Die Pandemie kann in die wirtschaftliche Depression führen. Da reichen weder Kurzarbeit noch gut gemeinte Überbrückungskredite. Jetzt müssen radikale Lösungen her.
Thomas Fricke: Coronakrise – Zeit für das größte aller Rettungspakete
Mit jedem Tag scheint die Coronakrise an Dramatik zuzulegen. Mit jedem Schritt reagieren Regierende wie Notenbanker radikaler, um die wirtschaftlichen Folgen des jähen Stillstands zu begrenzen. Vor ein paar Tagen erst hatte die Bundesregierung im Eiltempo Kurzarbeitergeld erleichtert und fast unbegrenzt Überbrückungskredite zur Verfügung gestellt – nie dagewesen. Schon folgt der nächste Coup: ein Rettungsschirm, ähnlich wie damals bei den Banken, mit dem der Staat für Verbindlichkeiten angeschlagener Firmen geradesteht – und notfalls auch Anteile übernimmt.
Währenddessen wird in den USA das Versenden von Schecks an die Amerikaner erwogen. Und in Großbritannien das Aussetzen der Steuern für Unternehmen für 12 Monate.
All das hätte vor ein paar Wochen noch völlig irre gewirkt – und erscheint in der derzeitigen Lage im Zweifel dennoch eher zu wenig als zu viel. Gut möglich, dass die Regierung in den kriselnden Unternehmen am besten gleich die Rechnungen bezahlen sollte. Und darüber nachdenken, für die Zeit nach der Panik dafür zu sorgen, dass das tief angeschlagene Urvertrauen in Umsatz und Geschäft zurückkehrt.
Weil ein nennenswerter Teil der Wirtschaft gerade auf null gesetzt ist, von Boutiquen bis zu Autowerken, dürfte die Wirtschaftsleistung alles in allem in diesen Wochen um zweistellige Prozentraten schrumpfen. Das hat es selbst zur düstersten Zeit der Finanzkrise 2008/09 nicht gegeben.
Und das Risiko ist: Bis zur Corona-Entwarnung, die derzeit recht weit weg scheint, könnten so viele Firmen pleitegegangen und dann doch Menschen arbeitslos geworden sein, dass der Schaden kaum noch wettzumachen ist – und dem jähen Einbruch kein Aufholen mehr folgt.
Selbstverständlich hilft es schon, wenn es jetzt erst mal sehr viel schneller staatlich subventioniertes Kurzarbeitergeld gibt, damit Unternehmen ihre Leute nicht gleich entlassen müssen, wenn Umsätze wegbrechen. Und wenn es unbegrenzt Kredite für getroffene Betriebe gibt, damit diese ihre laufenden Kosten begleichen können. Und wenn Unternehmen ihre Steuern vom Fiskus gestundet bekommen.
Der Haken ist, dass all das nicht ausreichen wird, wenn nicht bald ein Corona-Wunder passiert. Kurzarbeit kann überbrücken, bringt den Firmen ihr Geschäft aber nicht zurück. Was hilft es, als Boutique-Betreiber zu noch so günstigen Konditionen einen Kredit zu bekommen, um Rechnungen zu bezahlen, wenn der Umsatz ein für allemal verloren ist – und der Kredit nach der Krise dann trotzdem zurückzuzahlen ist. Da wird es in der Zeit nach der Krise für etliche eigentlich bisher solide Firmen schwer werden, wieder zur Normalität zurückzukehren. Und das droht gesamtwirtschaftlich zu dauerhaft labilen Verhältnissen zu führen.
Schön, wenn jetzt Steuern nicht gezahlt werden müssen. Aber blöd auch da, wenn nach der Krise dann umso mehr nachzuzahlen ist und gar nicht so viel Umsatz und Gewinn nachgeholt werden kann. Da ist die britische Idee schon besser, die Steuern ganz zu erlassen, auch wenn das natürlich nicht schön für den zum Haushaltsausgleich neigenden Finanzminister ist. Nur dass selbst das nur einen Teil der Verluste ausgleichen wird, die der aktuelle Absturz für viele Branchen bedeutet.
Das Tückische an dieser Viruskrise ist, dass es auch nicht so sehr viel helfen wird, Bürgern jetzt schnell einen Scheck zu schicken, wie es die US-Regierung vorhat und in früheren Rezessionen gemacht hat. Solange Geschäfte und Werke zu sind, weil es darum geht, die Ansteckungskette zu unterbrechen, ergibt es konjunkturell wenig Sinn, den Leuten mehr Geld zum Ausgeben zu überlassen. Es gibt ja das Angebot nicht.
