Sollten die Robusten wieder arbeiten, damit die Wirtschaftskrise nicht so schlimm wird? Auch wenn sich so wieder mehr Leute infizieren? Eine irre Frage. Es gibt bessere Lösungen.
Thomas Fricke: Coronakrise – Geld oder Leben? Geld fürs Leben!
Etwas mehr als drei Wochen ist es her, dass bei uns darüber sehr ernsthaft diskutiert wurde, ob Herr Hopp beleidigt werden darf oder nicht. Jetzt stecken wir in einer Pandemie. Und es geht im Land plötzlich darum, ob es gut ist, den Tod von Menschen in Kauf zu nehmen, damit die Wirtschaft wieder läuft. Nicht irgendwo in Afrika. Sondern bei uns. In Heinsberg. Bergamo. Berlin. Madrid. Straßburg. München.
Was für ein Schnitt in so kurzer Zeit. Dabei ist das Drama so historisch wie real – und die Geld-oder-Leben-Frage nur leicht zugespitzt.
Tatsächlich hat diese Woche der frühere Goldman-Sachs-Mann Alexander Dibelius zu bedenken gegeben, ob es nicht doch zu drastische wirtschaftliche Schäden mit sich bringt, wenn wir das öffentliche Leben wie seit dieser Woche weitgehend stilllegen – und selbst die Gesunden nicht mehr zum Erhalt des Bruttoinlandsprodukts beitragen können. Wäre es da nicht besser, nur die Alten und sonstigen Risikofälle zu isolieren – und alle anderen wieder auf Schicht zu schicken?
Klingt als Option erwägenswert. Erweist sich bei näherer Prüfung nur als tückisch bis widersinnig. Gut möglich, dass es ohnehin die falsche Frage ist – und die wirtschaftliche Rettung in der aktuellen Krise anders kommen muss.
Richtig ist, dass diese Krise wirtschaftlich dramatische Züge annimmt. In ganzen Branchen sind binnen weniger Tage die Umsätze auf null gefallen, während die Kosten weiterlaufen. In etlichen Fabriken stehen die Bänder und Roboter still. In den USA haben binnen einer Woche schon jetzt drei Millionen Menschen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt. Eine ähnlich dramatische Entwicklung hat es seit der Weltwirtschaftskrise nach 1929 nicht mehr gegeben.
Und noch ist schwer auszumalen, ob das nicht eine ganze Kaskade an Pleiten und Verarmung nach sich ziehen wird. Da scheint der Gedanke erstmal nachvollziehbar, ob es nicht besser wäre, wenn die vermeintlich Robusten schnell wieder arbeiten gehen. Es braucht ja auch nicht viel Fantasie für die Vorstellung, dass so eine Depression im Zweifel noch mehr Tote mit sich bringen wird – aus Verzweiflung oder durch Verarmung.
Gegen den Vorschlag vom Isolieren der Risikomenschen sind in den vergangenen Tagen schon die einen oder anderen Einwände angeführt worden – ob moralische oder verfassungsrechtliche. Auch scheint die Sache fachmedizinisch nicht so einfach – wobei wir an dieser Stelle festhalten wollen, dass wir zu der schwindenden Minderheit im Land zählen, die sich nicht schon immer in der Welt der Virologie auskannte.
Der Drosten in uns sagt aber, dass es gar nicht unbedingt so einfach ist, zu sagen, wer nun definitiv riskiert, das Virus zu kriegen und daran womöglich auch zu sterben – zumal sich das offenbar auch noch ändern kann. Und dann? Sitzen die Falschen auf dem Sofa.
Dann lässt sich auch gar nicht so leicht sagen, wer wieder arbeiten soll. Zumal es Leute gibt, die ja in Krankenhäusern wiederum mit den Kranken in Kontakt kommen.
Statt die allgemeine Quarantäne womöglich zu früh zu lockern, könnte es lohnen, erst einmal sehr viel mehr Geld dafür zu verwenden, die Voraussetzungen genau dafür zu schaffen – und darüber hinaus schon jetzt dafür zu sorgen, dass der Wirtschaft bessere Zeiten in Aussicht gestellt werden. Das könnte mehr helfen, als die Leute in Kürze per se wieder auf Arbeit zu schicken.
Nobelpreisträger Paul Romer hat diese Woche in der New York Times einen ziemlich spektakulär klingenden Vorschlag dazu gemacht. Danach sollte jetzt sofort sehr viel mehr Geld investiert werden, in den kommenden Wochen Tests zu entwickeln, die sehr schnell, früher und viel billiger als bisher anzeigen, ob jemand infiziert ist oder nicht – egal, ob er schon Symptome zeigt oder nicht. Damit ließen sich wöchentliche Screenings machen – und für besonders gefährdete Berufsgruppen etwa in den Krankenhäusern auch tägliche. „Wer bereits immun ist oder das Virus nachweislich nicht hat, könnte dann wieder Arbeiten gehen“, schreiben Romer und sein Kollege Alan Garber von der Harvard University.
