Politiker mobilisieren Billionen, um den Wirtschaftskollaps zu verhindern. Gut so. Schlecht ist, wenn sie das Geld bald wieder zurückhaben wollen. Da droht nach dem Corona-Schock das nächste Desaster.
Thomas Fricke: Corona-Rezession – Die Deutschen müssen sich an hohe Schulden gewöhnen
Wer hat nicht alles schon versucht, Deutschlands schwarze Null zu kippen. Unwohle Sozialdemokraten, griechische Finanzminister, deutsche Intellektuelle, dämliche Kolumnisten. Vergeblich.
Und jetzt? Haben ein paar Tage und ein vermutlich dem Keynesianismus gar nicht zuneigendes Virus gereicht, um die Sache zu erledigen. Auf biologischem Weg sozusagen.
Weil die Pandemie ganze Wirtschaftszweige mumifiziert und etliche Firmen keine Umsätze mehr machen, hat allein der Bund eine dreistellige Milliardensumme Geld mobilisiert, um damit Soforthilfe zu leisten, Überbrückungskredite zu geben oder Kurzarbeit zu finanzieren. Was gut ist. Ähnliches passiert zur möglichen Sicherung ganzer Staaten: Die Europäische Zentralbank hat angekündigt, notfalls alles Geld zu mobilisieren, wenn Staaten in der Eurozone mittels Kapitalflucht das Geld ausgehen sollte.
Nur dass mit dem Regierungsplan eben auch die schwarze Null weg ist – und viele Betriebe bald auch ziemlich viele Hilfskredite zurückzuzahlen haben. Weltweit. Was die Frage aufdrängt, wie wir mit der jähen Überall-Schuldenvermehrung künftig umgehen. Wie und wann das Geld zurückzuzahlen ist. Und ob überhaupt. Damit das Kriseln nach dem akuten Corona-Schock nicht chronisch wird.
Nach ersten vorsichtigen Schätzungen dürfte Deutschland wegen der Krise in diesem Jahr ein Staatsdefizit von mindestens 2,5 Prozent der Wirtschaftsleistung einfahren, wie die Ökonomen des IMK Instituts in Düsseldorf schätzen. Je nach Nutzung all der Hilfsgelder, die von der Regierung gerade angeboten werden, könnte es am Ende sogar Richtung 5 Prozent Defizit gehen.
Damit ist nicht nur die schwarze Null pulverisiert. Selbst die Fetisch gewordene Maastrichter Drei-Prozent-Grenze, die deutsche Stabilitätsapostel über Jahre den Franzosen, Italienern oder Griechen mit typisch deutscher Völkerfreundschaft nahegelegt haben, wäre damit gebrochen, bevor wir uns versehen haben. Das ging jetzt aber doch schnell, könnte man sagen. Pandemie eben.
Der Schäuble in uns wird jetzt sagen, das Geld muss aber zurückgezahlt werden, sobald der Covid-19-Schock vorbei ist. Was im Krisenmanagement derzeit auch schon angelegt ist. Der Bund hat für das Hochschnellenlassen der Defizite die Notfallklausel in der Regelung der Schuldenbremse geltend gemacht – wonach das in Katastrophenfällen eben möglich ist; nur eben die Kredite danach auch rasch wieder abzutragen sind.
Bei einem Gros der Unternehmen, die gerade Nothilfe bekommen, ist das ähnlich angelegt. Da geht es um Kredite, die zurückzuzahlen sind. Oder um die Stundung von Steuern, die dann eben später abzugeben sind. Auch kriselnde Euroländer könnten je nach Regelung bald schon dazu genötigt werden, die Hilfen über Kürzungen oder höhere Steuern wieder zurückzuzahlen.
Ob das realistisch ist? Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Ökonomisch könnte sich der Rückzahlungsreflex als das eigentliche Desaster erweisen.
Schon jetzt wird angesichts drohender roter Zahlen in Kommunen erwogen, Investitionen zu kappen, also Aufträge an Firmen zurückzunehmen, die ohnehin gerade kriseln. Schon jetzt kündigen viele Unternehmen an, Millionen Euro zu sparen, also Gelder zu kürzen, von denen andere leben.
