Olaf Scholz ist gegen Euro-Bonds. Sicher, eine Euro-Krise lässt sich derzeit auch ohne sie abwenden. Doch auf Dauer droht der kleinkarierte deutsche Widerstand teuer zu werden.
Thomas Fricke: Coronakrise – Hässliches deutsches Erbsenzählen
Es hat nur wenige Tage gedauert, da war der deutsche Rettungsschirm für Unternehmen aufgespannt. Da waren Schuldenbremsen und andere Schönwetterregeln ausgesetzt. Da funktionierten binnen Stunden neue Kurzarbeiterregeln und Finanzhilfen. Egal, ob das am Ende reicht – oder eher nicht: schneller hätte kaum kommen können, womit das wirtschaftliche Corona-Desaster gestoppt werden soll.
Umso bescheidener wirkt, was die Deutschen in Europa erwirkt haben. Da folgte die Bundesregierung den wirtschaftspolitisch gewöhnlich noch eigensinnigeren Niederländern – und der Grunddevise, dass halt am Ende doch jeder selbst zusehen soll, wie er mit der Krise klarkommt. Egal, wie gut das der eine oder andere gerade noch kann. Bloß keine Euro-Bonds! Weil man dafür ja gemeinsam haften müssen könnte.
Das wirkt jetzt nicht gerade besonders großherzig. Nicht nur, weil es moralisch-menschlich Potenzial nach oben hat, wenn dem Wirtschaftsminister da gerade die klischeegeprägte Sorge vor dauerhaften Ansprüchen wichtiger zu sein scheint als die Frage, wie sich die aktuelle Not bekämpfen lässt. Sondern weil es womöglich furchtbar schlechte Ökonomie ist. Und das Nein zu den Bonds auch die Deutschen teuer zu stehen kommen könnte.
Das Problem ist dabei gar nicht mehr, dass ohne besagte Euro-Bonds in den nächsten Tagen die nächste Euro-Krise droht. Nach Beschlusslage dürfen Länder, die durch Panik auf den Finanzmärkten in Bedrängnis geraten, beim Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM Geld beantragen – was sodann die Voraussetzung dafür schafft, dass die Europäische Zentralbank mit Rettungsgeldern jede weitere Spekulation gegen das betreffende Land stoppen kann. Schon die Ankündigung dieser Sicherung hat gereicht, um die zwischenzeitlich hochgeschnellten Risikoprämien auf italienische Staatsanleihen wieder sinken zu lassen.
Das Groteske an der Lösung ist nur, dass zum einen damit jedes Land, das gerade taumelt, anschließend noch mehr taumeln wird, weil die Kredite zurückzuzahlen sind. Das hilft dem jeweiligen Land dann genauso bedingt, wie es hiesigen Mittelständlern gerade hilft, denen Liquiditätskredite gewährt werden, die sie nach der Krise wieder zurückzahlen müssen – wenn sie dafür bis dahin gar keine Substanz mehr erwirtschaften können.
Zum anderen ist die derzeitige Lösung, alles am Ende de facto über Zigmilliarden-Käufe der EZB auffangen zu lassen, ja nicht unbedingt das, was bei uns in Deutschland als besonders hip gilt, um es vorsichtig auszudrücken. In einem Land, dessen Sparkassenchefs und Orthodoxliberale seit Jahren theatralisch den Untergang des Abendlands beschwören, weil eben die EZB genau das macht.
Ähnlich befremdlich klingt, wenn hierzulande geschimpft wird, gemeinsame europäische Staatsanleihen könnten dazu führen, dass die Zinsen steigen. Ernsthaft? Das sagen die, die seit Jahren sagen, wie furchtbar es ist, dass wir viel zu niedrige Zinsen haben. Wobei gar nicht mal sicher ist, ob die Zinsen so viel höher lägen, wenn die Euro-Staaten eine gemeinsame Anleihe ausgäben. Zwar würden die Deutschen dann zusammen mit Italienern Anleihen ausgeben, die dafür allein in der Regel mehr Zinsen zahlen müssen. Ob der Euro-Bond deswegen zwingend dazwischen läge, ist aber gar nicht sicher. Hinter einer solchen Anleihe stünden ja sehr viele sehr geschätzte Länder als Sicherheit. Ganz schön attraktiv.
Man kann halt entweder niedrige Zinsen doof finden – oder Euro-Bonds. Beides passt gerade logisch nicht ganz stringent zusammen.
Genau hier liegt ja der eigentliche Reiz der Idee in einer instabilen Finanzwelt – selbst für uns. Wenn die Zinsen in Deutschland so niedrig sind, liegt das zu einem guten Teil ja daran, dass bei jeder Krise vermeintlich tollkühne Anleger plötzlich wie Memmen in sichere Anlagen flüchten – wozu neben Gold und Schweizer Franken auch deutsche Staatsanleihen zählen. Was nach dem Gesetze von Angebot und Nachfrage die Zinsen eben sinken lässt. Ohne dass die Deutschen hier und jetzt dafür so viel können – genauso wenig wie Gold etwas dafür kann, dass es immer noch als (mehr oder weniger) sichere Anlage gilt.
