Geld allein garantiert kein schönes Leben, klar. Trotzdem sind Reiche zufriedener – und darin könnte der eigentliche Grund für Wutbürgertum und Unmut im Land liegen.
Thomas Fricke: Reichtumsgefälle – Geld macht doch glücklich
Es gehört zu den Kuriositäten deutscher Statistik, dass es zu so ziemlich allem eine Erhebung gibt – ob zur durchschnittlichen Ehedauer bei Scheidungen (14,8 Jahre) oder zur Zahl der Beschäftigten in der Herstellung von Gummiwaren (zuletzt minus 4,5 Prozent).
Umso erstaunlicher ist, wie wenig bislang darüber bekannt ist, wie viel Vermögen die Reichsten im Land haben. Dabei steckt dahinter womöglich eines der gravierendsten Phänomene der vergangenen Jahrzehnte, in denen ein kleinerer Teil der Leute ziemlich reich wurde – die meisten aber nicht.
Wie stark das Reichtumsgefälle bisher unterschätzt wurde, lassen ganz neue Berechnungen erahnen – wonach die finanziell obersten zehn Prozent in Deutschland allein rund zwei Drittel des Reichtums im Land halten; während das halbe Land am Ende des Monats gar nichts oder zu wenig übrig hat, um irgendetwas zu sparen, was den Begriff des Vermögens rechtfertigen könnte.
Das könnte mehr als vieles andere erklären, was im Land derzeit an Unmut zu beobachten ist. Wie die Erhebungen ebenfalls ergaben, sind die reicheren tatsächlich auch die glücklicheren Leute. Was für den viel zitierten Zusammenhalt der Gesellschaft ein Problem wird, wenn die anderen kaum Chancen haben nachzuziehen oder sich die Chancen eher noch verschlechtern.
Dass Geld (allein) nicht glücklich macht, gehört zu den beliebtesten menschelnden und zugleich marktkonformen Phrasen unserer Zeit. Zumindest als Trostspruch für weniger Bemittelte. Davon leben ganze Klatschblätter. Was auch Studien zu beweisen schienen, wonach zumindest ab einem bestimmten Einkommen das Glück gar nicht mehr zunimmt. Siehste, Erna.
Wie eine aktuelle Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung vermuten lässt, könnte die Alltagsweisheit zwar für jenes Glücksempfinden gelten, das ein hinlänglich hohes laufendes Einkommen Monat für Monat so mit sich bringt. Doch bei den Vermögen, die sich im Laufe der Zeit auf Depots und Konten und via Haus- oder Firmenbesitz so angesammelt haben, wirkt der Zaster offenbar doch glückssteigernd. Wohlhabende und Millionäre sind den Auswertungen zufolge sowohl glücklicher mit ihrer Gesundheit, als auch mit ihrer Familiensituation – und mit ihrem Leben insgesamt. Was ja schon mal ganz schön ist.
Was dahintersteckt, könnte es in sich haben. Wer einmal eine oder mehrere Millionen an Vermögen hat, muss sich schon ziemlich blöd anstellen, um in seinem Leben noch einmal mit der Sorge konfrontiert zu sein, am Monatsende kein Geld mehr zu haben. Selbst wenn die Erträge auf das Vermögen mal nicht reichen, um den Lebensunterhalt zu finanzieren.
Da gibt’s keinen Ärger mit Vermietern. Da kann man mal einen Job hinschmeißen, ohne schon einen neuen zu haben. Da kann es im Rest des Landes auch mal ordentlich kriseln. Und selbst eine Corona-Pandemie lässt sich in der Villa bei entsprechendem Vermögen zur meditativen Wohlfühlphase umdeuten.
Jenseits aller Freude, die wir darüber empfinden (zum Glück neigen wir nicht zum Neid), hat das nur auch eine Kehrseite. Wenn derlei finanzielle Sicherheit die Wohlhabenden und – mehr noch – Millionäre so spürbar zufriedener macht, heißt das, dass es den unteren 90 Prozent im Land an Zufriedenheit gelegentlich mangelt; in der unteren Hälfte fällt das Glücksempfinden in der Tat im Schnitt spürbar geringer aus.
