Driftet Deutschland wirtschaftspolitisch gerade nach links? Quatsch. Es endet nur womöglich die Zeit, in der Topökonomen mit politisch konservativer bis rechter Schlagseite dominierten.
Thomas Fricke: Wirtschaftslehre – Als der Mainstream von rechts kam
Bis vor einiger Zeit war Stefan Homburg vor allem bekannt, weil er vor Jahren eines der Standardwerke der Volkswirtschaftslehre mitgeschrieben hat, etliche Regierungen beriet und in deutschen Ökonomenkreisen eine Art Star war. Über Jahrzehnte hat er den herrschenden Ton (mit)angegeben.
Jetzt gibt es gleich reihenweise Schlagzeilen darüber, wie der Professor in der Coronakrise auf Ken-Jebsen-Podien auftrat und mutmaßte, wir stünden angesichts der Kontaktbeschränkungen im Grunde im Jahr 1933, als es geradewegs in die Diktatur ging. Wofür es viel Zustimmung von denen gibt, die ohnehin finden, dass uns Frau Merkel nur noch täuscht und manipuliert. Was Homburg ungeachtet offenbarer Corona-Fehlprognosen seinerseits seit Wochen tagtäglich mit allerlei Zahlenmaterial dem Volk als einzige Wahrheit einzutrichtern versucht.
Ein Professor, der zum Chouchou von Wutbürgern und Verschwörungsneurotikern geworden ist? Und der mangelnde Meinungsfreiheit beklagt, um dann die eigene Deutung als einzig mögliche zu deklarieren? Kann vorkommen.
Was Homburg seit Wochen vorführt, könnte nur auch Symptom sein: dafür, wie sehr die Star-Riege deutscher Ökonomie- und Politikberatung über Jahrzehnte von Leuten geprägt wurde, die politisch mit stark konservativer Neigung und Gesinnungseifer die Öffentlichkeit traktierte – und die es nach noch weiter rechts nicht so weit haben.
Späte Korrektur einer politischen Schlagseite
Das wäre auch nicht weiter schlimm. Außer, wenn das, was derlei prägende Starlets den Politikern über lange Zeit eingetrichtert haben, womöglich stärker vom konservativen Weltbild als von wissenschaftlich belastbarer empirischer Evidenz gestützt war – und immer noch ist. Ein deutsches Problem.
Dann wäre das, was sich hierzulande derzeit als Abwendung von der orthodox-marktliberalen Regel abzeichnet, die späte Korrektur einer politischen Schlagseite.
Wie stark der konservative Einschlag war, lässt sich erahnen, wenn man nachverfolgt, was aus so manchem Topinfluencer jener Neunziger- und frühen Nullerjahre geworden ist, in denen marktliberale Dogmen ihre Hochzeit hatten, und es als (einzige) ökonomische Vernunft galt, Löhne zu senken, Sozialausgaben zu kappen und dafür Reiche (Leistungsträger) zu entlasten.
Omnipräsent war damals ein Hans-Olaf Henkel, der als Chef des Bundesverbands der Industrie für die Verschlankung des Sozialstaats durch Sabine Christiansens Sendungen tingelte – und später eine Wahlperiode lang für die Alternative für Deutschland (AfD) im EU-Parlament saß. Bei den Grünen war das Oswald Metzger – heute Kolumnist beim rechtskonservativen Blog „Tichys Einblick“ und bei der mitunter rechtspopulistischen „Achse des Guten“. Ebenso wie Stefan Homburg, der sich wiederum seit jeher auch mit national aufgeladenem Geschimpfe über Südeuropäer und über den Euro meldet. Ein Thema, bei dem so mancher deutsche Einflussökonom ohnehin in das bei Konservativen gelegentlich beliebte Ressentiment-Fach wechselt; da kann man dann tausendmal sagen, dass der Italiener gar keine Außendefizite hat – die hat der, sonst wäre er ja kein schludernder Italiener.
Ein Hauch Realsatire schwingt bei Roland Tichy mit, der zu Hochzeiten des ordoliberalen Pflichtdenkens als Chefredakteur (oder Vize) von Mainstreamblättern wie „Wirtschaftswoche“, „Impulse“ und „Capital“ über Jahrzehnte den Ton angeben durfte und dabei eifrig all jene zu Outlaws erklären konnte, die am heiligen Gral zu zweifeln wagten. Um heute als Herbergsvater für frustrierte Konservative darüber zu klagen, dass es einen Mainstream und angeblichen Meinungsterror gibt. So ähnlich wie Gabor Steingart das gern beklagt, der beim SPIEGEL lange den ordoliberalen Ton vorgab – und heute gern mal „mit den Rechten kuschelt“, wie der Blogger Thomas Knüwer schreibt.
Über Links-Grün klagt heute fast täglich auch der altbekannte Ökonom Ulrich van Suntum, der gern mal „Merkel weg“ twittert, die AfD lobt und ähnlich wie Homburg vor sich hin geistert, dass es bei uns gerade „wie in Hitlers Zeiten“ zugeht. Ein anderer Star der Branche, Harald Uhlig, muss derzeit Ämter ruhen lassen, weil seine Uni in Chicago Rassismusvorwürfe gegen ihn prüft.
Das ist nicht verboten – aber oft ideologisch statt sachlich
All das ist nicht eindeutig? Here we go. Mitte 2005 unterschrieben mehr als 250 Wirtschaftsprofessoren mit viel Nachhall den „Hamburger Appell“, ein bizarrer Höhepunkt ideologisch aufgeladener orthodoxer Ökonomie in Deutschland – und Ausweis für die damalige Dominanz konservativer Weltsicht. Einer der drei Initiatoren: ein gewisser Bernd Lucke. Der Mann, der 2013 die AfD mitgründete.
