Noch ist offen, ob die Hilfspakete gegen die Corona-Depression reichen – da machen Ökonomen in Deutschland Panik, jetzt komme (doch noch) der Sozialismus. Das ist völlig abwegig. Und riskant.
Thomas Fricke: Corona-Hilfen – Die absurde Angst vor der Staatswirtschaft
Es gab Großkrisen wie den Finanzkollaps 2008, da kritisierten weltweit Experten, wie gemächlich deutsche Minister und Notenbanker dereinst Krisenmanagement betrieben. Anders als die Kollegen in den USA, Japan oder Großbritannien, die schwups Multimilliarden gegen den Absturz mobilisierten. Motto in Deutschland: nicht zu viel ausgeben.
Jetzt ist wieder Großkrise: Corona – und unsere Regierenden sind bei den ersten und eifrigsten. So viel Hilfspaket war nie, scheint’s. Ob die Hunderte Milliarden, die der Bund als Überbrückungs- und Konjunkturhilfen darbietet. Oder die Dreiviertelbillion, die von den EU-Chefregenten diese Woche beschlossen wurden.Jetzt ist wieder Großkrise: Corona – und unsere Regierenden sind bei den ersten und eifrigsten. So viel Hilfspaket war nie, scheint’s. Ob die Hunderte Milliarden, die der Bund als Überbrückungs- und Konjunkturhilfen darbietet. Oder die Dreiviertelbillion, die von den EU-Chefregenten diese Woche beschlossen wurden.
Schon kursieren hierzulande wieder Sorgen. Dass das alles zu viel ist. Und völlig maßlos. Was so mancher Bedenkende mit ordnungspolitischer Endzeitstimmung auflädt. Als stünde der Einzug des Sozialismus unmittelbar bevor. Und der Russe vor der Tür (wie man zu Mauerzeiten sagte). Dabei ist nicht einmal sicher, dass die bisherigen Interventionen reichen, um eine Dauerkrise der Privatwirtschaft in die Depression zu verhindern. Und vor allem, ob es nicht höchste Zeit wäre, sich angesichts all der großen Krisen, die uns immer wieder überkommen, von den staatsneurotischen Reflexen aus Kalte-Kriegs-Zeiten zu lösen.
Klar, hören sich die Summen beeindruckend an, die seit Wochen besprochen und mobilisiert werden, um in der Coronakrise eine wirtschaftliche Abwärtsspirale zu verhindern. Nur: Ist unser Land deshalb auf direktem Weg in die „Staatswirtschaft“? Mit „wachsender Tendenz zum Staatsdirigismus“, wie der BDI-Chef Dieter Kempf vermeldet? Ist der Staat per se „als großer Planer zurück“, wie Altorthodoxe à la Jürgen Stark befinden? Honeckers Comeback? Ist plötzlich im Land nicht mehr freier Wettbewerb, sondern nur noch alles verzerrt? Und marodieren jetzt die Zombie-Firmen, weil auch schwache Firmen gerettet werden?
Im Vergleich noch wenig Schulden
All das klingt schon deshalb ein wenig irre, weil die eine oder andere Relation außer acht geraten scheint. In Deutschland dürfte die Quote der Staatsausgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt dieses Jahr zwar über 50 Prozent steigen, wie die Ökonomen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft schätzen. Nur liegt das zu einem Gutteil schlicht daran, dass das BIP 2020 so stark sinkt, also der Nenner. Nächstes Jahr liegt die Quote auch schon wieder unter 50 Prozent.
Die Quote der Staatsschulden wird derweil trotz des vermeintlich sozialistischen Megapakets 2021 bei gerade einmal knapp über 70 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen; davon träumen die meisten Länder der Welt. Ähnliches gilt für das, was die EU-Regierungschefs diese Woche beschlossen haben: Die direkten Hilfen, die es via Wiederaufbaupaket geben wird, entsprechen jährlich de facto gerade einmal ein Prozent der Wirtschaftsleistung in der Union.
