Christian Lindner hat recht: Viele Deutsche bezweifeln heute, dass es jeder in Deutschland nach oben schaffen kann, wenn er nur will. Nur werden Appelle an die Leistungsbereitschaft da wenig helfen.
Thomas Fricke: FDP – Hohle Aufstiegsversprechen
Manchmal fallen Dinge einfach etwas unglücklich zusammen. So wie diesen Montag, als Christian Lindner kundtat, die FDP müsse wieder zur „Aufsteigerpartei“ werden – kurz nachdem er der bisherigen Generalsekretärin Linda Teuteberg erklärt hatte, dass ihr Aufstieg jetzt erst einmal vorbei ist, weil es der Partei, wie sollen wir sagen, am gewünschten Aufstieg in den Umfragewerten mangelt. Und sie gefälligst nicht mehr zu kandidieren hat. Abstieg versprochen.
Jetzt ist klar: Es können selbst in einer Aufsteigerpartei nicht immer alle nur unwiderruflich aufsteigen. Auch nicht FDP-Generalsekretärinnen. Da zählt natürlich auch Leistung (hüstel).
Dass die FDP in diesen Zeiten das Aufstiegsversprechen als gesellschaftliches Motto wiederbeleben möchte, trägt dabei nur mehr als besagte situationskomische Züge. Gut möglich, dass die FDP sich rundherum erneuern müsste, wenn sie es mit dem Versprechen gesellschaftlich ernst meint.
Es spricht einiges dafür, dass der Befund an sich sogar den Kern dessen trifft, was im Land für so viel Unmut und politisches Kriseln sorgt. Vielen dürfte der Glaube abhandengekommen sein, ein jeder könne aufsteigen – wenn er nur will und etwas dafür tut. Soziologen wie Oliver Nachtwey sehen darin gar den großen Unterschied zur Zeit des Wirtschaftswunders, als im Grunde alle aufstiegen – nur halt in unterschiedlichem Tempo. Das war da kein Versprechen, sondern es war einfach so.
Wackelig wird es bei der Analyse der Ursachen – und Rezepte. Liest man bei Christian Lindner nach, scheitert der Aufstieg mal an mangelnder Leistungsbereitschaft, mal an fehlender Bildung. Wobei sich an letzterem sicher nicht zweifeln lässt, wenn das berufliche Glück so stark vom Elternhaus abhängt wie in Deutschland und der jeweilige wirtschaftliche Status von Generation zu Generation meist einfach weitergegeben wird.
Nur lässt sich zweifeln, ob es deshalb reicht, den Willen zu beschwören und mehr in Bildung zu investieren – in einer Welt, in der Schicksale womöglich viel öfter durch große Krisen zerstört werden als durch vermeintlich mangelnde Leistungsbereitschaft oder doofe Steuern. Zumal wir in der Coronakrise gelernt haben, dass Leistungsträger etwas unverhofft auch an Supermarktkassen sitzen können. Alles relativ.
- Was hilft einem Arbeiter beim Daimler seine Leistungsbereitschaft, wenn plötzlich wegen eines Virus keiner mehr Daimler kauft – oder sich der Trend zu Elektroautos beschleunigt, die keine Verbrennungsmotoren mehr brauchen?
- Wie viel Eigenverantwortung kann man einem Kumpel im Braunkohletagebau zur Last legen, wenn in der Lausitz die Lichter ausgehen, weil sonst der Klimawandel schwer noch zu stoppen ist? Da hätte auch nicht geholfen, wenn der sich (noch) mehr anstrengt. Oder sich umschulen lässt – für welchen Beruf denn, solange nicht klar ist, ob eine neue Industrie kommt (und welche)?
- Was kann der Einzelhändler in Athen dafür, wenn etwa deutsche Banken zu viel Geld in griechische Anleihen gesteckt haben – und die eigene Regierung zur Abwehr der folgenden Finanzkrise so rabiat Renten und Gehälter kappt, dass bei den Betreffenden kein Geld mehr für Einkäufe übrig bleibt? Leistungsbereitschaft steigern?
- Was sollte der Arbeiter einer Autofabrik in Detroit machen, als plötzlich chinesische Billigkonkurrenz ganze Industrien kollabieren ließ? Oft lautete die Antwort: Trump wählen.
