Den Traum vom Einfamilienhaus anzukratzen, ist politisch irre – und wissenschaftlich sinnlos. So etwas passiert, wenn Klimaschutz dazu verkümmert, vermeintlich unmoralische Lebensstile anzuprangern.
Thomas Fricke: Streit über das richtige Wohnen – Klimaretten geht auch ohne Eigenheimbann
Nein, der Herr Hofreiter hat nicht gesagt, dass jetzt alle enteignet werden müssen. Und er hat auch nicht gesagt, dass per se keiner mehr Einfamilienhäuser bauen darf. Streng genommen hat der Fraktionschef der Grünen sogar viel gesagt, was eigentlich ganz simpel ist: dass Kommunen schon immer im Einzelfall entschieden haben, was auf Bauland gebaut wird, zum Beispiel. Und dass halt irgendwann irgendwo auch mal der Platz eng wird. Ach.
Trotzdem lässt sich nachvollziehen, wenn in der Partei von Herrn Hofreiter diese Woche der eine oder andere gern im Boden versunken wäre – wo diese Partei doch gerade artig daran arbeitet, mit jener Christlichen Union zusammenzugehen, die für nichts so steht wie für den Traum von Familie, Kindern und Haus. Und: Natürlich ist schon der Verdacht irre, in einem Land das Häuslebauen zur klimatisch unmoralischen Sache zu erklären, in dem etliche Familien danach streben, die Kinder im eigenen Garten spielen zu sehen – oder in der eigenen Immobilie eine der derzeit verbliebenen Möglichkeiten wähnen, das Ersparte gut fürs Alter anzulegen. Im Grünen, was ja eigentlich auch das Fachgebiet der Partei von Herrn Hofreiter ist.
Gut möglich, dass es selbst dem Klima mehr schadet als hilft, jetzt nach Großautobesitzern, Fleischfreunden und Ferienfliegern der nächsten Teilbevölkerung als irgendwie unmoralisch auszulegen, wie sie lebt – und Klimapolitik so zunehmend zur Beschwerdeführung gegen angeblich unmögliche Lebensstile verkümmern zu lassen.
Da steht die Großaufregung halt schnell in Missverhältnis dazu, was es dem Klima bringt. Natürlich spricht einiges dafür, dass es im direkten Vergleich mehr Energie braucht, erst ein Haus zu bauen und dann auf relativ viel Fläche pro Mensch zu bewohnen, als, sagen wir, in einer Etagenwohnung zu leben. Nur ist selbst hier die Bilanz nicht ganz so klar – wenn schon per Gesetz jedes neue Haus heute nahe rankommt, klimaneutral zu funktionieren, und im Zweifel sogar mehr Energie produziert als braucht. Modellrechnungen zufolge dürfte dank etlicher technologischer Fortschritte 2050 etwa der Heizwärmebedarf in neuen Einfamilienhäusern nicht höher sein als in neuen Mehrfamilienhäusern.
Etwas böse ließe sich sagen, dass in der laufenden Haltung jedes topsanierte Einfamilienhaus besser fürs Klima ist als das Gros der Altbauwohnungen, die teils noch mit alten Öfen oder klimagruselnden Nachtspeicherheizungen geheizt werden. Wobei es auch hier absurd wäre, das individuell gegeneinanderzurechnen, zumal wenn es um den Gesamtmaßstab geht.
Bald gibt es wieder schön viel Platz
Über die Langzeit- und Klimaschäden des Baus vermeintlich endlos vieler neuer Häuser zu klagen, wirkt bizarr in einem Land, in dem die Bevölkerungszahl in ein paar Jahren drastisch zu schrumpfen beginnen dürfte. Wenn derzeit von Wohnungsnot die Rede ist, dann ist das ja vor allem die regional stark konzentrierte Nachwirkung unterschätzter Demografie seit etwa 2010. Da gibt es schon jetzt zwei Realitäten im Land (O-Ton Hofreiter) – und weite Landstriche, in denen es weniger um begrenzten Platz für neue Häuser geht als darum, dass alte zunehmend leer stehen.
So wird auch (fast) im ganzen Land in einiger Zeit wieder schön viel Platz sein.
Dabei ist es ja schon jetzt so, dass Kommunalpolitiker in den Regionen, wo es tatsächlich mit dem Bauen eng wird, bei jedem neuen Bebauungsplan genau hinsehen, ob und wie viele Einfamilienhäuser noch gebaut werden sollten – schon weil der Wohnungsmangel so akut ist, dass möglichst viele auf wenig Platz unterkommen müssen. Und weil es natürlich seit jeher in Deutschland lokale Praxis ist, beim Bauen nicht einfach draufloszulegen, sondern alles schön zu regeln – auch zum Schutz von Umwelt, Grünfläche und Sichtachse.