Ist eben ein großer Wirtschaftsraum. Damit ist selbst bei bestem Willen kein Kommunismus zu machen. Fraglich ist eher, ob das Geld angesichts von Rückgängen des BIP zwischen sieben und zehn Prozent überhaupt reicht, um die Gefahr einer tieferen Depression nennenswert zu reduzieren. Im Herbst laufen vielerorts die nationalen Hilfen und Subventionen etwa für Kurzarbeit aus.
Eher kurios wirkt das Gezeter über die drohende Staatswirtschaft vor allem deshalb, weil der eine oder andere Sorgenträger gerade Ursache und Wirkung – oder Krisenherde und Feuerwehr – durcheinanderzubringen scheint. Es ist ja – nach allem, was wir wissen – nicht so, als hätten sich ein paar Schelme im Finanzministerium von einem Tag auf den anderen überlegt, in Deutschland den Kommunismus einzuführen. Man müsste ja eher so sagen: dass unsere Privatwirtschaft gewisse, sagen wir, Schwierigkeiten hatte, mit dem Angstschock umzugehen, den die Corona-Pandemie im März fast weltweit auslöste. Umsatzkollaps. Schon vor den Kontaktbeschränkungen. Fragen Sie mal den Friseur um die Ecke.
Gäb’s euch ohne Corona auch nicht mehr?
Was, bitte schön, soll eine Regierung oder Notenbank denn sonst tun, als entsprechend große Summen zu mobilisieren, wenn den Unternehmen im Land Tag für Tag zweistellige Milliarden verlustig gehen, um Personal oder anderes zu bezahlen? Wenn das nach aller Erfahrung eine furchtbare Abwärtsspirale auszulösen droht. Auf die theoretischen Meriten staatlicher Zurückhaltung setzen? Die zehn Gebote der ordnungspolitischen Reinheit aufsagen?
Absurd. Ohne den historischen staatlichen Einsatz wären in Deutschland jetzt womöglich zehn Millionen Leute arbeitslos.
Eher kurios wirkt da auch das Gejammer, dass von den Hilfen auch Firmen profitieren, die womöglich ohnehin nicht mehr lange überlebt hätten. Neidfaktor. Was soll das heißen? Soll die Regierung Beamte damit beauftragen, bei Firmen im Einzelfall vorher einzuschätzen, ob sie eine belastbare Gewinnrechnung haben – bevor es Hilfe gibt? Sollen sie prognostizieren, wie lange die Unternehmen noch überlebt hätten, wenn es Corona nicht gegeben hätte? Zumal das ja leicht hypothetisch ist. Groteske Vorstellung. Hätte die Regierung deshalb einfach niemandem helfen sollen?
Natürlich muss in so einer Schockkrise erst einmal allen geholfen werden. Zumal in einer, an der keiner schuld ist. Wer mit seinen Geschäften dauerhaft Potenzial hat, wird sich früher oder später schon zeigen.
Das reflexartige Panikschieben über die angebliche Staatswirtschaft wirkt in Wahrheit sogar fatal. Zumal die Coronakrise nur das jüngste Beispiel für eine Krise ist, in der, um es so zu sagen, eher die Privatwirtschaft Hilfe braucht – oder, in anderen Fällen, sogar am Kriseln schuld ist. Und nicht eine vermeintlich exzessive Staatswirtschaft. Ein Beispiel, wie Regierungen und Notenbanken einspringen müssen, um Schlimmeres zu verhindern.
Als 2008 die Turbulenzen um die Investmentbank Lehman Brothers zur größten Finanzkrise seit den Dreißigerjahren führten, lag das nicht an übermäßigem Staatseinsatz, sondern daran, dass der US-Finanzminister die Rettung verweigert hatte – und Banker und andere Finanzakteure daraufhin in Panik gerieten. Und daran, dass an den privaten Märkten über Jahre immer neue Schulden gemacht wurden – bis die Blase platzte.