Noch einmal (damit es nicht wieder heißt, hier werde etwas verboten): All das ist okay, solange es nicht gegen die Verfassung verstößt. Und es heißt nicht, dass Konservative per se zum Rechtspopulismus neigen – natürlich nicht. Es heißt nicht einmal, dass Ökonomen im Schnitt immer konservativ sind; nach einer Umfrage von 2015 würde der Wald-und-Wiesen-Ökonom sogar eher Rot-Grün wählen.
Der Hang ins Konservative scheint eher ein Elitending zu sein – und Beleg dafür, dass es den Betreffenden lange Zeit offenbar ziemlich gut gelungen ist, sich in der Kategorie Topökonomen rechts einzumummeln und abzuschotten. Wozu eine Menge konservative Kronberger Kreise und Ludwig-Erhard-Stiftungen und Bundesbank-Empfänge beigetragen haben dürften. Blasenbildung, bevor es überhaupt Internet gab.
Das Problem liegt in der entsprechenden Schlagseite; und darin, dass allzu offenbare politisch-weltbildliche Neigungen irgendwann mit wissenschaftlicher Sachlichkeit kollidieren. Vielleicht kann die lange währende Rechtslastigkeit auch erklären, warum bei Nicht-Ökonomen der Eindruck entstanden ist, es gehe in der Wirtschaftswissenschaft immer irgendwie darum, dass Menschen verzichten müssen – und Fortschritt nur über Leid entsteht. Jesus! Wofür ja nichts wirklich spricht.
Selbstverständlich passt es zum besagten Weltbild, immer eher für den Abbau von Staatsausgaben zu sein; für längeres Arbeiten und gegen soziale Hängematten und zu hohe Steuern für Reiche. Es ist ja auch kein Zufall, dass nach drei Jahrzehnten eher marktliberalen Dogmas das Gefälle zwischen Reich und Arm viel größer ist als in der Zeit davor. Und jeder Vierte in Deutschland in Billigjobs arbeitet, während die vermeintlichen Leistungsträger an Gehalt in der Regel deutlich zugelegt haben. Und es für jeden Unternehmer heute viel einfacher ist, das Personal nach Bedarf einzusetzen – egal, was die Familie sagt.
Nur muss das deshalb nicht automatisch richtig und ökonomisch effizient sein, wie sich spätestens jetzt zeigt. Anders als viele der einschlägigen Ökonomen gewarnt hatten, hat die Einführung des Mindestlohns nicht zur Katastrophe am Arbeitsmarkt geführt. Der Traum von der staatlichen Sparsamkeit hat umgekehrt fatal dazu beigetragen, dass zu wenig in Schulen, Unis, Straßen, Schienen und ähnliches investiert wurde. Sozialleistungen zu kappen, gefällt zwar konservativen Hängemattenneurotikern, hat aber Studien zufolge dazu beigetragen, dass es Wutbürger und Rückenwind für Populisten gibt. Und in der Pandemie wirkt plötzlich abwegig, wie schlecht existenziell wichtige Pflegekräfte und Kassiererinnen bisher bezahlt wurden – weil das der Markt so wollte.
Marktkräfte allein helfen nicht bei Pandemien
Längst hat sich herausgestellt, dass weder Klassiker wie das Anbeten von Marktkräften, noch urige Appelle an die Eigenverantwortung helfen, wenn es Klimakrisen, Pandemien oder Populismus abzuwenden gilt.
Wenn das stimmt, ist es höchste Zeit, die Schlagseite zu korrigieren. Dann ist gut, wenn in Deutschland schon jetzt eher wieder Konsens darüber herrscht,
- dass durch Verzicht und Abbau allein keine wirtschaftliche Dynamik entsteht;
- oder dass es darum gehen sollte, nicht ob, sondern wie der Staat möglichst effizient in die Zukunft investiert;
- oder dass die Klimarettung einfach auch staatliche Programme braucht;
- und nicht mehr ernsthaft darüber gestritten wird, ob es in einer dramatischen Pandemiekrise ein Konjunkturpaket geben sollte, sondern wie das am besten aussieht.
Unter jüngeren Ökonomen, die oft international ausgebildet wurden, ist der alte politische Hang ohnehin nicht mehr so präsent. Was wiederum erklären könnte, warum mancher der alten Kämpfer und Homburgs und Tichys heute so wütend darüber ist, dass es nicht mehr wie früher ist – wo der wirtschaftspolitische Mainstream im Hause weilte.
Das hat dann nichts mit Abgesang auf die ökonomische Vernunft zu tun. Eher mit der Rückkehr zu etwas, was politisch weniger einseitig motiviert ist; und bei dem nüchterne Erkenntnis wieder mehr zählt als die eine oder andere Gesinnungsnote. Nach Jahrzehnten verquaster Experimente.
Eine Katastrophe für Konservative? Unsinn. Auch für eine Partei wie die CDU ist nicht in Stein gemeißelt, immer nur dem Markt zu huldigen und per se weniger Staat zu fordern. Das war selbst unter Ludwig Erhard ja nicht so, als es viel mehr Regulierung und höhere Spitzensteuersätze gab – lange vor dem globalen Wiedereinzug marktrabiater Träumereien, zu Zeiten von Reagan und Thatcher, als das Unheil begann.
Als die CDU vor ziemlich genau 75 Jahren gegründet wurde, stand in den Leitsätzen sogar noch etwas vom „wahren christlichen Sozialismus“, den es anzustreben gelte. So schlimm muss es ja nicht kommen.
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