Erst gab es für Deutschlands Wirtschaft in der Coronakrise immer neue historische Absturzrekorde. Jetzt vermelden Auguren plötzlich Rekordanstiege. Wird alles gut? Vorsicht, Täuschung.
Thomas Fricke: Corona-Rezession – Trügerische Boomsignale
Zumindest für Fetischisten gruseliger Superlative hatten die vergangenen Wochen eine Menge zu bieten. So stark wie in der Coronakrise, hieß es, sei die Wirtschaft seit den düsteren Dreißigerjahren nicht mehr abgestürzt – als, wir erinnern uns, Millionen Menschen arbeitslos waren und das Desaster in einem Weltkrieg endete. Noch nie habe es so viele Kurzarbeiter gegeben. Und noch nie habe die Autoindustrie so abrupt und drastisch ihre Produktion herunterfahren müssen. Noch nie habe eine Regierung so schnell so viele Schulden gemacht. Krise im Superlativ.
Und jetzt? Melden Auguren plötzlich, dass gängige konjunkturelle Frühindikatoren ebenso rekordverdächtig wieder hochschießen. Wie diese Woche. Noch nie sei der Ifo-Geschäftsklimaindex in einem Monat so stark gestiegen, war zu lesen. Noch nie hätten befragte Einkaufsmanager so schnell wieder ihre Einschätzung geändert. Was grafisch aussieht, als wäre es ein V.
Kommt nach dem Stakkato der Horrorbefunde jetzt die tolle Zeit der Boomfantasien? Gut möglich. Nur droht hinter den vielen Positivmeldungen mehr Schein als Wirklichkeit zu stecken. Was allein an den Tücken der gängigen konjunkturellen Frühindikatoren liegt. Die wahren Belege dafür, wie schwer die Krise noch zu werden droht, könnten riskanterweise erst nach dem Sommer kommen. Ein Aufklärungsversuch.
Die Tücken wirken zum Guten wie bisher zum Schlechten. Bei näherer Betrachtung waren schon die mathematischen Vergleiche zu historischen Großkrisen eher schräg. Selbstverständlich kommen ziemlich spektakuläre Umsatz-Absturzraten heraus, wenn, sagen wir, ein Restaurant von einem Tag auf den anderen schließen muss, weil die Leute Angst haben, sich anzustecken. Minus 100 Prozent. Für die betreffende Zeit kommen dann im Schnitt ebenso eindrucksvolle Schrumpfungswerte für die Wirtschaft insgesamt heraus.
Das allein schon mit den Dreißigerjahren in Verbindung zu bringen, ist nur gaga – damals steckte dahinter ja nicht eine abrupte Unterbrechung aus Vorsicht vor einem Virus, sondern der Kollaps eines Bankensystems und das Ausbleiben von Regierungshilfen.
Wohlstand im Durchschnitt?
Entsprechend gaga ist auch zu fabulieren, dass wir durch das Minus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) jetzt auf das Wohlstandsniveau vor zehn Jahren zurückgefallen sind, wie das eine große Wirtschaftszeitung dieser Tage schrieb. In den Schockwochen vom Frühjahr ist eine Zeit lang sehr wenig erwirtschaftet worden, wodurch besagtes BIP übers Jahr allein rechnerisch deutlich niedriger ausfällt. Unsinn. Das hat mit dem Wohlstand an sich ja noch nichts zu tun.
Wenn es wie jetzt kracht, dann schrumpft nicht das Wirtschaftswachstum, wie es Hobbykonjunkturexperten gern notieren – was ja schon logisch widersinnig ist. Dann schrumpft die Wirtschaftsleistung. Und wenn etwas schrumpft, kann es ja nicht gleichzeitig wachsen.
Als tückisch erweisen sich in der Corona-Schockkrise auch jene Frühindikatoren, die auf Umfragen basieren – wie der beliebte Ifo-Index. Da werden die Firmen gefragt, ob sie für die kommenden drei Monate mit steigenden oder fallenden Geschäften rechnen. Kein Wunder, dass darauf im März und April erst einmal alle „fallend“ gesagt haben, als die Coronakrise losging. Rumms, Index-Absturz.
Nur dass das nicht viel darüber aussagt, wie viel jetzt an Wirtschaftsleistung insgesamt wirklich ausgeblieben ist und bleibt. Hinter ein und demselben Index-Rückgang kann somit stecken, dass alle nur ein bisschen weniger Umsatz erwarten – oder alle ganz viel. Das Erste ist recht harmlos, das zweite ein Desaster – lässt sich aus den Ifo-Daten aber nicht näher bestimmen.
Genau hier liegt auch jetzt die Tücke in umgekehrter Richtung. Es reicht, wenn nach Lockerung der Kontaktbeschränkungen und Angstwellen so gut wie alle wenigstens ein bisschen mehr wieder umsetzen, was ja nach Wiederöffnung eines Geschäfts nicht so schwer ist. Schon schießen die Ifo-Werte so spektakulär hoch wie diese Woche. Nur, ohne dass dies etwas darüber aussagt, wie viel Wirtschaftsleistung insgesamt jetzt aufgeholt wird. Wenn bei allen nur ein bisschen mehr erwirtschaftet wird, geht der Ifo-Index genauso beeindruckend ab, wie wenn es überall so richtig zu rauschen beginnt.