In der Eurokrise intervenierten die Notenbanker (erst), als (private) Banken zu kollabieren drohten und die Krise an den panisch gewordenen (privaten) Märkten zu eskalieren drohte. Klassisches Marktversagen.
Wenn in fast allen westlichen Gesellschaften die Kluft zwischen Reich und Arm heute so unerträglich groß geworden ist, liegt auch das ja nicht an zu viel, sondern eher an zu wenig Staatseinfluss – weil die Eigendynamik der über viele Jahre deregulierten Finanzmärkte Reiche eher noch reicher macht; und Regierungen zu marktliberalen Hochzeiten Vermögensteuern eher abgeschafft als angehoben haben.
Wenn lange Zeit zu wenig in Bahn und Streckennetze investiert worden ist, lag das auch daran, dass es sich kurzfristig wirtschaftlich nicht auszuzahlen schien – und die Bahn nach gängigem Marktdogma halt wie so ein privater Konzern wirtschaften sollte. Jetzt muss der Staat nachhelfen. Ähnlich zweifelhaft wirkte das Dogma, Krankenhäuser gewinnbringend zu führen.
Auch der akute Großskandal um die Firma Wirecard ist nicht Ergebnis von zu viel, sondern eher zu wenig staatlichem Einfluss – und der Möglichkeit, die eigenen Bilanzen in einer so globalisiert-liberalisierten Welt zu manipulieren. Ähnliches gilt für die Probleme unserer Autokonzerne und Großbanken, die auf massive private Fehler zurückgehen.
Selbst die Klimakrise lässt sich ja schlecht als Folge von zu wenig Markt umdeuten. Wenn sich die Anzeichen für zunehmende Krisen mehren, liegt das eher daran, dass eben die Hoffnung nicht aufgegangen ist, das Problem über freies Handeln von Emissionszertifikaten zu lösen – und so CO2-belastete Produkte teurer zu machen. Da braucht es einfach auch massiv Investitionen in die Infrastruktur – etwa Ladesäulen – und Anreize zum Kauf von E-Mobilen. Vom Staat. Von wem sonst. Nicht als Selbstzweck. Sondern um private Dynamik überhaupt erst zu ermöglichen.
Natürlich wird Wohlstand nicht einfach vom Staat erzeugt, wie Ifo-Chef Clemens Fuest kürzlich meinte festhalten zu müssen. Ebenso abwegig ist aber die Vorstellung, dass Wohlstand allein durch private Initiativen entsteht.
Da braucht es starke Schutzmechanismen, eine ordentliche öffentliche Infrastruktur, staatliche Bildung, mächtig Innovationsförderung – und nach aller Wahrscheinlichkeit auch aktive Industriepolitik. Weil es ohne all das auch keinen Fortschritt gäbe. Auch ohne Staat gibt es eben keinen Wohlstand.
All das heißt ja nicht, dass der Staat es immer besser weiß. Quatsch.
Nur bedeutet das wiederum nicht, dass staatliche Einrichtungen am besten abgebaut und schlechter ausgestattet werden sollten, weil es der Markt angeblich regelt – wie uns die ordoliberalen Päpste einreden wollten. Dann ist die Frage eher, wie ein besserer und modernerer Staat aussehen sollte. Wann genau er gefragt ist. Und wie er mit dem Geld, das nötig ist, am besten hilft. Und wie sich wichtige staatliche Instanzen so ausstatten lassen, dass sie über all das hoch qualifiziert befinden können – immer dann, wenn es der Markt eben doch nicht regelt; oder sogar schlimmer macht. Wie jetzt.
Gut möglich, dass dann am Ende auch weniger Staat nötig ist als heute – weil es weniger Reparaturbedarf und Krisenmomente gibt, in denen es Regierende und Notenbanker mal wieder richten müssen.
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