Kommt die Pleitewelle in Deutschland? Dagegen spricht, dass viele Unternehmen seit Jahren irre Summen auf der hohen Kante halten – aus Vorsicht. Das Verhalten schürt allerdings auf Dauer neue Krisen.
Thomas Fricke: Coronakrise – Wenn Unternehmer zu viel Geld haben
Noch ist nicht sicher, ob sie nicht doch kommt – die große Pleitewelle nach dem Corona-Schock. Und reihenweise Firmen pleitegehen und die Arbeitslosigkeit noch hochschnellt. Spätestens wenn das Moratorium ausläuft, das die Regierung gerade noch mal verlängert hat, wonach Unternehmen in Schwierigkeiten erst einmal keine Insolvenz anmelden müssen.
Alles möglich. Und doch scheint es, als sei die deutsche Wirtschaft bis dato auffallend glimpflich durch diese historische Krise mit all den historischen Einbrüchen gekommen; gerade im Vergleich zu den bemühten historischen Vorgängerabstürzen, die meist in Massenarbeitslosigkeit und Armut endeten.
Und es ist gut möglich, dass das nicht allein an den historischen Hilfen der Regierung liegt. Sondern auch daran, dass die Unternehmen just in einer Zeit von der Pandemie erfasst wurden, als sie so rekordenorme Rücklagen und Reserven hatten, dass sie davon erst einmal zehren konnten, ohne gleich in große Not zu geraten und zu entlassen.
Zahlt sich damit doch noch aus, wofür die Unternehmer im Land bisweilen bereits arg kritisiert wurden – dass sie das Geld seit Jahren eher horten, als in die Zukunft zu investieren, wie es Unternehmer tun sollten und früher viel mehr getan haben? Und erweist sich das Knausern mithin als so „vorbildlich“, wie es Sparkassenpräsident Helmut Schleweis ganz schwäbisch-hausfräulich nun romantisiert?
Nicht so sicher. Wenn Unternehmen aus lauter Vorsicht zu Geldsammelstellen mutieren, wird die Zaghaftigkeit leicht pathologisch – und gefährdet die Zukunft. Dann kann das mehr Schaden anrichten als in Krisen helfen. Kein gutes Omen.
Noch nie haben Deutschlands Unternehmen im Schnitt so viel Gewinn gemacht wie in den vergangenen Jahren; noch nie hatten sie so viel Eigenkapital wie 2019, als sich das Coronavirus auf den Weg machte. Bei Mittelständlern lag die Quote bei fast 40 Prozent, wie Auswertungen des Sparkassenverbands DSGV ergaben. Zum Vergleich: Noch Mitte der Neunzigerjahre lag die Rate bei gerade einmal knapp 17 Prozent.
Geld wird ausgeschüttet an glückliche Aktionäre
Markanter noch: Zieht man von den Gewinnen die Ausgaben etwa für Investitionen ab, ergibt sich seit einiger Zeit immer noch ein Positivsaldo – die Firmen machen alles in allem mehr Geld, als sie in Investitionen stecken. Das Geld wird ausgeschüttet an glückliche Aktionäre oder etwa als Barmittel gehalten. Die entsprechende Klingelkasse machte schon 2013 fast 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus – nach der Einheit hatte die Quote bei gerade 6 Prozent gelegen.
Gut so? In den vergangenen Monaten unbestreitbar. Weil das Geld da war, um einen zeitweisen Umsatzkollaps auszugleichen und trotzdem weiter Löhne und Rechnungen zu bezahlen. Und doch womöglich teuer erkauft.
Darauf lassen schon die vermuteten Ursachen der Geldvorliebe in den Betrieben schließen. Ein Teil des Trends dürfte daher gekommen sein, dass es dank diverser Steuerreformen in den Nullerjahren in Deutschland finanziell attraktiver wurde, Geld zu horten. Entscheidend war mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas anderes: die stete Wiederkehr großer Krisen. Das würde erklären, warum es größere Schübe an Zaghaftigkeit etwa nach 2000 gab, als die New-Economy-Blase crashte, oder ab 2008 mit dem Ausbruch der großen Finanzkrise.
Das Phänomen beschränkt sich nicht auf Deutschland
Auch würde es erklären, warum nicht nur in Deutschland seit Jahren die Firmen Überschüsse anhäufen, sondern auch anderswo. In Japan schon seit den Neunzigerjahren nach dem Platzen der Immobilienblase. In den USA seit den besagten New-Economy- und Lehman-Crashs. Und in südeuropäischen Ländern wie Spanien und Portugal mit der Eurokrise 2010.
