Noch lässt sich die ganz große Wirtschaftskrise vermeiden. Die Chancen schwinden jedoch mit jeder neuen Ankündigung von Unternehmen, auf Kürzungskurs zu gehen. Zeit für ein schnelles Konjunkturprogramm.
Thomas Fricke: Corona-Rezession – Das Risiko der zweiten Krisenwelle
Mit Wirtschaftskrisen ist es offensichtlich wie mit Pandemien. Je früher die Gefahr erkannt wird, desto besser lässt sich darauf reagieren – und desto größer sind die Chancen, dass es am Ende glimpflich ausgeht. So glimpflich, dass mancher nachher meint, das sei ja alles dramatisiert gewesen.
Jetzt weiß der ausgeruhte Virologe in uns, dass es in Sachen Pandemie derzeit noch keinen Grund zu gänzlicher Entwarnung gibt. Es spricht nur einiges dafür, dass die Warnungen tatsächlich positiv gewirkt haben – und es gut war, darauf mit Kontakteinschränkungen zu reagieren.
Weit weniger sicher ist, ob das auch für die Wirtschaftskrise gilt, obwohl es auch hier eine Menge Warnungen und Hilfspakete schon gab. Auch wenn Geschäfte und Restaurants gerade wieder aufmachen, und der eine oder andere wieder ins Büro oder in die Fabrik darf.
In Wirklichkeit deutet viel auf ein täglich eher wachsendes Risiko hin, wonach aus einem spektakulären, aber vorübergehenden Teilstillstand der Wirtschaft eine Krise zu werden droht, die sich dramatisch verselbständigt. Damit gäbe es einen umso dringenderen Bedarf, darauf mit einem umso spektakuläreren Wiederaufbaupaket zu reagieren, bevor es zu spät ist.
Eher naiv wirken mittlerweile die ersten Prognosen aus Sachverständigenrat und führenden Forschungsinstituten vom April, wonach die deutsche Wirtschaft zwar drastisch einbüßt, dann aber doch ziemlich schnell aufholt, was für ein paar Wochen nicht erwirtschaftet werden konnte.
Dabei gibt es per se ja durchaus Argumente, die für rasche Erholung sprächen – egal ob im Pandemiemonat April die Wirtschaftsleistung nun um 40 oder 60 oder mehr Prozent eingebrochen ist. Das allein macht noch keine Depression.
Überbrückungskredite als Brücke ins Nirgendwo
Die meisten Unternehmen in Deutschland haben in den vergangenen Jahren enorm viel Geld verdient. Genug, um zwei, drei Monate Umsatzausfall zur Not zu überbrücken. Ein historischer Zufall. Und die Regierung hat im Eiltempo dreistellige Milliarden mobilisiert, um Unternehmen erst einmal liquide zu halten, die Einnahmeausfälle zu überbrücken, Sofortpleiten zu verhindern und Kurzarbeit zu finanzieren, damit nicht gleich die große Entlassungswelle wie in den USA beginnt.
Warum sollten ausgefallene Umsätze jetzt, wo die Wirtschaft wieder hochfährt, nicht rasch wieder auf- und teils sogar nachgeholt werden? Immerhin sind die Leute ja grundsätzlich zum Geldausgeben noch da. In China produzieren die Autohersteller zurzeit schon wieder so viel wie vor der Krise.
Das Kalkül aller Überbrückungs- und Kurzarbeitshilfen baute bis dato genau darauf: dass die Entscheider in den Betrieben dank der Stützen ein paar Wochen Ruhe bewahren und Umsatzausfälle hinnehmen, um nach dem Corona-Stopp wieder Geschäfte im alten Modus zu machen.
Genau hier liegt die Tücke. In Wirklichkeit droht sich gerade im ganzen Land ein Reflex durchzusetzen, der betriebswirtschaftlich naheliegen mag, volkswirtschaftlich aber fatal ist.
Weil den Kommunen dieses Jahr rund 20 Milliarden Euro fehlen, beginnen die lokalen Kassenwarte, Projekte und Investitionen zu stoppen. In Berlin hätte der Finanzsenator am liebsten vier Milliarden Euro im Haushalt und Investitionsfonds gekürzt, um den Großteil des Corona-bedingten Etatdefizits auszugleichen. Nach einer Umfrage der Kreditanstalt für Wiederaufbau sagen 63 Prozent der Stadtkämmerer, dass sie als Reaktion auf die Krise vorhaben, Ausgaben zu kappen; rund die Hälfte will Investitionen aufschieben. Und das, wo kürzlich noch Einigkeit herrschte, dass in Deutschland dringend in Infrastruktur, Schulen und Klimaschutz investiert werden müsste; und landauf, landab Brücken gesperrt sind, weil sie vom Einsturz gefährdet sind. Danke, Corona.
