Populisten wie Donald Trump, Boris Johnson und die AfD schwächeln während der Coronakrise in der Wählergunst. Aber die Erfahrungen mit der Spanischen Grippe lassen befürchten, dass die Entwarnung trügerisch ist.
Thomas Fricke: Pandemie und Populismus – Der Schock von rechts könnte noch kommen
Die Gefahr scheint gebannt. Für ein paar Wochen sah es so aus, als wäre die Corona-Pandemie auch Hochzeit für alle, die mit plumpen Sprüchen und rechtsnationalem Gehabe poltern – ob gegen Chinesen oder die vermeintliche Abschaffung von Grundrechten und böse Politiker im Allgemeinen. Jetzt scheint der US-Präsident zu schwächeln, ebenso wie Populistenkollege Boris Johnson. Und auch die AfD wartet noch auf den Wählerbonus fürs Corona-Zetern.
Gefahr vorbei? War das dann doch eher die Krise für bedächtig-etablierte Politiker wie unsere ewig abwägende Kanzlerin? Nicht völlig auszuschließen.
Die Lehre aus der Spanischen Grippe
Gut möglich nur, dass das aktuelle Schwächeln der Poltergeister eher trügt – und der große politische Schock noch kommt. Von weit rechts. Zumindest lassen das neuere Studien zu den längerfristigen Politfolgen der Spanischen Grippe von 1918 befürchten, ebenso wie Auswertungen zu den politischen Effekten vergleichbar gravierender gesellschaftlicher Schocks in jüngerer Zeit.
Welch dramatische Konsequenzen die desaströse Grippe von einst in Deutschland noch Jahre später politisch hatte, lassen erste Auswertungen von Vergleichsdaten zu Grippetoten und späteren Wahlergebnissen erahnen, wie sie der Wirtschaftswissenschaftler Kristian S. Blickle jetzt vorgelegt hat.
Der Ökonom, der bei der New York Fed arbeitet, stellte zunächst zusammen, wie relativ stark – oder weniger stark – einzelne Regionen in Deutschland von der Influenza-Epidemie 1918 bis 1920 getroffen wurden, sprich: Wie viele Tote es dort gemessen an der Gesamtbevölkerung jeweils gab. Um das dann mit den späteren Ergebnissen der NSDAP in den Wahlen von 1932/33 zu vergleichen.
Die Ergebnisse sind in Details noch vorläufig. Der Schluss scheint dennoch eindeutig: In den Regionen, die von der Grippe am dramatischsten getroffen wurden, wählten Anfang der Dreißigerjahre im Schnitt deutlich mehr Menschen rechtsextreme Parteien als dort, wo weniger Leute durch das Virus starben – was erst einmal rätselhaft wirkt. Immerhin lag zwischen beiden Ereignissen ja ein gutes Jahrzehnt. In typischen besonders betroffenen Regionen bekam die NSDAP im Schnitt drei Prozentpunkte mehr.
Dass es einen Zusammenhang zwischen beiden Phänomenen gibt, scheinen die weiteren Auswertungen des Ökonomen nur zu bestätigen. Zufall oder nicht: Just in den Städten mit sehr vielen Grippetoten kürzten die Verwaltungen öffentliche Ausgaben in den Jahren danach stärker als anderswo – vermutlich auch, weil die wirtschaftlichen Schäden und Ausfälle dort größer waren und stärker nachwirkten; und weil in der Epidemie damals vor allem Jüngere starben, also danach entsprechend Arbeitskräfte fehlten.
Wo stark gekürzt wurde, gewannen später die Nazis
Dabei wurden nach Blickles Auswertung in den Zwanzigerjahren überproportional Gelder für Schulen gekappt, ebenso wie für den Erhalt von Straßen. Offenbar fatal: Wo stark gekürzt wurde, gewannen später die Nazis einfacher an Stimmen. Das bestätigt wiederum frühere Studien des Historikers Christoph Meissner, die einen Zusammenhang offenbaren zwischen der regional unterschiedlichen Schärfe von Kürzungen staatlicher Leistungen während der großen Krise nach 1929 – und der Anfälligkeit für rechtsextreme Parteien bis zur Machtübernahme der Nazis.
Was dahinter steckt, könnte neuere populistische Auswüchse erklären, auch jenseits von Pandemien. Der deutsch-britische Ökonom Thiemo Fetzer hat jüngst herausgefunden, dass 2016 in Großbritannien überproportional viele Leute just in den Regionen für den Brexit gestimmt haben, in denen die Regierung ab 2010 besonders stark öffentliche Leistungen gekürzt hat – und in denen es ähnlich wie einst durch eine Grippeepidemie zuvor ohnehin schon stärkere gesellschaftliche Umbrüche gegeben hatte. Im neuzeitlichen britischen Fall waren das vor allem die Folgen des Niedergangs der Industrie.
