Friedrich Merz behauptet, das Establishment der CDU wolle ihn als Vorsitzenden verhindern. Für die Partei wäre das wohl wirklich das Beste.
Thomas Fricke: Krise der Konservativen – Warum die Merz-Tour gefährlich ist
So lebensnah kann Politik sein. Über Tage ging es bei der CDU darum, wie das nächste Familientreffen angesichts von Corona abzuhalten ist. Sollen alle anreisen? Oder doch per Zoom? Oder so und so? Fragen, die wir uns gerade alle stellen: Zur Oma fahren, oder reicht Skype?
Nur dass unsereiner nicht dazu tendiert, so etwas für Intrigen zu nutzen. Anders als das Establishment der CDU, das den Parteitag verschiebt, damit Friedrich Merz, der gerade gute Chancen zu haben scheint, weniger Chancen hat. Vermutet jedenfalls Friedrich Merz betont beleidigt.
Wenn das stimmt, wäre das natürlich böse. Wo der Fall doch so klar scheint. Und 45 Prozent der CDU-Mitglieder für Merz sind – deutlich mehr als für die Konkurrenten. Und der Mann doch so gut zu passen scheint, weil er wieder mehr konservative Werte vertreten will.
Was nur möglicherweise nicht heißt, dass es für künftige Wahlerfolge richtig ist, Merz zum Vorsitzenden zu machen. Hier kommt ein kleiner Gegencheck. Geht ja immerhin um einen möglichen nächsten Kanzler der Bundesrepublik. Und die neigen dazu, dann gleich auch länger zu bleiben.
Wofür Merz steht, hat der „Tagesspiegel“ diese Woche auf die Formel gebracht: „Klarere Kante nach links, wieder mehr Wirtschaftspartei, konservative Wertepolitik (was auch immer das ist)“. Dazu der Hang, ein bisschen Verschwörung beim Establishment zu vermuten.
Kommt einem bekannt vor? Richtig. Das ist in etwa das, was Christian Lindner seit ein paar Jahren auch versucht: Irgendwie mehr Markt und Wirtschaft; gegen Merkel; und bloß auf linksgrün, Greta und sonstige Feinde konservativer Werte wie Autofahren und Ähnliches schimpfen. Mit dem eindrucksvollen Ergebnis, dass die Partei bei fünf bis sieben Prozent dümpelt, während die für unmöglich erklärten Grünen um die 20 Prozent haussieren.
Als gäbe es keine ernst zu nehmende Gegenmeinung
Es könnte natürlich sein, dass Christian Lindner all dies einfach nicht gut verkauft – und Merz das besser könnte. Lustige These. Beim Wettverkaufen würde Merz gegen Lindner wahrscheinlich mehr Umsatz machen. Und reden, als gäbe es keine ernst zu nehmende Gegenmeinung, können beide.
Eine andere Erklärung für den offenbar limitierten Erfolg der Idee des Jetzt-sind-wir-mal-wieder-richtig-wirtschaftsliberal-konservativ könnte sein, dass die Zeit dafür nicht gut ist. Zumindest, was den klassisch wirtschaftlichen Teil betrifft, bei dem es nach tradiertem Verständnis immer irgendwie um mehr Eigenverantwortung, Leistung, Globalisierung, Verzicht und überhaupt den Rückzug des Staates ging. Heute sagen in Umfragen 90 Prozent der Menschen, dass die Privatisierungen der vergangenen Jahrzehnte zu weit gegangen sind. Und etwa die Hälfte, dass der soziale Ausgleich nicht mehr funktioniert. Und selbst unter den Anhängern der CDU sagen nur sehr wenige, dass das Wirtschaftssystem, so wie es derzeit funktioniert, okay ist.
Wundert es, dass es der FDP als Generalvertreterin wirtschaftsliberaler Ideen schwerfällt, Wähler und Sympathisanten zu gewinnen?
Ganz konservativ nach Maßhalten zu rufen, klingt halt bizarr in einer Zeit, in der trotz langen Jahren des Aufschwungs mehr als ein Fünftel der Beschäftigten für Niedriglöhne arbeiten. Ebenso wie es heute fremd wirkt, der Globalisierung per se zu huldigen. Oder dem freien Wettbewerb.
Und gegen Industriepolitik zu sein, wenn China staatlich gelenkt zum Angriff ansetzt. Oder wenn in der Pandemie die Kehrseite einer allzu naiven Globalisierung offenbar wird, weil plötzlich auffällt, dass existenziell wichtige Produkte nicht mehr im eigenen Land hergestellt werden. Oder wenn Leute, die das System aufrecht halten, vom Markt wie überflüssige Hilfsarbeiter bezahlt werden. Oder wenn das freie Spiel der Kapitalmärkte via wachsender Vermögenskonzentration dazu führt, dass der Abstand zwischen Reich und Arm immer größer wird; da klingt der Ruf nach Leistungsorientierung originell.