Dazu kommt noch eine Tücke der Mathematik. Wenn in der Autoindustrie die Produktion auf nur noch 15 Prozent der Vorkrisenzeit gefallen ist, reicht schon wenig Wiederhochfahren, um 100 Prozent Steigerung zu melden – womit nur die betreffende Branche nicht ansatzweise wieder auf Vorkrisenniveau kommt; und, wenn das so bleibt, in Kürze damit begonnen wird, massenhaft Leute auf die Straße zu setzen. Damit käme Deutschland tatsächlich sehr viel näher an das Szenario der Dreißigerjahre.
Entsprechend ernüchternd wirkt, was etwa die jüngsten Ifo-Umfragen bei näherer Betrachtung ergaben: Trotz der scheinbar spektakulären Besserung gegenüber den gruseligen Corona-Monaten schätzt eine deutliche Mehrheit der Firmen die eigene Geschäftslage selbst im Juni – also eindeutig nach Ende der Kontaktverbote – noch als „schlecht“ ein. Und: Es gibt nach wie vor genauso viele Unternehmen, die für die nächsten drei Monate noch einmal schlechtere Geschäfte erwarten (als ohnehin schon), wie solche, die wenigstens Besserung erwarten – obwohl es nach Aufhebung des Schockzustands tendenziell doch überall besser werden müsste.
Offenbar hält das Kriseln derzeit auch deshalb in vielen Industriebetrieben an, weil internationale Lieferketten unterbrochen sind oder die Nachfrage aus dem Ausland fehlt. Auch in Sachen Export gibt es derzeit nach Ifo-Umfragen in der Wirtschaft noch mehr Pessimisten als Optimisten. Eine wirkliche Besserung sieht anders aus. Da könnte die deutsche Exportlastigkeit fatal wirken. Was wiederum erklären könnte, warum ähnliche Umfragen unter Einkaufsmanagern etwa für Frankreich zuletzt sogar positiver ausfielen als bei uns. Obwohl wir doch als robuster galten.
Konjunkturhilfen: Jetzt nicht nachlassen!
Zum regelrechten Drama könnten die Fehldeutungen werden, wenn vor lauter scheinpositiver Meldungen außer acht gerät, dass die Krise erst dann gebannt sein wird, wenn nicht nur tendenziell wieder mehr erwirtschaftet wird, sondern auch die alten Niveaus wieder erreicht werden. Ganz zu schweigen von dem noch viel dramatischeren Szenario einer zweiten Corona-Welle. Wenn das Erwirtschaftete noch länger darunter bleibt, reicht eine einfache Rechnung, um sich auszumalen, dass Firmen bald massenweise anfangen werden, die (derzeit kurzarbeitenden) Belegschaften abzubauen, die ja auf die alten Geschäftsniveaus angelegt waren.
Gefährlicher noch: dann drohen vor lauter Schein-Boom-Signalen auch Deutschlands bislang eifrige Konjunkturpolitiker zu spät zu reagieren. Und zu erkennen, wie dringlich ein zweites Konjunkturpaket werden könnte.
Das Dramatische an der Coronakrise ist nicht, dass für ein paar Wochen die Umsätze im prozentual-mathematisch-historischen Vergleich atemberaubend fielen. Das ließ sich mit Rücklagen und Konjunkturhilfen und Kurzarbeitersubvention für die meisten relativ glimpflich auffangen (ohne damit die Dramen für viele kleinzureden). Die wahre Krise droht, wenn jetzt nicht schnell gelingt, wieder zu den Vorkrisengeschäften zurückzukehren. Da reichen ein paar arithmetisch eindrucksvolle Wachstumsraten von niedrigem Niveau nicht.
Wenn die Corona-Schocks der vergangenen Wochen auch nur zu einem Teil dafür verantwortlich sind, dass Karstadt-Kaufhof Dutzende Kaufhäuser schließt, Tausende auf die Straße setzt und damit ganz nebenbei die Verödung von Innenstädten zu beschleunigen droht, ist das ein Alarmsignal. Ebenso wie die Ankündigungen etlicher anderer Konzerne, wegen Corona Arbeitsplätze abzubauen. Oder wie das Rumbrabbeln des einen oder anderen Politikers oder Lobbyisten, man müsse jetzt zum Abbau von Schulden schon mal zu kürzen anfangen.
All das droht aus der Schockkrise erst die wahre Krise zu machen. Und dann droht die Wirtschaft über Jahre zu schwächeln – und rekordverdächtig würde vor allem die Arbeitslosenstatistik ausfallen.
Ob es soweit kommt, wird sich aus den hippen Konjunkturwerten der kommenden Wochen nur schwer ablesen lassen. Wer dazu neigt, eher neurotisch auf übermäßige Ausschläge beim Ifo-Geschäftsklimaindex zu reagieren, sollte besser für ein paar Wochen gar keine Konjunkturnachrichten lesen. Das bringt gerade ohnehin nichts.
Schönen Urlaub.
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