Viele Deutsche lehnen EU-Hilfen für Italien ab: Die haben doch angeblich mehr Privatvermögen als wir, meinen sie, soll deren Regierung davon etwas nehmen und die Schulden zahlen. Klingt märchenhaft. Und das ist es auch.
Thomas Fricke: Coronakrise – Müssen die armen Deutschen für reiche Italiener zahlen?
Wir haben an dieser Stelle vorige Woche nüchtern zu erörtern versucht, ob der eine oder andere Deutsche nicht doch sehr viele Klischees über Italien und seine wirtschaftliche Solidität hat. Worauf der eine oder andere Leser schrieb, dass Italien einfach keine wirtschaftliche Solidität habe. Wogegen andere darauf hinwiesen, dass der Italiener eigentlich viel reicher sei als wir – und sich nun mal selbst helfen solle.
Die Idee scheint hierzulande gerade hohe Anziehungskraft zu haben: Wenn der Italiener so viel hat, soll doch Italiens Regierung einfach das Vermögen besteuern, statt uns irgendwelche Eurobonds aufzuquatschen. Dann könnte sie mit dem Geld die Staatsschulden landesintern abbauen. Was wahrscheinlich deshalb im eher hilfsallergischen Teil der deutschen Bevölkerung gerade für Begeisterung sorgt, weil es zum Nein gegen jede weitere italienische Anfrage taugt. Basta. Und am Rande noch bestätigt, wie gerissen der Italiener ist. Und dass er ja nur wollen müsste.
Jetzt ist es ohnehin schon mutig, mal wieder deutsche Empfehlungen Richtung Süden auszusprechen – wo sich in diesen gruseligen Wochen zeigt, dass unsere Sparempfehlungen aus der vorigen Krise etwa dem Gesundheitssystem Italiens wie Spaniens nicht so richtig gutgetan haben. Da sollte die nächste Empfehlung sitzen, wenn sie unbedingt aus Deutschland kommen muss.
Was ein bisschen wie im Märchen klingt, könnte die Krise in Wirklichkeit schon bei dem Versuch eskalieren lassen, die Zauberidee umzusetzen; und gerade für deutsche Steuerzahler und Sparer teurer werden als, sagen wir, ein paar Eurobonds.
Dabei ist gar nicht so wichtig, ob der Italiener per se reicher ist als der Deutsche. Das hängt auch vom Messverfahren ab. Nach gerade aktualisierten Erhebungen haben die deutschen Haushalte im Schnitt fast 20 Prozent höhere private Vermögen. Nur wird der Goldschmuck in Deutschland sehr viel ungleicher bei denen ganz oben getragen (wofür ja der Italiener nichts kann), der mittlere Deutsche hat deshalb weniger. Auswertungen von Moritz Schularick von der Universität Bonn lassen zudem vermuten, dass die deutschen Vermögen in der gängigen Statistik bisher um ein paar Billionen Euro unterschätzt wurden, weil etwa viel Reichtum nicht gemeldet wurde.
Richtig ist, dass die Privatvermögen – in beiden Ländern – höher sind als die Staatsschulden. Die Italiener besitzen alles in allem Vermögen – ob Aktien, Anleihen oder Immobilien -, die mit gut zehn Billionen Euro um einiges höher sind als die Staatsschulden mit etwa 2,5 Billionen. Nur dass der Befund an sich eben auch für Deutschland gilt, wo Schularick den Reichtum auf mehr als 15 Billionen schätzt – merke.
Die Idee scheint da nahezuliegen, den Privaten einen Teil wegzubesteuern, damit der Staat mit dem Geld seine Kredite abbezahlen kann. Simsalabim.
Komisch nur, dass auf so etwas Tolles bei uns noch keiner gekommen ist. Man sieht doch förmlich, wie die Geldköfferchen aus den Villen an den Finanzminister gereicht werden. Läuft.
Das Problem ist: So eine Volkswirtschaft ist kein Playmobil. Und ganz so glatt wird das ökonomisch nicht laufen. Zumindest dort und jetzt nicht. Eher mit vielen Kollateralschäden.
Um Italiens Staatsschulden deutlicher abzubauen, müssten schon mehr als nur die Topvermögenden ordentlich besteuert werden, bei denen es ja in der Tat nicht gleich an die Existenz ginge. Eher wahrscheinlich, dass eine Menge Italiener dann auch ihren Konsum einschränken müssten – und das mitten in einer Krise, in der alle Welt gerade versucht, den Einbruch von Konsum- und anderen Ausgaben bald nach Lockerung der Ausgangssperren wieder anzukurbeln. Schon das ist eine verstörende Vorstellung.
Die Immobilienpreise dürften einbrechen
Je nach Modus würden bei einem großen Schuldenausverkauf via Vermögensbesteuerung auch die Immobilienpreise in Italien einbrechen – die ohnehin seit 2010 praktisch durchgehend fallen.
Dazu kommt, dass es ja auch (gute) Gründe haben kann, wenn der Italiener relativ viel Geld zurücklegt (ob nun mehr oder weniger als wir). Einer liegt darin, dass in Italien seit jeher mehr Leute in den eigenen vier Wänden leben, was wiederum stark damit zu tun hat, dass es dort wenig Sozialwohnungen, ziemlich hohe Mieten, viel stärkere Familienbindungen, eine geringere Absicherung bei Arbeitslosigkeit und eine seit Jahren hohe Jugendarbeitslosigkeit gibt, wie etwa Antonella Stirati von der Universität Roma Tre sagt. Das führt in Summe dazu, dass Familien von Generation zu Generation sehr viel mehr versuchen müssen, über eigene Rücklagen und Eigentum für Notfälle vorzusorgen.
