Je drastischer die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie werden, desto abwegiger erscheint die Frage, ob wir dafür Geld haben. Die Krise markiert den Abschied von der Politik nach Kassenlage.
Thomas Fricke: Coronakrise und Staatsverschuldung – Was kostet uns das Leben?
Unsere Kanzlerin hat zur Coronakrise noch nicht so viel gesagt. Was sie diese Woche gesagt hat, enthielt dennoch etwas ziemlich naheliegend Kluges dazu, was die Regierung jetzt bereit ist zu tun – und auszugeben: „Wir werden jetzt nicht jeden Tag fragen, was die Maßnahmen für das Haushaltsdefizit bedeuten“, sagte Angela Merkel. Die Bundesregierung werde nun „alles Nötige tun“, damit wir gut durch diese Situation kommen. „Und dann werden wir uns am Ende anschauen, was das bedeutet hat für unseren Haushalt. Das andere geht jetzt erst mal vor.“
So ein Satz, der an diesem Freitag von Finanzminister Olaf Scholz konkretisiert wurde, klingt angesichts des Dramas und der drohenden Zahl an Toten, die das Virus in den nächsten Wochen mit sich bringen könnte, so selbstverständlich, dass er andernorts nicht einmal gesagt werden müsste. So etwas dürfte nur bei uns noch für Schlagzeilen sorgen – in einem Land, in dem sich über Jahre alles Wirken daran messen lassen musste, dass es bloß nicht die schwarze Null gefährdet. Gut möglich, dass in der akuten Krise nun offenbar wird, wie gefährlich es sein kann, bei allem, was der Staat macht, immer erst erbsenzählend zu wehklagen, was es für Etat und Staatsschulden bedeutet.
Natürlich wäre es grotesk, in diesen Tagen ernsthaft daran zu zweifeln, ob die Regierung die Versorgung von Krankenhäusern gewährleisten oder Kurzarbeit finanzieren sollte – weil das den Staat etwas kosten würde. Ebenso wie es wider jeden gesunden Menschenverstand wäre, Veranstaltungen durchzuführen, nur weil den Betreibern sonst Ausfälle drohen. Das sagt jetzt selbst die FDP, die kürzlich noch alle staatlichen Schulden verbieten wollte (was für ein Irrsinn). FDP-Haushaltspolitiker Otto Fricke warnte diese Woche gar vor „falscher Sparsamkeit“- weil uns diese „schnell teuer zu stehen“ komme.
Nun könnte man sagen, dass das nur für solche großen Katastrophen gilt – für die es selbst in der Regel zur Schuldenbremse entsprechende Ausnahmeklauseln gibt, also zusätzliche Ausgaben erlaubt sind. Nur ist es ja auch nicht das erste Mal, dass in einer Krise plötzlich doch Geld da ist. So wie in den Jahren 2008 und 2009, als es dringend nötig erschien, Banken zu retten. Oder als etliche Flüchtlinge kamen. Da bröckelt das Dogma. Und das meist aus gutem Grund.
Wie widersinnig das Credo vom sinkenden Staatsdefizit sein kann, zeigt sich in solchen akuten Krisen deutlich. Die Frage ist, ob das nicht auch sehr viel grundsätzlicher gilt, also nicht nur in so akuten Fällen, sondern auch auf dem Weg dahin. Ein krasses Beispiel ist derzeit womöglich in Italien zu beobachten: Wenn dort die Coronakrise so dramatische Züge annimmt, liegt das auch daran, dass in den Krankenhäusern zunehmend die Kapazitäten fehlen, um akute Fälle zu behandeln.
Was womöglich nicht der Fall wäre, wenn Italiens Regierungen in den vergangenen Jahren nicht so massiv unter Druck gesetzt worden wären, alle möglichen öffentlichen Ausgaben zu kürzen.
Das Dogma hieß Defizitziel. Noch vor Ausbruch der Eurokrise lagen die Gesundheitsausgaben pro Kopf in Italien in etwa so hoch wie in Deutschland, wie Berechnungen der Pariser Ökonomin Véronique Riches-Flores ergeben. Seither wurden sie in Italien drastisch gestutzt – und liegen heute etwa 40 Prozent niedriger als bei uns. Ein Trend, der jetzt fatal zu wirken scheint.
Die Liste ließe sich verlängern: Ergibt es Sinn, wenn mit Verweis auf angebliche Budgetzwänge Investitionen in die Instandhaltung unserer Infrastruktur über Jahre ausgeblieben sind? Wenn das auf Dauer nicht nur die Wirtschaftskraft des Landes schwächen könnte – es gibt im Land ja nicht zufällig etliche Brücken, die wegen Einsturzgefahr schon heute nur noch behutsam befahren werden dürfen. Müsste die Regierung nicht viel mehr Geld mobilisieren, um den Pflegenotstand zu beheben? Oder sehr viel größere Summen ausgeben, um die viel zu hohen CO2-Emissionen zu reduzieren? Ob im Verkehr oder bei der Wärmedämmung von Gebäuden. Weil uns sonst in ein paar Jahren umso dramatischere Katastrophen drohen? Und dann Menschen sterben, die nicht sterben müssten.
All das lässt sich nicht mit einer Finanzpolitik beantworten, die das jährliche Einhalten von Defizitzielen zum wichtigsten Maßstab gemacht hat.
Klar sollte man die Entscheidung darüber, was auf Dauer nötig ist, deshalb jetzt auch nicht der Willkür überlassen. Was für eine Gesellschaft auf Dauer wichtig und sinnvoll ist, lässt sich nicht im kommunalen Tagesgeschäft oder durch das übliche Gefeilsche der Parteien bestimmen. Dafür bräuchte es neue Maßstäbe dafür, was wir uns leisten wollen.
Und vor allem bräuchte es eine Umkehr der bisherigen Logik – so wie sie die Kanzlerin diese Woche für die akute Krise formuliert hat. Wir müssen erst einmal wieder bestimmen, was wir brauchen und was nötig ist – und dann sehen, was beim Etat rauskommt. Sprich: das Ende einer Politik nach Kassenlage. Das Ende der Regel, nach der bei konjunkturbedingt knapper Kasse alles Mögliche gestrichen wird, damit bloß der Saldo am Ende wieder stimmt.
Es wäre gut, wenn der Corona-Schock zumindest in dieser Hinsicht heilsame Wirkung hätte.
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