Ob mit oder ohne formellen Lockdown – Deutschlands Wirtschaft könnte in Kürze ein besseres Konjunktur- und Rettungspaket brauchen. Bitte jetzt keine Lobby-Ökonomie!
Thomas Fricke: Zweite Welle der Corona-Rezession – Da geht noch was
Es gehört womöglich zu den Tücken so einer Pandemie: Ist die erste Welle glimpflich überstanden, lässt der Eifer erst einmal nach, auf eine zweite ebenso konsequent zu reagieren. Das ist menschlich. Beim ersten Mal fehlte unserem Gehirn jede Referenz, wie schlimm so eine Epidemie noch enden kann. Beim zweiten Mal scheint neben dem Ermüdungseffekt die just erlebte Erfahrung trügerisch beruhigend zu wirken, dass es ja bisher gut gegangen ist. Der Kölner kennt das. Tückisch.
Was für Abstandhalten, Partyneigung und andere alltägliche Verhaltensweisen gilt, könnte auf verwandte Art gerade auch für das gelten, was der Regierung zu Beginn der zweiten Welle wirtschaftspolitisch gerade nahegelegt wird. Noch im Frühjahr gab es unter dem Schock des unermesslichen Risikos schnell Einigkeit, dass ziemlich viel Geld bereitgestellt werden sollte, um zu verhindern, dass massenhaft Leute arbeitslos werden, Firmen pleitegehen und keiner mehr Geld ausgibt. Egal, was es kostet.
Vorbei. Jetzt kommen einschlägige Lobbyisten wieder mit Kamellen um die Ecke – und dem Argument, die Wohltat für die eigene Klientel werde das Land an sich und überhaupt retten. Während die Kanzlerin die gängige Bauchthese stützt, wir könnten uns den Kampf gegen eine neue Welle wirtschaftlich gar nicht mehr leisten. Eine These, für die es nüchtern betrachtet gar keinen Grund gibt.
Es spricht viel dafür, dass die wirtschaftliche Erholung längst gestoppt ist, die in Deutschland über den Sommer zu teils bizarren V- und Boom-Fantasien verleitet hatte – und dass die Wirtschaftsleistung wieder schrumpft, ob mit formellem Lockdown oder ohne. Schon bei der ersten Welle im Frühjahr wurden die Geschäfte ja leerer, bevor die amtlichen Kontaktbeschränkungen kamen, und es brachen Exporte weg wegen der internationalen Verflechtung mit stärker betroffenen Ländern, damals vor allem China. Ähnliches zeichnet sich auch jetzt ab – mit jedem Tag, an dem neue Infektionsrekorde gemeldet werden und die Sorglosigkeit schwindet.
Nach Erhebungen der GfK hat sich die Stimmung unter Konsumenten im Oktober deutlich eingetrübt. Drei von vier Deutschen sehen in der Pandemie jetzt eine große oder sehr große Bedrohung.
Von wegen Export: im Moment gibt es im Grunde kein an Deutschland angrenzendes Land mehr, in dem nicht bereits weit dramatischere Entwicklungen gemeldet wurden – und Ausgangssperren oder Lockdowns verfügt wurden. Ob in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Tschechien, Österreich oder der Schweiz – also Ländern, die schon geografisch bedingt einen guten Teil der deutschen Exportmärkte ausmachen. Die jüngsten Umfragen unter Einkaufsmanagern lassen etwa in Frankreich bereits auf deutlich nachlassende Zuversicht schließen.
All das droht Unternehmen in den kommenden Wochen zunehmend zu treffen, bei denen die Erholung nach dem ersten Aufholeffekt im Sommer ohnehin eher stockt.
- In der Industrie lagen die Auftragseingänge im sorglosen Monat August immer noch gut vier Prozent niedriger als in den beiden Monaten vor Ausbruch der Pandemie.
- Die Deutschen legten selbst in den Sommerwochen immer noch auffällig viel Geld zurück, statt es auszugeben, wie die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrer Herbstdiagnose schreiben.
- Ähnliches gilt für die Unternehmen, die aus Vorsicht auf neue Projekte weitgehend verzichteten. Hier werde das Vorkrisenniveau erst Mitte 2022 wieder erreicht, so die Institutsforscher – das sind zwei verlorene Jahre in einer Zeit, in der es etwa für die Autobranche dringend nötig wäre, in neue Technologien und Antriebe zu investieren.
Selbst wenn Deutschland noch um Kontaktbeschränkungen wie im Frühjahr herumkommt: Die jüngsten Infektionstrends dürften reichen, um in so mancher Firma Alarm auszulösen. Und das könnte diesmal sogar fataler wirken als noch im Frühjahr. Damals traf die Krise in eine Zeit, in der die Unternehmen über Jahre so viele Rücklagen gebildet hatten wie nie zuvor. Logisch, dass davon viele nach den kritischen Wochen im April und Mai aufgebracht sind, weil Rechnungen bezahlt werden mussten, ohne dass entsprechend Umsatz hereinkam. Wenn die Reserven aufgebraucht sind, werden viele Betriebe viel mehr Kosten und Personal kürzen.
