Österreich, Niederlande, Schweden, Dänemark: Europas angeblich so sparsame Vier machen auf Gut gegen Böse. Das zeigt, wie populistisch selbst dort regiert wird, wo Populisten gar nicht an der Macht sind.
Thomas Fricke: Populismus in Europa – Der (un)heimliche Siegeszug der Chauvis
Es hat etwas Paradoxes. Überall üben sich derzeit just diejenigen in Selbstdemontage, die vor Kurzem noch Teil einer populistischen Welle gegen liberale Demokratien zu sein schienen. Ob der US-Präsident, den keiner mag, wie er etwas beleidigt diese Woche festgestellt hat. Oder Deutschlands selbst erklärte Alternative, die sich vor allem untereinander nicht mag – und in diesen Tagen mehr mit dem Ausschluss von Parteimitgliedern zu tun hat als mit dem Ausschluss von Flüchtlingen.
Und doch scheint der Geist eben dieses Populismus in diesem Sommer irgendwie präsent. Nur anders. Etwa auf EU-Gipfeln, auf denen ein paar europäische Regierungen dafür sorgen, dass bloß nicht zu viel Geld an andere geht – also in diesem Fall an Italiener und Spanier -, mit Argumenten, die ökonomisch nicht wirklich, wie sollen wir sagen, auf Nobelpreislevel lagen; und die menschlich eher unterhalb der edelsten aller Instinkte ansetzen. So wie man das eigentlich nur von Populisten kennt, die in der Regel auch nicht so gut darin sind, stringent-komplex zu analysieren, was wirklich gut fürs Land ist.
Wenn es das ist, was Populismus ausmacht, steckt jedenfalls viel davon in dem, was die „Sparsamen Vier“ aus Österreich, den Niederlanden, Dänemark und Schweden (plus am Ende noch Finnland) in Brüssel so dargeboten haben. Zumindest an den doch eher schlichten Ausführungen, die etwa Österreichs Kanzler Sebastian Kurz zur Erklärung der sparsamen Positionen seither preisgab. Was sich im Grunde zusammenfassen ließe mit einem: Wir sparsam – ihr schludrig und immer nur auf unser Geld aus. Deshalb: Wir kein Geld für euch. Höchstens mit Zins und Kontrolle. Wien rules!
An dieser Prunkargumentation ist schon das Label „Sparsame Vier (oder Fünf)“ ein bisschen dreist. Nicht nur weil Niederländer und Schweden mehr – private und öffentliche – Schulden als Italiener und Spanier haben (siehe auch Kolumne vom 1. Mai). Italien ist in der EU ja in Wahrheit Netto-Zahler – ohne übrigens dafür einen Rabatt zu bekommen, wie ihn sich Ösis, Schweden, Niederländer und Dänen ergattert haben. Arme Leute. Und ohne sich mit Steuerdumping auf Kosten der anderen zu sanieren, wie es die Niederländer tun.
Völlig an den Problemen vorbei
Es gibt ökonomisch keine sonderlich guten Gründe, den Ländern nicht zu helfen, die von Corona besonders betroffen sind – was allein menschlich keine Frage sein sollte. Zumal wenn die eigene Wirtschaft (wie etwa die österreichische) stark davon abhängt, in diese Länder exportieren zu können – und eine Dauerkrise uns noch viel mehr Geld kosten würde.
Es spricht auch alles dafür, große Krisen in der EU gemeinsam und mit gemeinsamem Geld und Kredit anzugehen – weil die Portokasse für derlei Megaprobleme nicht reicht; und weil kleine Länder ohnehin nicht viel ausrichten können, egal als wie sparsam sie sich geben. Ob gegen die globale Klimakrise, die nächste Finanzkrise, die Folgen überall gestiegener Ungleichheit oder eben eine Corona-Pandemie. Stichwort: Ischgl.
Es ist ökonomisch auch nicht so sonderlich zwingend, Ländern wie Italien und Spanien nur Geld auf Pump zu geben und dafür Zinsen zu fordern – wenn ein Hauptproblem ja gerade ist, dass die Länder schon relativ stark verschuldet sind und Spekulanten ihnen hohe Zinsen aufzudrücken versuchen.