Was, wenn die ganze Welt so hohe Schulden auftürmt?
Kein Unternehmen wird nach Ende des Shutdowns so schnell so viel Geld wieder umsetzen können, um damit wieder alle Fix- und anderen Kosten zu zahlen, zugleich Schulden abzustottern – und womöglich noch in neue Anlagen oder Jobs zu investieren. Das wird ebenfalls dazu führen, dass erst einmal Investitionen zurückgestellt werden, also weniger ausgegeben wird. Zumal der Schock des jähen Corona-Shutdowns ohnehin länger nachzuwirken droht, mancher Betrieb erst einmal vorsichtig bleiben wird, jemanden fest einzustellen oder sich auf Geschäftspartner zu verlassen. Der eine oder andere dürfte einen größeren Teil des Budgets künftig nutzen, um damit Versicherungen abzuschließen; ebenfalls Geld, das für sinnvollere Zukunftsinvestitionen nicht mehr da sein wird.
Was es hieße, Deutschlands Staatssaldo wieder auf die schwarze Null zu bringen, lässt sich anhand der Größenordnungen nur erahnen. Von fünf Prozent Defizit auf null – das sind rund 170 Milliarden Euro, die irgendwo gekürzt oder über höhere Abgaben reingeholt werden müssten. Davon wird im günstigen Fall ein Teil recht schnell wieder reinkommen durch den Wegfall der Hilfsgelder nach Ende der akuten Pandemie. Etwa die Hälfte des Staatsdefizits 2020 könnte allerdings nach den IMK-Schätzungen allein daher kommen, dass Steuereinnahmen wegbrechen und Ausgaben krisenautomatisch steigen. Und der Verlust wird nicht so schnell wettgemacht sein.
Die Deutschen haben selbst unter ziemlich optimalen Bedingungen zuletzt etliche Jahre gebraucht, um bei stetem Wirtschaftswachstum und Nullzins die schwarze Null zu erreichen. So einfach wird es diesmal nicht werden. Sollen dann wieder Renten gekappt werden? Oder die Unterstützung für Arbeitslose? Oder Geld im Gesundheitswesen, wer braucht das schon?
Heikel wird das auch deshalb, weil das Phänomen nach der Pandemie in allen Ecken der Welt ähnlich sein wird. In den USA dürfte das Staatsdefizit dieses Jahr nach Schätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) bei 15 Prozent liegen, in Italien die Staatsschuldenquote womöglich auf Größen um 175 Prozent steigen. Mehr Schulden werden auch Unternehmen überall haben. Und Schwellenländer, aus denen Kapital gerade panikartig abgezogen wurde.
Gut möglich, dass es bald einen Punkt geben wird, an dem die Pandemie unter Kontrolle scheint und die Wirtschaft ziemlich schnell ziemlich viel davon nachzuholen versucht, was in den gruseligen Wochen an Geschäft ausgeblieben ist. Das eigentliche Drama könnte selbst dann aber in der mehr oder weniger langen Zeit danach drohen – wenn alle gleichzeitig versuchen werden, Geld aus ihren Budgets zu holen, um damit Kredite zurückzubezahlen. In einem Umfeld, in dem auf einige Zeit noch Unsicherheit die Geschäfte führt. Und all das nicht nur hierzulande zu passieren droht, sondern so gut wie überall auf der Welt.
Der Ökonom Richard Koo hat dafür einmal den Begriff der Bilanzrezession erfunden. Das Fatale ist, dass die Schulden nicht einmal unbedingt sinken, wenn alle gleichzeitig versuchen, die eigene Bilanz (auf Kosten der anderen) aufzubessern. Die Italiener haben in den vergangenen Jahren zeitweise ziemlich eifrig gekürzt – was sich jetzt fatal im Gesundheitssystem auswirkt. Weil sich alle beim Kürzen der Ausgaben für den jeweils anderen gegenseitig nach unten ziehen.