Auch wirke so ein Scheck nicht wirklich zielgenau, kritisieren die beiden Ökonomen Emmanuel Saez und Gabriel Zucman von der Universität Berkeley. Wer derzeit noch einen Job hat, braucht das Geld nicht unbedingt. Und für die, die ihre Stelle verlieren, wird das Geld kaum reichen, um den Lebensstandard halten zu können.
Ein noch radikaleres Mittel
Saez und Zucman schlagen deshalb ein noch radikaleres Mittel vor: Die Regierungen sollten in der akuten Not als Bezahler der letzten Instanz agieren – und bei allen Unternehmen für die nächsten zwei, drei Monate einspringen, die durch den Corona-Stillstand gelähmt sind, und die weiter anfallenden Kosten übernehmen. Dazu zählen Löhne und Gehälter, wenn sie nicht ohnehin über Lohnfortzahlung oder Kurzarbeitergeld gesichert sind, ebenso wie Laden- oder Büromieten, Zins- und Energiekosten.
Die Unternehmen müssten dann monatlich ihre Kosten melden, um sie vom Fiskus erstattet zu bekommen, schreiben Saez und Zucman. Bis die Krise vorbei ist. Und was zu viel oder zu wenig angegeben würde, könnte später noch einmal abgeglichen werden. Wichtig wäre vor allem, dass das kein Kredit ist, sondern reale Hilfe ohne Rückzahlungsdruck.
Ein teurer Spaß? Die beiden Ökonomen schätzen für die USA, dass in den nächsten Wochen etwa 30 Prozent an Nachfrage ausfallen dürfte, was etwa 7,5 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung entspreche – und dass etwa die Hälfte davon als fixe Kosten vom Staat übernommen werden müsste. Macht gut 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Keine Peanuts, aber auch kein unmögliches Unterfangen. Eher eins, das lohnt. In einer Depression würden dem Finanzminister sehr viel mehr Einnahmen wegbrechen.
So ein Programm wäre eine Art neue Sozialversicherung, so Saez und Zucman, nur aus besonderem Anlass diesmal für Arbeiter wie Unternehmen. Wobei der Bezug der Hilfen bei den Betrieben an Bedingungen gekoppelt werden könnte, etwa dass sie eben keine Leute entlassen.
Wäre dann alles gut? Zumindest wäre das Risiko deutlich reduziert, dass sich aus dem aktuellen Geschäftskollaps eine tiefere Depression entwickelt, bei der sich Pleiten, Arbeitslosigkeit und Rezession gegenseitig verstärken. Was nicht wettgemacht würde, wäre der eigentliche Rückgang des Umsatzes. Da mag der eine oder andere Hosenkauf nach der Krise nachgeholt werden. Nur lässt sich ja nicht alles nachholen. Und: Wenn keiner fliegen will, will eben im Moment keiner fliegen. Umsatz kaputt.
Gut wäre natürlich, wenn sich in der Not so viele Initiativen entwickeln wie möglich, bei denen das ausbleibende Geldausgeben kompensiert wird – entweder darüber, dass kleine Händler Sachen nun vor die Tür stellen; oder die Kids im Livestream Hip-Hop tanzen; oder Sie eine Online-Verkaufsberatung nutzen; oder dass ein jeder das Geld, das er jetzt nicht ausgibt, dafür behält, um es in ein paar Wochen zu tun, vielleicht auch jetzt schon zu bestellen.
Für den Rest der Krisenbehebung müsste nach der Pandemie auch der Staat noch einmal sorgen. Gut möglich immerhin, dass der Schock nachwirkt – und manches Unternehmen noch länger davon abhalten wird, größere Summen zu investieren, und übervorsichtig zu kalkulieren. So wie das nach dem Schock der Finanzkrise der Fall war.
Das spräche für ein auf einige Jahre angelegtes Investitionsprogramm, das Aussicht auf bessere Zeiten bietet. Und vielleicht auch auf krisenfestere. Anderes Thema.
Europas Zentralbank hat eine Woche gebraucht, um in der Not vom bedingten Hilfsprogramm zur Vollsicherungsaktion zu wechseln. Weil es in solch panischen Zeiten offenbar wichtig ist, auch den nervlich angespannten Händlern an den Finanzmärkten etwas zur Beruhigung zu reichen. Und damit jedem Hauch einer Spekulation die Grundlage zu nehmen, es könne doch mal gegen die Italiener gewettet werden.
Gut möglich, dass Frau Merkel und Kollegen bald auch noch einmal nachlegen müssen.
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