Allzu naive Idee von Globalisierung
Wir leben eben in einer Zeit, in der immer deutlicher wird, dass es, nur ein Beispiel, ein großer Fehler war, bei der Wende hin zu saubereren Autos einfach auf den offenen Technologiewettbewerb zu setzen. Oder im Kampf gegen die Klimakrise auf freie Märkte und Preisbildung – wenn Märkte mit so langfristiger Gestaltung nachweislich in der Regel überfordert sind und es in Wirklichkeit dafür erst einmal staatliche Investitionen in Tanknetze sowie eine Menge öffentliche Infrastruktur braucht.
All das heißt nicht, dass die Marktwirtschaft nicht großartige Dinge hervorbringt. Nur braucht es dafür eben auch einen entsprechenden Rahmen und solide staatliche Krisenbewältigung, so wie jetzt in der Pandemie.
Noch jammern die Lindners und Merzens, dass irgendein dubioser Trend oder doofer Mainstream gegen sie ist. Verschwörung? Als gäbe es für die Zweifel nicht gute Gründe.
Vielleicht versteht das Volk ja mehr. Selbst unter den Mitgliedern der CDU sind nach den zitierten Umfragen weniger als die Hälfte für Merz. Dann bräuchte es statt stoisch-alter Sprüche eher eine Art mea culpa und ein geläutert-liberales Wirtschaftsverständnis. Von dem es dann durchaus konservative und liberale Varianten jenseits des naiven Marktliberalismus geben kann.
Was immer Friedrich Merz der CDU an konservativen Werten wiederbringen könnte: Eine Partei, die in einer solchen Korrektur wieder auf wirtschaftlichen Liberalismus setzt, ist womöglich nicht ideal aufgestellt in einer Zeit, in der genau dieser wirtschaftliche Liberalismus global in der Glaubwürdigkeitskrise steckt, weil er eine Menge Probleme geschaffen hat oder offenbar nicht zu lösen fähig ist. Was die Leute ja merken. So blöd sind die nicht.
Es spricht viel dafür, dass die FDP nicht aus der Krise kommt, weil eben dieser langjährige Markenkern kriselt. Wenn das stimmt, ist es nicht nur böse Verschwörung des Establishments, sondern womöglich gar nicht so schlecht, wenn die CDU nicht auf eben einen solchen Kurs steuert. Das würde weder die Probleme im Land, noch das der Partei lösen.
Was Ökonomen wirklich denken
Gästeblock
- David Milleker: Zentralbanken auf dem Weg zu neuen Ufern 3. Dezember 2019
- David Milleker: Wann sind Staatsanleihenkäufe QE? Und wann nicht? 7. November 2019
- David Milleker: Geldpolitische Allmacht oder geldpolitische Hilflosigkeit? 1. Oktober 2019
Mariana Mazzucato: Mission – Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft
Kann man das tollkühne Projekt der Mondlandung als Modell für die Bewältigung der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nutzen? Mariana Mazzucato schlägt in ihrem Buch genau dies vor. Dabei belässt die Ökonomin es nicht bei den üblichen Gemeinplätzen des Weltrettungsgenres, sondern stellt fundierte Analysen voll interessanter Details auf und leitet daraus plausible Hypothesen ab.
Top Artikel & Seiten
- Thomas Fricke: Kampf der Preistreiberei - Wann kommen die Inflations-Kleber?
- Thomas Fricke: Comeback der Bankenkrisen - Wann schließt endlich das Finanzcasino?
- Thomas Fricke: Nachlassende Inflation - Jetzt ist aber mal Schluss mit Zinserhöhung!
- Die Kolumne - Amerika stöhnt auf hohem Niveau
- Thomas Fricke: 20 Jahre Schröder-Rede - Bloß keine Agenda-Wiederholung
- Die Lehren aus der US-Rezession von 1990
- Thomas Fricke: Wohlstand am Ende? - Deutschlands irre Lust am eigenen Untergang
- Thomas Fricke: Ein Jahr Krieg - Von Wahrheit und Lügen zur Inflation
- Thomas Fricke: Deutsche Staatsschulden - Riskantes Comeback der Panikmacher
- Die Kolumne - Huch, wir sind Wirtschaftswunder
Archiv
Blogstatistik
- 1.021.590 hits