- Wo ist das Aufstiegsversprechen, wenn selbst nach etlichen Jahren sinkender Arbeitslosigkeit noch rund ein Viertel aller Beschäftigten bei uns zu Niedriglöhnen arbeiten – obwohl zu Agenda-Zeiten das Versprechen galt, dass Billigjobs toll sind, um Arbeitslosen den Einstieg ins Berufsleben und damit ein Sprungbrett zum Karriereaufstieg zu gewähren? War wohl eher ein Aufstiegsversprecher als ein Aufstiegsversprechen.
Wenn in der Coronakrise in den vergangenen Wochen bis zu sieben Millionen Menschen in Kurzarbeit mussten, helfen auch da die schönsten Appelle an des Glückes eigene Schmiede nicht. Und für jeden Einzelnen auch nicht, dass das nun auch eine historisch einmalige Situation ist. Pleite ist pleite.
Aufstiegsversprechen? Wie viel Aufstiegsphantasie ist noch drin in einer Welt, in der das Digitale im Großen und Ganzen von ein paar Quasi-Monopolen bestimmt wird – die auch der Leistungsbereiteste mit noch so viel VHS-Kursen nicht mehr bezwingen wird.
Der Appell an die segensreiche Leistungsbereitschaft klingt wie ein schlechter Scherz in einer Zeit, in der etwa die Hälfte allen Vermögens durch Erbschaften entstanden ist, deren Höhe von allem bestimmt wird, nur nicht der Leistungsbereitschaft des Empfängers – während bekanntlich 40 Prozent der Leute trotz Leistung auf der Arbeit kein Geld am Monatsende übrig haben, um damit Vermögen aufzubauen.
Auch das war zu Wirtschaftswunder-Zeiten anders, als Einkommen und Vermögen noch sehr viel weniger ungleich verteilt waren – und es mangels Deregulierung und Masse auch kaum nennenswerten Banken- und Finanzzauber gab.
Es gibt eine Menge empirischer Studien, die darauf hindeuten, dass Menschen vor allem in jenen Regionen an Vertrauen in Politik und Etabliertes verlieren, die am stärksten von wirtschaftlichen Strukturbrüchen und Krisen getroffen wurden. Ein Kontrollverlust, den der Mensch schlecht ertragen kann. Dort wählen überproportional viele Leute AfD. Dort haben in den USA 2016 besonders viele auf Trump gewechselt; oder in Großbritannien für den Brexit gestimmt. Immer dort, wo das Gefühl am stärksten war, die Kontrolle über das eigene Schicksal zu verlieren.
Wer heute ein neues Aufstiegsversprechen bauen will, braucht mehr als nur den Glauben, dass es jeder Einzelne mit etwas mehr Bildung und Willen schaffen kann. Der muss auch dafür sorgen, dass es weniger Krisen, Strukturbrüche und Reichtumsgefälle gibt – so wie das vor dem Hoch der marktliberalen Finanzglobalisierung der Fall war. Damit der Wille wieder bessere Chancen hat.
Für die Aufstiegsversprechen muss der Staat aktiver werden
Es ist dann nur eher grotesk, wie der FDP-Chef zwar Aufstiegsversprechen auszugeben, fast gleichzeitig aber darüber zu nölen, dass der Staat zu viel Geld ausgibt, um die Corona-Rezession aufzufangen. Oder gegen EU-Beschlüsse zu zetern, wonach künftig auch gemeinsam Geld aufgenommen und gegen die Folgen von Corona-, Klima- und anderen großen Krisen investiert werden soll, um Existenzen zu retten.
Dann braucht es im Gegenteil eine aktivere Rolle des Staates, um Krisen zu stoppen – oder Strukturwandel aufzufangen und menschenverträglich zu lenken. Dann muss womöglich mehr reguliert werden an den Finanzmärkten. Und dann braucht etwa die Europäische Zentralbank ein noch klareres Mandat, bei (Finanz-)Turbulenzen eingreifen zu dürfen. Vielleicht sogar Vermögensteuern, damit nicht nur ein paar wenige stetig aufsteigen.
Es hilft halt wenig, an die Eigenverantwortung zu appellieren, wenn individuelle Existenzen durch Corona-, Euro-, Banken-, Klima-, Technologieschock-, Billigkonkurrenz- oder andere Krisen zerstört zu werden drohen. Und Ärmere kaum noch Chancen haben aufzuschließen. Das sind ja alles keine Ausnahmen und Randphänomene.
Dann gilt es, die Welt erst einmal krisenfester zu machen nach etlichen Jahren entglittener Globalisierung und Rumtata-Liberalisierung. Erst dann ergibt es auch wieder Sinn, an Eigenverantwortung zu appellieren. Und Aufstiegsversprechen auszugeben.
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