Das Muster scheint dann immer dasselbe zu sein. Gerade weil viele Firmen sich in den Finanzzauberzeiten verspekuliert haben, setzte danach die große Entschuldung ein – und das Zaudern. Motto: Bloß nicht wieder so überrascht werden. Eine Vorsicht, zu der auch die Regierungen ihren Beitrag leisteten: Immer dann, wenn sie steigende Staatsschulden über höhere Steuern und Ausgabenkürzungen auszugleichen suchten, blieb den Menschen weniger Geld und den Firmen mithin weniger Aussicht auf Absatz. Wieso dann noch mehr investieren?
Wenn das stimmt, wirkt das hehre Geldzurücklegen schon weit weniger glorreich – eher pathologisch. Zumal wenn es schwere Nebenschäden zeitigt. Etwa dass in Deutschland die Ausgaben für neue Ausrüstungen im gesamten Aufschwung seit 2008 von gut 8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf nur noch 6,8 Prozent kurz vor dem Corona-Schock gesunken sind und dieses Frühjahr sogar auf 5,7 Prozent.
Wer weiß, vielleicht würde Deutschlands Autoindustrie nicht strukturell kriseln, wenn sie, statt wie ihre Mittelständler Eigenkapitalquoten von knapp 40 Prozent zu feiern, längst ordentlich in die nächste Generation Autos investiert hätte. Was ähnlich für die Regierung gilt – und deren Investitionen etwa in Digitalisierung oder Verkehrswende.
Wenn in Deutschland die Vermögen zwischen den Topbeziehern und der ärmeren Hälfte der Bevölkerung so dramatisch auseinanderdriften, hat (auch) das zu einem Großteil mit den drastisch steigenden Hortungsvorlieben in den Familienunternehmen zu tun – weil, siehe oben, sie das Geld eben nicht mehr investieren, sondern behalten.
So ergibt die Ökonomie nur keinen Sinn. Und das hält keine Gesellschaft auf Dauer aus. Zumal, wenn sich das Vermögensgefälle absehbar via Schenkungen und Vererben verschärft.
Wenn es optimal wäre, dass Unternehmen (aus Vorsicht oder warum auch immer) sparen, hätte es in Deutschland kein Wirtschaftswunder geben dürfen. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren lag der Finanzierungssaldo der Firmen im Schnitt noch im roten Bereich – immer irgendwo zwischen stattlichen fünf und acht Prozent des gesamten westdeutschen Bruttoinlandsprodukts. Und die Wirtschaft florierte. Weil die Firmen immer neu investierten und die Grundlage für noch mehr Wohlstand schufen statt zu zaudern. Wofür es damals auch deutlich weniger Gründe gab.
Unternehmen sind dazu da, etwas zu wagen
Klar, in diesen Wochen ist es ein Segen, dass so viel Geld bei den Firmen herumlungert und sie deshalb nicht gleich so dramatisch kürzen müssen, wie es der historische Einbruch von Umsätzen und Bruttoinlandsprodukt hätte vermuten lassen. Ob mit oder ohne Wumms aus Berlin. Das war es mit einiger Wahrscheinlichkeit auch bereits in der Finanz- und der Eurokrise, die wohl auch dank der damals schon gestiegenen Rücklagen beide ohne große Pleitewellen und Massenarbeitslosigkeit endeten.
Das deshalb per se zum Vorbild zu erklären, ist dennoch grob fahrlässig. Unternehmen sind ja nicht in erster Linie fahrende Selbstversicherungsläden mit Sparkassenableger, sondern in der wunderbaren Marktwirtschaft dazu da, etwas zu wagen und mutig zu investieren. Und das ja nicht als Selbstzweck. Je mehr sie das tun, desto seltener wird es in Zukunft neue Krisen geben – etwa durch größere Klimaschocks und neue Bankenkrisen.
Das tollste Sparen hilft auf Dauer nichts, wenn genau das nicht gelingt – und es in entglittenen Globalisierungszeiten immer neue Finanz-, Klima-, Pandemie- oder andere geopolitische Krisen und strukturell zu wenig Nachfrage gibt. Also Dinge, auf die Firmen mit Investitionsstarre reagieren. Schon bei der nächsten Pandemiewelle könnte bei viel mehr Betrieben Schluss sein mit den Reserven.
Auf Dauer sollte viel mehr daran gesetzt werden, dass die Globalisierung besser funktioniert, es weniger Finanzausschläge gibt, Firmen wie Arbeitnehmer noch besser vor Schocks geschützt werden – und überhaupt wieder mehr Geld bei den Leuten ankommt. Es also für Unternehmen automatisch wieder attraktiv wird, in die Zukunft zu investieren. Statt aus lauter Sorge und Finanzzauber wie irre Geld zu sammeln.
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