Das vergrößert das Risiko weiterer Krisen, es macht es nicht kleiner, Herr Kurz. Und dann geht der Ärger von vorn los. Pseudo-Solidarität à la Schäuble – die Griechen mussten auf die vermeintlich großmütige Hilfe aus Deutschland einst ja auch noch Zinsen zahlen. Was den Schuldenabbau nur verzögerte. Gewinngeschäft für die Siegermacht.
Selbstverständlich kann man über das eine oder andere streiten. So richtig gut werden Kurz, Rutte und Kollegen dabei nur nicht wegkommen. Das Erstaunliche ist eher, dass diese Art Teletubbie-Ökonomie von Regierungen verfolgt wird, an denen gar keine – wir sind jetzt mal nett, Herr Kurz – ausgewiesen rechten Populisten beteiligt sind. In Schweden führen Sozis und Grüne zusammen. Womit wir beim eigentlichen Phänomen sind.
Wenn die Vier so offensichtlich auf nationale Reflexe setzen, liegt das mit einiger Wahrscheinlichkeit eher an der rechtspopulistischen Konkurrenz im eigenen Land. Da scheint allein die Angst zu vorauseilenden Reaktionen zu führen. Das gilt für Sebastian Kurz, der die Wähler der FPÖ gern auch mit den Mitteln der FPÖ zu sich holt, ebenso wie für die Sozialdemokratin Mette Frederiksen, die Dänemarks Rechtspopulisten bei der Wahl kleingemacht hat, indem sie auf scharfe Töne gegen Migranten setzte. In den Niederlanden lagen die Rechtspopulisten beim letzten Mal an zweiter Stelle – hinter der Partei von Spar-Ministerpräsident Rutte. In Schweden kamen die rechten Schwedendemokraten auf Platz drei – mit 17,6 Prozent – und die Sozialdemokraten schnitten so schlecht ab wie seit 1918 nicht mehr.
Ressentiment statt Lösung
Jetzt könnte man sagen, dass das doch prima ist – wenn ein Hauch Populismus dazu führt, dass die richtigen Populisten verdrängt werden. Der Haken ist, dass es in der Natur populistischer Reflexe liegt, zwar die niederen Instinkte anzusprechen – die wahren Probleme und Ursachen für Unmut damit aber gar nicht weggehen, weil sie viel komplexer sind. Risiko.
Was die eigentlichen Gründe sind, hat Harvard-Ökonom Dani Rodrik gerade in einem Überblick über den Stand der Forschungen zum Thema beeindruckend zusammengestellt. Tenor fast überall: Populisten gewinnen vor allem in den Regionen an Zuspruch, die besonders von wirtschaftlichen Umbrüchen getroffen wurden, ob durch Globalisierung oder Technologiewandel, und in denen die wirtschaftliche Unsicherheit zugenommen hat. Was rechte Populisten offenbar erfolgreich ausnutzen. Nur eben nicht, indem sie etwas gegen die wirtschaftliche Unsicherheit bieten, sondern indem sie auf Ressentiments setzen.
In Schweden haben jüngeren Studien zufolge die Schwedendemokraten vor allem in Regionen gewonnen, in denen Menschen besonders stark den Abbau von Sicherheit am Arbeitsmarkt durch die Strukturreformen von 2006 zu spüren bekommen haben. Wenn das die tiefere Langzeitursache für Unsicherheit und Unmut ist, hilft es wenig, wenn Schwedens Regierungschef Stefan Löfven sich jetzt damit beliebt machen will, dass er Italien inmitten der Coronakrise bloß nicht zu viel Geld gibt.
Eher fatal. Dann lässt sich mit dem, was die zugeknöpften Vier diesen Sommer in Brüssel aufgeführt haben, bestenfalls der populistische Druck im Inneren (etwas) kontern. Beheben lässt sich damit nichts. Weil es den eigentlichen Grund für die Erfolge von Populisten gar nicht beseitigt, dafür aber andere Krisen in Kauf nimmt – wenn etwa die Italiener jetzt doch mehr Schulden machen müssen; und die EU weniger Geld für die Sicherung unserer Zukunft ausgeben kann.
Dann steigt halt das Risiko künftiger Krisen. Kurzsichtig.
Der Populismus dieser Tage droht über kurz oder lang sehr viel mehr zu schaden, als auch nur ansatzweise zu nutzen – ohne dass die größten unter den Populisten überhaupt regieren.
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