Zumal der Mangel für viele seit jener Zeit zugenommen haben muss, in der mittels gelobter Flexibilisierung am Arbeitsmarkt das Risiko deutlich zugenommen hat, während des eigenen Berufslebens abzusteigen – und plötzlich zehn oder zwanzig Prozent weniger Einkommen zu haben. Was wiederum erklären könnte, warum hohe laufende Einkommen allein nicht so endlos Glück bringen.
Entscheidend ist dann womöglich gar nicht die Höhe des laufenden Einkommens, sondern das, was an Vermögen angesammelt wurde. Zwar kann auch das verloren gehen, wie einzelne historische Beispiele zeigen, etwa die Hyperinflation der 1920er-Jahre. Nur ist das offenbar doch kein real erspürtes Risiko. Und zu Recht.
Wenn das stimmt, ist auch der Hinweis müßig, dass in Deutschland zwar das Reichtumsgefälle an sich im internationalen Vergleich enorm hoch ist, die Deutschen aber doch ein so tolles Rentensystem haben, das auch nominell weniger Betuchten Geld und Sicherheit fürs Alter bietet. Selbst wenn man die Rentenansprüche einzurechnen versucht – wie es jene eher konservativ Geneigten gelegentlich tun, die das Gefälle am liebsten wegrechnen würden -, bleibt Deutschland ein ziemlich ungleiches Land.
Wobei ohnehin fraglich ist, ob das hiesige Rentensystem wirklich noch so glücklich und sorgenfrei macht, wenn den Leuten seit etlichen Jahren eingetrichtert wird, dass die Rente nicht reichen wird. Und Rentenansprüche ohnehin eher noch gekürzt werden müssten. Sicherheit ist anders.
Es spricht viel dafür, dass es an sich kein großes Problem sein muss, wenn in einer Gesellschaft ein paar Leute sehr viel Geld haben. Natürlich lässt sich auch mit weniger Mitteln glücklich leben – solange das Leben dann nicht zum Glücksspiel wird und das eigene Schicksal von Dingen abhängt, die man selbst schwer beeinflussen kann – was nach Erkenntnissen der Psychologie zu den größten Stress- und Depressionsfaktoren zählt. Hier liegt die Krux.
Es gibt mittlerweile Studien, die für Deutschland wie für andere vergleichbare Länder zeigen, dass Menschen vor allem in solchen Regionen zu Wutbürgern werden und verstärkt rechte Populisten wählen, in denen es wirtschaftliche Brüche gegeben hat, sprich: plötzliche Krisen, die Jobs und Einkommen gekostet haben, wodurch Sicherheit und Kontrolle übers eigene Schicksal verloren ging. Was Hochvermögende so nicht kennen.
Das könnte sogar miterklären, warum es etwa just im Osten Deutschlands so viel Unzufriedenheit und AfD-Wähler gibt. Nirgendwo in Deutschland leben den DIW-Berechnungen zufolge so verschwindend wenige Vermögende wie dort – nur sechs Prozent aller Millionäre in Deutschland.
Sprich: Nirgendwo hängt das Glücksempfinden so daran, wie gut es wirtschaftlich gerade läuft. Und nirgendwo gab es seit der Wende so viel Umbruch. Und seit Jahren so auffällig viel Sympathie für Radikale. Ähnlich sieht es im Westen in jenen Regionen aus, in denen Menschen ebenfalls große Strukturbrüche zu spüren bekommen haben.
Es könnte sich bald umso fataler auswirken, dass es in Deutschland selbst in mehr als einem Jahrzehnt steten Wachstums und sinkender Arbeitslosigkeit nicht gelungen ist, die Ungleichheit abzubauen – weder bei den Einkommen (wo das bestenfalls ganz zart der Fall ist), noch bei den Vermögen, wo die Kluft atemberaubende Ausmaße angenommen hat. Schon, weil Schätzungen zufolge etwa die Hälfte aller Vermögen im Land einfach familienintern vererbt worden sind. Das führt auch das altorthodoxe Ökonomenversprechen ad absurdum, wonach wirtschaftlicher Erfolg am Ende ganz automatisch allen zugutekommt. Pustekuchen.
Das Gros der Vermögenszuwächse ist bei den oberen zehn Prozent geblieben – während am unteren Ende die Unsicherheit seit Hartz-Reformen und Expansion der Billiglohnsektoren zugenommen hat. Denen nimmt auch die Coronakrise als Erstes die Sicherheit.
Zwei Leben. Zwei Welten. Hier liegt das Drama.
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