Ähnliche Logik bei der Bahn: Zwar scheint abgemacht zu sein, dass der Bund für einen Teil der Ausfälle aufkommt – und der Bahn-Chef beteuert, dass weder Stellen noch Investitionen abgebaut werden, trotzdem nur irgendwie vier Milliarden an „Personal- und Sachkosten“ zu kappen sind. Vielleicht gerät auch der Kaffee im Bistro noch ein Stück mehr zum Luxuskonsum für das obere ein Prozent. Wegen Corona.
Tui-Chef Friedrich Joussen hat angekündigt, dass trotz aller KfW-Notkredite jetzt weltweit mehr als jeder zehnte Arbeitsplatz wegfallen wird. Nach Umfragen des Ifo-Instituts planen mittlerweile mehr als die Hälfte der Betriebe in Gastronomie, Hotel und Zeitarbeitsbranche, Beschäftigte nicht mehr nur auf Kurzarbeit zu setzen, sondern Stellen ganz zu streichen.
Im Schnitt liegt der Anteil derer, die keine Ruhe mehr bewahren, bundesweit schon bei knapp 20 Prozent, im wirtschaftlich früher einmal mustergültigen Baden-Württemberg sogar darüber. Der Jobabbau sei stärker, als er erwartet habe, sagt Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser.
Das Fatale ist: Solange Zulieferer nicht zufällig vom Mars oder Mond kommen, bedeutet jede Kürzung in den Budgets des einen, dass jemandem anderen Geld weggenommen wird und fehlt. Ob dem entlassenen Arbeitnehmer, wenn er nur noch Arbeitslosengeld bekommt. Oder der Baufirma, wenn der Berliner Senator Investitionen kappt. Was die Spirale fortzusetzen droht, weil der Arbeitslose dann gegebenenfalls auch auf den Kauf des neuen A-Mercedes verzichtet und der Mercedes-Zulieferer die Kosten im eigenen Betrieb kürzt.
Wenn alle sparen, verlieren alle
Klassiker der Konjunkturkrisenlehre. So großartig als Auffangmöglichkeit die Kurzarbeit ist: Wenn in diesem Frühjahr nach Schätzungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB alles in allem fünf Millionen davon betroffen sind, heißt das, dass etwa jeder neunte Erwerbstätige gerade mit bis zu 40 Prozent weniger auskommen muss – und, klar, irgendwo kürzt. Zumal die Sorge mitschwingt, den Job ganz zu verlieren.
Auch hier droht der Schock nachzuwirken. Nach Umfrage der GfK gibt jeder Dritte schon jetzt an, in Zukunft weniger Geld für den Kauf langlebiger Produkte wie Möbel, Autos und Fernseher ausgeben zu wollen. Dabei scheint ohnehin die Vorsicht trotz Öffnung der Geschäfte derzeit noch groß zu sein. Manches Kaufhaus ist zwar offen, aber leer.
Wenn im Land alle Kämmerer, Firmenbosse und Normalos nur noch darauf aus sind oder nicht mehr anders können, als die eigenen Ausgaben zu kürzen und sich selbst zu sanieren, indem sie das Geld vom anderen nehmen oder dort kappen – dann ist das nichts anderes als der beste Garant für ein wirkliches wirtschaftliches Desaster. Für eine Spirale nach unten nämlich, die sich über Monate hinweg zu verselbständigen droht. Und die bald aus ein paar Millionen Kurzarbeitern ein paar Millionen mehr Arbeitslose machen würde.
Der Finanzminister hat bereits ein Konjunkturpaket angekündigt. Höchste Zeit. Ob das taugt, wird sich nicht nur daran messen, ob erneut so eindrucksvoll viel Geld mobilisiert wird, wie es dem Risiko einer historischen Rezession angemessen ist, die für Land und Leute am Ende noch viel teurer würde. Sondern auch daran, wie konsequent alles darin darauf konzentriert ist, Unternehmen wie Verbraucher mit allem, was legal ist, zum Geldausgeben zu animieren – am besten für alles, was auch dauerhaft Sinn ergibt, das Klima schont und gesund ist. Und das es unattraktiv macht, beim kollektiven Kürzen mitzumachen.
Eher beängstigend ist, dass so mancher Haushälter in Bund, Ländern und Kommunen schon wieder Erbsen zu zählen beginnt – und die Ausfälle, die eine Pandemie ohne Verschulden der Leute mit sich gebracht hat, am liebsten gleich wieder ausgleichen würde, indem er den Leuten Geld wegnimmt. Oder wenn Hobbyökonomen wie die Lobbyisten der Familienunternehmer mitten im Abschwung jetzt einen Ausgabenstopp fordern. Seid ihr wahnsinnig? Das ist menschlich absurd, schlechte Ökonomie – und für die wirtschaftliche Zukunft des Landes fahrlässig. Die zweite Welle dieser Krise droht im wahren Drama zu enden.
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