Ein Phänomen, das etwa im Rust Belt in den USA auch Donald Trump 2016 zugutekam.
Der Mix scheint brisant zu sein: Wenn gesellschaftliche Umwälzungen etliche Schicksale treffen und Regierungen zum Ausgleich fallender Einnahmen Ausgaben für die Menschen zu kürzen beginnen, schürt das die Wut jener, die darüber womöglich ihre Existenz verloren haben. Perfekter Nährboden für die Suche nach Sündenböcken – und Parteien, die genau davon leben.
Jetzt gibt es zwischen der Spanischen Grippe und der Corona-Pandemie natürlich eine Menge Unterschiede. Es gibt heute viel weniger Tote, was hoffentlich so bleibt; damals starben weltweit geschätzt 50 Millionen Menschen. Auch sind vom Coronavirus heute eher Ältere getroffen. Nur könnte das kein Grund zur Entwarnung sein.
Durch Corona sind zwar weniger Menschen gestorben. Die wirtschaftlichen Folgen sind nur eher größer. Und es gibt in diesen Wochen deutschlandweit sieben Millionen Menschen, die das zu spüren bekommen, allein weil sie in Kurzarbeit sind. Was spätestens dann zu persönlichen Dramen führen wird, wenn aus den Kurzarbeitern Arbeitslose werden. Andere drohen ihre Existenz zu verlieren. Oder mit ziemlich vielen Schulden aus der Krise zu kommen. Was wiederum überproportional jene schon jetzt zu treffen scheint, die ohnehin eher schwach dastehen. Ob Soloselbständige oder Minijobber. Oder sonstwie prekär Beschäftigte.
Umso erschreckender wirkt, was sich in Parallele zu den Jahren nach der Spanischen Grippe bereits abzeichnet: Nach einer Umfrage der staatlichen Förderbank KfW planen 63 Prozent der kommunalen Kämmerer, ihre Ausgaben und Investitionen dieses Jahr noch zu kürzen. Und es ist anzunehmen, dass der Hang dazu in den Regionen besonders stark ausgeprägt sein wird, in denen das Coronavirus am stärksten gewütet hat – und mit einiger Wahrscheinlichkeit auch größere wirtschaftliche Folgen hat als anderswo. Wie einst nach 1918/20.
Wenn die Historie etwas lehrt, dann dass so etwas fatale Wirkung entfalten kann. Heißt: Wenn die Wirtschaft sich hier und heute nicht bald ziemlich spektakulär erholt, droht der Mix aus etlichen Brüchen und dem Ausbleiben öffentlicher Leistungen auf Jahre hinaus persönliche Schicksale zu prägen – und gesellschaftlich nachzuwirken wie nach 1918/20. Auch wenn das nicht gleich die Rückkehr der Nazis bedeutet.
Dann könnte in diesen Wochen das Frustpotenzial reifen, das in ein paar Jahren einen neuen Schub für jene Parteien am rechten Rand bringen könnte, die trügerisch einfache Antworten versprechen – und dann oft in Desastern enden.
Jetzt wäre die Zeit, noch mehr zu tun, um genau das zu verhindern – und den Frust erst gar nicht weiter wachsen zu lassen. Etwa dafür zu sorgen, dass Kommunen schnell entschuldet werden, damit sie nicht heillos zu kürzen anfangen, weil gerade Geld in den Kassen fehlt. Und alle Priorität darauf zu setzen, dass Leute ihre Jobs behalten, whatever it takes. Also alles dafür zu tun, dass sich nicht das Gefühl festsetzt, für etwas aufkommen oder verzichten zu müssen, für das die Leute ja nichts können – während unsere lieben Aktionäre die nahende Rückkehr zu alten Topkursen feiern. Das könnte politisch umso schlimmer wirken, wenn es mit dem Gefühl einhergeht, dass Politiker die Kontrolle über solche Irrungen ebenfalls verlieren.
Wenn der Vergleich von 2020 mit 1918 auch nur ansatzweise berechtigt ist, dann droht im Land gerade etwas Fatales zu passieren. Dann gilt es nicht nur ein Virus und eine Rezession zu bekämpfen. Dann sollten wir unserem schönen Land die Daumen drücken, dass es nicht so kommt wie damals.
Und dass jetzt nicht unbedingt der Friedrich-wir-müssen-alle-Staatsausgaben-auf-den-Prüfstand-stellen-Merz Kanzler wird. Zur Freude der Populisten von morgen.
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