Wie muss man drauf sein, um so etwas vorzuschlagen?
Umso irrer klingt, was gerade an wirtschaftspolitischen Topvorschlägen aus der Geht-immer-Kiste kommt. Etwa, dass jetzt dringend die – törö! – Unternehmensteuern sinken sollten. Oder der Soli auch für die Topeinkommen abgeschafft gehört. Und es Strukturreformen braucht wie zu Alt-Schröders Zeiten, was immer das heißt. Damit die deutsche Wirtschaft „wettbewerbsfähiger“ wird. Weil das dann eine „Frischzellenkur“ sei. Phrasenschwein, hilf!
Klingt wie ein Arzt, der dem Infarktpatienten viel frische Luft, Vitamine und Sport empfiehlt. Alles schön. Nur nichts, was gegen die akuten Probleme nützt.
Was soll denn in einer globalen Pandemie bitte schön und gut daran sein, die eigene Wirtschaft „wettbewerbsfähiger“ zu machen? Und gegenüber wem? Sollen deutsche Unternehmen den Wettbewerbern in Spanien, Frankreich und Italien inmitten der Not jetzt auch noch Marktanteile abnehmen? Wie muss man drauf sein, um so etwas vorzuschlagen?
Das ist ebenso grotesk wie die Vorstellung, es könnte wirtschaftlich jetzt helfen, den Soli abzuschaffen, also auch für Topverdiener – und Familienunternehmen, die noch nie so glänzend verdient haben wie in den vergangenen Jahren. Siehe oben. Das soll nach einer derzeit eifrig zitierten Studie ganze 19.000 Arbeitsplätze bringen – macht 0,04 Prozent der Gesamtbeschäftigung im Land. Ganz groß. Mit den knapp zehn Milliarden Euro, die dem Staat dann fehlten, ließen sich akutere Probleme lösen; das sind (gemessen an der gesamten Wirtschaftsleistung) dieses Jahr immerhin fast 0,3 Prozent – als Quote fast zehnmal so viel wie anteilig die zitierten Arbeitsplätze (gemessen an der Gesamtzahl an Jobs). Mit so viel Geld lassen sich mehr Jobs schaffen oder erhalten.
Worum es in den nächsten Wochen geht, ist, wie im Frühjahr, sehr schnell Mittel zu finden, die verhindern, dass Unternehmen pleitegehen und keiner mehr Geld ausgibt. Dabei droht der neue Corona-Schock akut zu werden, wenn nach Plan im Januar die Mehrwertsteuersenkung wieder rückgängig gemacht wird. Das wird im Dezember noch zu manch vorgezogenem Kauf führen, direkt danach aber zu entsprechenden Ausfällen. Da hilft nur bedingt, dass just im Januar besagter Soli sowieso für rund 90 Prozent der Solisteuerzahler wegfällt.
Wer wenig Einkommen hat, musste den ohnehin nicht zahlen. Und es spricht umso mehr dafür, dass ein Großteil solcher Steuergeschenke inmitten einer solchen Krise gespart statt ausgegeben wird. Sollte sich auch nur ansatzweise das Muster vom Frühjahr wiederholen, werden die Deutschen im Winter so viel nicht ausgeben und de facto sparen wie nie. Im zweiten Quartal lag die Sparquote im Schnitt bei 20 Prozent.
Was in den nächsten Wochen nötig wird, sind ziemlich passgenaue Anreize dafür, Geld auszugeben, für Dinge, die auch dauerhaft sinnvoll sind – ohne die Leute in der akuten Viruseskalation in die Geschäfte zu treiben. Gut ist dabei schon, dass die Regierung die Kurzarbeitsregel bis Ende 2021 verlängert hat. Und auch sonst nicht auf den Abbau von Hilfen umgeschaltet hat.
Statt pauschal Geld zu verschicken, wie beim Kinderbonus oder indirekt via Mehrwertsteuersenkung, wäre es noch besser, gezielter und einfacher für solche Branchen Überbrückungshilfen zu geben, wo erneut Umsätze wegzubrechen drohen. Über Schecks und Gutscheine sollten dann so viele Anreize wie möglich für Unternehmen wie Verbraucher gegeben werden, Geld zu investieren – mit Sonderbonus für klimafreundliche Investitionen. Wobei das Geld bei solchen Gutscheinen eben per Definition auch ausgegeben wird. Sodass der konjunkturelle Effekt tatsächlich eintritt – und nicht am Ende nur noch mehr aus Panik gespart wird.
Da könnte selbst der Vorschlag des bisher als Großökonom noch nicht aufgefallenen Markus Söder Wunder wirken, „Transformationsgutscheine“ anzubieten. Die Idee ist dabei, dass jeder, der jetzt noch ein CO2-sparendes klassisches Auto kauft, einen ordentlichen Gutschein auf den Kauf eines Elektroautos in drei bis fünf Jahren bekommt – wenn die derzeit noch fehlenden Kapazitäten für die Produktion von E-Mobilen da sind.