Sparer und Finanzminister gleichzeitig zu entzücken ist schwer
Anders ausgedrückt: Da Finanzakteure entegen allem Anschein ziemlich oft nach Klischee und Gewohnheit gehen, haben Deutsche und Schweizer selbstverstärkend einen Bonus – dessen Kehrseite ein regelmäßiger Run in die eigenen Anleihen sowie eben entsprechend niedrige Zinsen sind. Nett für den Finanzminister, der weniger Zins auf seine Schulden zu zahlen hat; weniger gut für Sparer. Beide gleichzeitig zu entzücken, geht halt schwer.
Das Ganze bedeutet für die Länder, die nicht so einen ewigen Bonus haben, nur eben auch, dass sie immer eine Art Wettbewerbsnachteil haben – selbst wenn sie viel konsolidiert haben. Was sich am Beispiel Italien ganz gut zeigen lässt: Anders als es das hiesige Klischee besagt, haben die Italiener ja in den vergangenen zehn Jahren eine Menge gekürzt – darunter viel zu viel auch in Krankenhäusern, wie sich jetzt auf dramatische Art zeigt; ähnlich wie die Spanier, wo jährlich weniger in die Gesundheit jedes Einzelnen investiert wurde. Jenseits der Zinslast machte die Regierung in Italien mehr Überschüsse als unsere.
Nur dass sich das in der Krise jetzt zum einen eben als fatal erweist und zum anderen fiskalisch wenig gebracht hat. Weil all das Kürzen die Wirtschaft nur weiter geschwächt hat – und der staatliche Schuldenabbau mangels Steuerquell so nur schwieriger wurde.
Schlimmer noch: Die Schreckhaftigkeit der Finanzmärkte hat in ohnehin unsicheren Zeiten zur Folge, dass jedes Krisenanzeichen für die Dauerbonusländer starke Zuflüsse an Kapital mit sich bringt – während bei denen ohne Sonderbonus schon kleinere Krisensignale reichen, um Kapitalflucht auszulösen. Das ist ökonomisch absurd und auch menschlich schwer vermittelbar. Und es ist einer der entscheidenden Gründe dafür, gemeinsam Anleihen auszugeben. Dann wirkt der Bonus für alle – und umso mehr, als bei so einer Gemeinsam-sind-wir-stark-Anleihe ja noch mehr volkswirtschaftliche Kraft dahintersteckt.
Wenn das stimmt, ist die akute Coronakrise nur der offenbarste Anlass, damit anzufangen – um europäisch mit dem Geld zum Beispiel ein Programm für den Wiederaufbau der Wirtschaft nach dem Ende der Pandemie zu finanzieren. Das werden wir nicht so viel weniger brauchen als die Italiener oder Spanier, vielleicht sogar mehr.
Dass Länder ohne eigene Fehler in Schwierigkeiten geraten, ist in der aktuellen Krise offenbar. Das heißt nur nicht, dass es sonst immer anders war – und bleiben wird. Wenn die Euro-Krise 2012 eskaliert ist, lag das ja auch nicht einfach daran, dass Italiener und Spanier unsolide gewirtschaftet hatten – sondern daran, dass sich die Finanzpanik damals verselbständigte und zur systemischen Krise wurde.
Da konnten die Regierungen irgendwann machen, was sie wollten. Auch damals schon hätten Euro-Bonds helfen können – um die Panik gar nicht erst eskalieren zu lassen. Dann hätte die EZB gar nicht so massiv intervenieren müssen. So wie jetzt.
Womöglich sind solche und ähnliche Krisen ja sogar eher Regel als Einzelfall. Wie die Ökonomen Adam Tooze und Moritz Schularick schreiben, hat die EU-Kommission selbst in den 1970er-Jahren schon einmal gemeinsame Anleihen ausgegeben – auch damals ging es um eine Krise, die nationale Regierungen überforderte: der Ölpreisschock.
Noch ist nicht absehbar, wie lange die Coronakrise wirken und nachwirken wird. Doch schon jetzt lässt sich erahnen, dass wir vor ähnlichen Schocks danach nicht auf Dauer gefeit sind. Auch wenn es gern ein paar Noten weniger dramatisch sein darf. Sei es, dass es ein weiteres Virus gibt. Oder dass es in den nächsten Jahren zu größeren Klimadesastern über Grenzen hinweg kommt, die ähnlich dramatische Hilfen nötig machen. Oder dass die nächste Finanzkrise wütet und wie einst selbst scheinbar grundsolidere Länder in Schwierigkeiten bringt.
In jedem dieser Szenarien würde es wie jetzt in der Coronakrise schwer fallen, zu sagen, dass diese oder jene Regierung (selbst) schuld ist. Und es wäre schlau, unsere Gesellschaften für solche Schocks widerstandsfähiger zu machen – ob mit mehr Schutzkleidung und besserer Gesundheitsversorgung oder stärker regulierten Finanzmärkten und schnellerem Klimaschutz.
Die Deutschen hätten gerade die Gelegenheit, zu alledem und seiner aktuellen und künftigen Finanzierung einen großen Beitrag zu leisten. Und das Image schnell wieder loszuwerden, mehr ans eigene Geld als an das Überleben anderer zu denken. Das können ja die Niederländer alleine machen.
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