Das ist eine Pandemie, kein Kirmes-Unfall
Was dagegen hilft? Bestimmt nicht, die Hilfen inmitten der Corona-Pandemie jetzt zu kappen oder die Wirtschaft möglichst schnell wieder wirtschaften zu lassen, als wäre nichts, also den Lockdown zu beenden. Das ist ja eine Pandemie und kein Kirmes-Unfall.
Gerade weil es um eine Pandemie geht, könnte ein genauso ungewöhnlicher Umgang mit den Schulden lohnen. Anders als in gängigen Rezessionen lässt sich ja nicht einmal ansatzweise urteilen, dass die Coronakrise eine Reaktion auf irgendwelche Exzesse oder andere wirtschaftlich-finanzielle Fehlentwicklungen ist, die durch Verzicht nun korrigiert werden (müssen). Was den Gedanken auch eher absurd macht, die Schulden dadurch zu eliminieren, dass irgendwer „schlanker“ wird, wir deshalb auf Investitionen, mehr Klimaschutz oder andere Dinge verzichten müssen – wie das konservative Agenda-Ökonomen gern zu verkaufen versuchen.
Der Schock, den Corona wirtschaftlich ausgelöst hat, ist an sich nicht einmal eine Vernichtung von Werten (das kann es bei längerer Dauer und steigenden Pleitezahlen werden) – sondern etwas, das wegen eines Virus dazu führt, dass gut ausgebildete Leute in (mehr oder weniger) gut geführten Unternehmen in einem unverändert reichen Land für eine Zeit weniger oder nicht arbeiten können. Es wäre absurd, daraufhin jetzt Investitionen in künftige Generationen zu kappen. Und damit nach der Coronakrise womöglich bald eine heftigere Krise, zum Beispiel beim Klima, zu riskieren.
Eine mögliche Lösung wirkt so radikal, wie die derzeitige Krise nun einmal ist: Was an privaten Verlusten durch die Coronakrise in diesen Wochen entsteht, sollte staatlich nicht durch Kredite, sondern viel stärker noch durch Zuschüsse an die Betreffenden so weit wie irgend möglich ausgeglichen werden. Und was dadurch beim Staat an zusätzlichen Schulden entsteht, sollte die Notenbank finanzieren, indem sie das Geld schafft – ohne dass es irgendwer auf absehbare Zeit zurückzahlen müsste.
Das hätte den Reiz, dass alles, was an Schulden durch diesen Schock entstanden ist, aufgefangen würde, ohne dass jemand deshalb anschließend anfangen müsste, wild zu kürzen. Oder Steuern und Abgaben zu erhöhen. Und wir danach viel eher da weitermachen könnten, wo wir vor der Pandemie standen. Ohne für so ein dämliches Virus von der einen Rezession in die nächste Schuldenkrise zu stolpern und über Jahre kaum noch zu wachsen.
„In außergewöhnlichen Zeiten, wie es Kriege, tiefe Depressionen oder eine Pandemie sind, ist es der Job einer Notenbank, den Staat in der alles überragenden Aufgabe zu unterstützen, das Leben und den Lebensunterhalt der Menschen im Land zu schützen“, schreibt Martin Wolf, der Chefkommentator und Kolumnist der „Financial Times“, diese Woche. Was auf der Insel keine Theorie mehr ist: Die Briten wollen genau das jetzt starten und die Notenbank das Geld liefern lassen, damit die Regierung alles machen kann, um das Volk zu schützen. Höchste Zeit, über den vermeintlichen Tabubruch auch auf dem Kontinent nachzudenken.
Kein Wundermittel, so Wolf. Und nur sinnvoll, wenn es so gestaltet wird, dass die Regierung mit dem Geld nicht jeden Unsinn anstellen kann. Nur gibt es dafür ja Mittel und Kontrollen und Parlamente. Auch, wenn es deutschen Ordnungsökonomen Herzrasen bereitet. Es ist halt im Moment nichts in Ordnung.
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