Es ist absurd, jetzt zu wehklagen, wir hätten nach all den teuren Rettungspaketen aus der ersten Welle keine Mittel mehr für so etwas. Deutschlands staatliche Schuldenquote liegt nach alledem derzeit niedriger als nach der Finanzkrise. Und es gibt endlos Anleger, die sogar dafür bezahlen, deutsche Staatsanleihen zu bekommen.
Es wäre viel teurer, das Risiko einzugehen und jetzt nichts zu tun. Da ist für wahre Notfälle noch endlos Spielraum, Hilfen zu finanzieren. Gegen das, was es auf Jahre hinweg kosten würde, wenn mit der Epidemie die wirtschaftliche Krise in den kommenden Wochen eskaliert, ist jedes noch so teure Rettungspaket die günstigere Alternative.
Was Ökonomen wirklich denken
Gästeblock
- David Milleker: Zentralbanken auf dem Weg zu neuen Ufern
- David Milleker: Wann sind Staatsanleihenkäufe QE? Und wann nicht?
- David Milleker: Geldpolitische Allmacht oder geldpolitische Hilflosigkeit?
- David Milleker: Zeit für eine multipolare Währungsordnung?
- David Milleker: Ist Modern Monetary Theory ein valides Konzept?
- David Milleker: Einige Gedanken zu Libra
- David Milleker: Der Handelskrieg und internationale Vorleistungsketten
- David Milleker: Der veraltete Instrumentenkasten der US-Notenbank
- David Milleker: Übernimmt Trump die Fed?
- David Milleker: Wie schlecht steht es um die deutsche Konjunktur?
Out of Wirtschaftsdienst
- Wirtschaftsdienst exklusiv – Die goldenen Zwanziger
- Wirtschaftsdienst exklusiv – Von der Leyens fünf Herausforderungen für ein besseres Europa
- Wirtschaftsdienst exklusiv – Verursachen Target-Salden Risiken für die Steuerzahler?
- Wirtschaftsdienst exklusiv – Autoindustrie: Zwischen Disruption und weiter so
- Wirtschaftsdienst exklusiv: Zeitarbeit geht zurück
- Wirtschaftsdienst exklusiv: 12 Euro Mindestlohn? Auswirkungen und Perspektiven
- Wirtschaftsdienst exklusiv: The Rise of Trumpism
- Wirtschaftsdienst exklusiv: EZB nicht für Niedrigzinsen verantwortlich
- Wirtschaftsdienst exklusiv – Evidenzbasierte Politik für Deutschland
- Wirtschaftsdienst exklusiv – 20 Jahre Euro: (k)eine Krise
Buchbesprechung
- Moritz Schularick: Der entzauberte Staat
- Justin Walsh: Investing with Keynes
- Adam Tooze: Welt im Lockdown – Die globale Krise und ihre Folgen
- Binyamin Appelbaum: Die Stunde der Ökonomen – Falsche Propheten, freie Märkte und die Spaltung der Gesellschaft
- Hans-Peter Martin: Game Over – Wohlstand für wenige, Demokratie für niemand, Nationalismus für alle – und dann?
- Adan Tooze: Crashed – Wie zehn Jahre Finanzkrise die Welt verändert haben
- Richard Thaler: Misbehaving – Was uns die Verhaltensökonomik über unsere Entscheidungen verrät
- Heiner Flassbeck und Paul Steinhardt: Gescheiterte Globalisierung – Ungleichheit, Geld und die Renaissance des Staates
- Dani Rodrik: Straight Talk on Trade – Ideas for a Sane World Economy
- Kate Raworth: Die Donut-Ökonomie – Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört
Mariana Mazzucato: Mission – Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft
Kann man das tollkühne Projekt der Mondlandung als Modell für die Bewältigung der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nutzen? Mariana Mazzucato schlägt in ihrem Buch genau dies vor. Dabei belässt die Ökonomin es nicht bei den üblichen Gemeinplätzen des Weltrettungsgenres, sondern stellt fundierte Analysen voll interessanter Details auf und leitet daraus plausible Hypothesen ab.
Top Artikel & Seiten
- Thomas Fricke: Klimapolitik mit der Brechstange - Wenn der Heiz-Hammer von der FDP kommt
- Neues aus dem Forum New Economy – der Newsletter #94
- Thomas Fricke: Rezession in Deutschland - Vorsicht vor den falschen Krisenpropheten!
- Das Postbank Goldsparbuch: Wie sich Zinsen zehnteln können
- Thomas Fricke: Nachlassende Inflation - Jetzt ist aber mal Schluss mit Zinserhöhung!
- Thomas Fricke: »Letzte Generation« - Wie der Radikalprotest die Klimapolitik bremst
- Thomas Fricke: Mythos Technologieoffenheit - Der Markt wird den Klimawandel nicht stoppen
- Thomas Fricke: Heizungsverbote und Kostenschock - Klimaschützen geht auch ohne Masochismus
Archiv
Blogstatistik
- 1.025.267 hits