Dazu müsse es einen ganz großen Investitionsschub geben in Schutzkleidung – vor allem wiederum für die, die derzeit in Kliniken und Praxen völlig inakzeptablen Risiken ausgesetzt sind. Es hat etwas Groteskes, wenn in einem reichen Land wie Deutschland alle Welt seit Wochen auf Desinfektionsmittel oder Atemmasken wartet. Dann muss einfach so viel Geld mobilisiert werden und so viele Kapazitäten, dass das Zeug hergestellt wird.
„Die Regierung müsste ein Crash-Programm auflegen, damit ohnehin neuere und bessere Schutzkleidung entwickelt wird“, so Romer. Und sie könnte eine „dramatische Mobilisierung der Industrie organisieren und finanzieren, wie wir sie in dieser Krise jetzt brauchen.“
Ähnliches schlägt eine Gruppe europäischer Ökonomen und Mediziner vor. Es müsse jetzt darum gehen, so gut und schnell wie möglich sicherere Wege zu finden, um zu identifizieren, wer schon immun ist und wieder arbeiten kann.
Jetzt wäre es naiv zu glauben, dass das wiederum reichen würde, den wirtschaftlichen Absturz zu stoppen. Wenn Geschäften derzeit Umsatz wegbricht, liegt das ja nicht nur daran, dass sie wegen der Kontaktverbote zumachen. Den meisten Leuten war vor dem Verbot schon die Lust vergangen, noch ins Kino oder Restaurant zu gehen. Der Umsatz wird auch nicht auf Anhieb wiederkommen, wenn die Beschäftigten jetzt wieder zur Arbeit geschickt würden – zumal nach gängiger Warnung die Epidemie noch an Schärfe zulegen wird.
Umso wichtiger wäre, wirtschaftspolitisch alles Mögliche für die Zeit nach der akuten medizinischen Coronakrise dieser Tage zu mobilisieren, um eine Verselbständigung der wirtschaftlichen Krise zu verhindern. Gut ist, dass die Bundesregierung ein beeindruckendes Programm aufgelegt hat, um Geschäften und Unternehmen kurzfristig gegen den Schock zu helfen – Kurzarbeiter zu stützen, Kleinunternehmern Geld zu vermitteln und Steuern zu stunden. Gut ist auch, dass die Euro-Notenbanker nach anfänglicher Irrfahrt alles vorbereitet haben, was nötig ist, um einen großen Euro- oder Banken-Crash ziemlich unwahrscheinlich zu machen.
All das sichert gegen den unmittelbaren Kollaps ab. Auch wenn sein kann, dass die Hilfen bald aufgestockt werden müssen – wenn es darum geht, für viele Betriebe in Not besser gleich auch die Kosten zu übernehmen. Hilft vielen ja wenig, wenn sie jetzt Steuern nicht zahlen müssen, es die Rechnung vom Fiskus dafür aber in ein paar Monaten gibt.
Was sich als noch wichtiger erweisen könnte, um aus der Rezession nicht bald noch eine Depression werden zu lassen, ist aber, den Betrieben und Konzernen Aussicht auf künftige Umsätze zu bieten. Etwa dadurch, dass die Regierung schon jetzt ein großes Wiederaufbauprogramm entwickelt. Dazu könnte das Versprechen gehören, eine Menge Geld in Dinge zu investieren, die wir als Lehre aus der aktuellen Krise dringend brauchen: bessere Ausstattung von Krankenhäusern, mehr präventiver Schutz, bessere Bezahlung von Pflegekräften und anderen, die für unsere Gesundheit sorgen.
Dazu könnten ebenso Investitionen zählen, die uns auch sonst weniger anfällig für derartige Großkrisen machen. Ob für die nächste Virenplage oder ein nächstes Klimadesaster, das ja nach allem, was Experten so sagen, genauso zum nationalen Notstand führen könnte. Ob zum dringenden Gebäudesanieren oder zum Aufbau einer sinnvollen Infrastruktur für die Zeit nach Kohle und Öl.
Dazu könnte für die Zeit nach der Epidemie auch das Verschicken von Geld an die Leute im Land gehören, wie es die Amerikaner gerade tun wollen – um damit die Schäden der Krise zu begleichen oder einfach wieder für Umsatz in den Kassen der Geschäfte zu sorgen. Was noch besser dann wäre, wenn das Ausgeben der Schecks an so einen guten Zweck wie besagten Klimaschutz gekoppelt wäre.
Ein großes Wiederaufbauprogramm über mehrere Jahre könnte die beste Variante sein, um aus dem aktuellen Stillstand kein wirtschaftliches Massensterben von Betrieben über die akute Phase der Epidemie hinaus werden zu lassen. Und es wäre besser, als womöglich zu früh und fahrlässig darauf zu drängen, vermeintlich klare Risikogruppen zu definieren und vermeintlich Ungefährdete wieder zur Arbeit zu schicken.
Müsste halt nur jemand bezahlen, klar. Aber darüber ließe sich dann ja beizeiten wieder nachdenken. Wenn wir darüber diskutieren, ob jemand wie der Herr Hopp mit seinem Kleingeld mal eben Fußballvereine übernimmt – oder, wie sollen wir sagen, das Geld nicht anderswo dringender gebraucht würde.
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