengefahr! Und es wäre womöglich schlauer, darüber jetzt schon einmal nachzudenken, bevor irgendwann die Millionen-Fußball-Blase platzt.

Vielleicht ist es schon ein Warnsignal, wenn es dem Deutschen Fußball-Bund nicht mehr gelingt, bei Spielen der Nationalmannschaft die Stadien vollzubekommen – sprich: genügend Leute zu finden, die für ein Spiel mit ganzer Familie mal eben ein Drittel eines monatlichen Frisörinnengehalts zahlen.

Das muss Dietmar Hopp nicht verstehen. Und es bringt auf Dauer wenig, das alles nur an einer Person aufzuhängen. Es geht um Größeres.

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