Umso abwegiger klingt auch der stereotype Verdacht, dass der Italiener per se keine Steuern zahle und das mal endlich machen sollte. Trotz eindeutig ausbaufähiger Fiskalmoral seiner Untergebenen treibt der Staat in Italien Steuern und Abgaben in Höhe von 47 Prozent der Wirtschaftsleistung ein – das ist sogar mehr als bei uns.
Nach den neuen Auswertungen der OECD von dieser Woche wird ein Arbeitnehmer in Italien in etwa so stark belastet wie ein Deutscher. Was übrigens auch daran liegt, dass italienische Regierungen seit der Eurokrise alle möglichen Steuern und Abgaben angehoben haben, um die Staatsschulden zu begrenzen. Nur erklärt das eben auch einen Großteil des Unmuts im Land – und die mangelnde Begeisterung, jetzt noch mehr abzugeben, wie es aus Deutschland mal eben rübergerufen wird.
Gänzlich grotesk wird die Idee von der Münchhausen-Rettung durch italienische Vermögen, wenn man sich vorstellt, wozu schon Andeutungen eines Wegbesteuerns von mal eben zehn oder zwanzig Prozent ihres Vermögens bei Häuslebesitzern führen dürfte (Achtung, Toskana-Fraktion!) – in einem Europa freier Kapitalmärkte, in dem Niederländer, Luxemburger und Iren ohnehin schon eifrig mit Steuerparadiesen werben. Und in dem Anleger bei jedem Kriseln zappelig in megasichere Anlagen wie etwa deutsche Staatsanleihen flüchten – was für die zum Dauerproblem wird, die so einen Sonderstatus als megasicherer Hafen leider nicht haben. Wie Italien.
Freunde von Hans-Werner Sinn: In den entsprechenden Fluchtreflexen liegt auch ein Hauptgrund für die ungleichen Target-2-Bilanzen. Es gehört nicht viel Fantasie zu der Prognose, dass die märchenhafte Steuerumverteilungsidee noch zu viel größeren Target-Gefällen führen würde.
Das tiefere Problem liegt ja nicht in den hohen Staatsschulden Italiens an sich. Da hat Japan seit Jahren viel höhere – ohne dass deswegen das Land unter steter Austerität lebt. Dort gibt es eine Notenbank, die als Retter in letzter Instanz wacht – und gar keine Spekulation über Kapitalflucht aufkommen lässt.
Das Problem liegt darin, dass genau das in der Eurozone mangels Topsicherung eben immer wieder passiert. Was auch daran liegt, dass es in der Eurozone ein Land gibt, das über seinen Uralt-Status als sicherer Hafen ein „exorbitantes Privileg“ hat, wie Daniela Gabor von der University of the West of England in Bristol sagt. Deutschland hat selbst in der großen Krise von 2000 bis 2005 nie ernsthaft mit Kapitalflucht zu tun gehabt – während bei anderen sehr viel weniger reicht. Da schießen die Zinsen dann schnell mal hoch. Nicht gut für einen Finanzminister, der noch viele Altschulden zu bedienen hat. Ein Teufelskreis.
Wenn hier das Problem liegt, hilft es nichts, den Italienern interne Vermögensverschiebeorgien nahezulegen. Weil dadurch das Kernproblem auf absehbare Zeit nicht beseitigt wäre. Und es die Rezession nicht nur in Italien, sondern in ganz Europa nur zu verlängern droht. Und das Land wegen der drohenden Steuer-Arie den nächsten Panikschub der Finanzanleger abbekommt.
Dagegen helfen eher Mittel, die das exorbitante Privileg einiger abbauen. Und die es Italiens Regierung ermöglichen, durch Vergemeinschaftung des Privilegs weiter günstig Geld aufzunehmen, um damit Krisenschäden zu begrenzen, statt den Leuten noch Geld wegzunehmen. Sagen wir, als Beispiel: Eurobonds.
Die können dann auch die Italiener als sichere Anlage kaufen – und ihren Staat so unterstützen. Während die Deutschen mal wieder etwas mehr Zinsen bekommen könnten. Alles weit schöner, als inmitten einer Krise rabiate Steuerabenteuer zu probieren. Was auch für deutsche Steuerzahler eher zum Desaster würde, als jetzt gezielt ein paar gemeinsame Anleihen zur Krisenüberwindung ausgeben zu lassen. Davon haben alle etwas.
Wenn stimmt, was alle Daten zeigen, nämlich dass in Deutschland (weit mehr als anderswo) die Vermögen so atemberaubend einseitig bei wenigen ganz oben konzentriert sind, müssten wir eigentlich vor allem bei uns Vermögen stärker besteuern, unkt Sebastian Dullien vom IMK-Institut. Darüber schon mal nachzudenken, wäre in jedem Fall hilfreicher, als die Leute mit der Geschichte vom armen Deutschen und vom reichen Italiener gegeneinander aufzubringen.
Die Wirklichkeit ist nun mal kein Märchen.
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