De facto stagniert seit Jahren landesweit bereits der Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern. Noch 2010 wurden in Deutschland monatlich deutlich mehr Ein- als Mehrfamilienhäuser zum Bau genehmigt – mittlerweile ist es umgekehrt. Der Anteil neuer Einzelhütten ist von fast 60 auf weniger als 30 Prozent gesunken. Und in Summe werden heute nur noch etwas mehr als halb so viele Ein- und Zweifamilienhäuser gebaut wie anno 2000.
Was wirklich nötig ist
Klar, das heißt nicht, dass verbleibende Flächen gelegentlich nicht besser mit Mehrfamilienhäusern bebaut werden sollten. Die Frage ist nur, wie nötig es fürs Klima ist, sich hier noch viel mehr zu verkämpfen – und das Einfamilienhaus zum Klimakrisen-Hotspot zu deklarieren.
Was nötig und machbar ist, um Deutschland bis 2050 klimaneutral zu machen, also kein zusätzliches CO2 mehr auszustoßen, hat eine Gruppe Experten in einer groß angelegten Studie gerade durchgerechnet. Zwar zählt das, was an Energie in Gebäuden verbraucht wird, heute in der Tat zu den Haupttreibern von Treibhausgasen. Diese Gase bis 2050 auf null zu reduzieren, ist den Rechnungen zufolge aber möglich – ohne dass alle auf WG-Level wohnen müssen oder die Gesamtfläche der Einfamilienhäuser bis 2050 schrumpfen müsste. Im Schnitt könnte jeder und jede dann sogar noch etwas mehr Quadratmeter Wohnfläche beanspruchen als heute (ein Trend, der auch weniger mit dem Traum von Einzelheim als etwa mit der Scheidungsrate im Land zu tun hat – durch die es jetzt viele Patchwork-Einzelteil-Familien mit Mehrfachheimen gibt).
Den Schätzungen zufolge kann der Verbrauch von Energie in Deutschlands Gebäuden bis 2050 trotzdem um mehr als ein Drittel sinken – und die Treibhausgase auf null. Auch wenn das kein Selbstläufer ist.
Im Gegenteil. Es ist nur eben anderes nötig. Vor allem, dass
- Wohnungen, ob neu oder alt, per se nicht mehr über Kohle, Heizöl und Erdgas gewärmt werden – sondern über Wärmepumpen, mit denen die Molligkeit klimaneutral aus der Erde kommt;
- oder viel weniger Energie aus undichten Häusern entweicht – und Elektrogeräte und Anlagen im Haus zunehmend weniger Strom brauchen; ein Mammutjob: noch gelten in Deutschland zwei Drittel aller Gebäudeflächen als nicht saniert; und jährlich kommen nur knapp über ein Prozent der Flächen auf Energiestandard. Viel zu langsam. Ein Altbauproblem.
Für all das braucht es jede Menge Förderung von Wärmepumpen – die 2050 nach Modell 60 Prozent aller Wohnflächen heizen sollten statt weniger als zehn Prozent heute. Macht dann 14 Millionen Pumpen. Dafür bräuchte es sehr viel mehr LED-Beleuchtung und sparsamere Haushaltsgeräte. Und mehr Solarenergienutzung. Auch hier ist der Altbestand ein Großproblem, weniger der schicke Neubau. Dazu die energetische Sanierung von Millionen Gebäuden, die nicht nur teuer ist, Mieter wie Vermieter brauchen dazu auch mehr Anreize. Die nächste wirkliche Mammutaufgabe.
Wenn hier die eigentliche Herausforderung liegt, bringt es dem Klima furchtbar wenig, das Land tagelang in Wallungen zu versetzen, ob nun Einfamilienhäuser zu verbieten sind oder nicht – und wer hier moralisch gut oder böse ist. Und ob die Grünen nun Verbotspartei sind. Dann droht der klimapolitische Eifer in relativ unbedeutenden Dingen zu verpuffen – was für die Moralfrage Einfamilienhaus ebenso gilt wie für die Frage nach dem richtigen Auto und sonstigem Lifestyle. Solange nicht viel mehr in neue Autos und Ladestationen investiert worden ist, gibt es ja auch für Normalmenschen wenig Alternativen.
Auch wenn es dem einen oder anderen mehr Spaß zu bereiten scheint, das Klimadesaster zur Frage moralisch richtigen Verhaltens der Mitmenschen zu machen – das könnte fürs Klima am Ende nach hinten losgehen, wenn dann die Energie und das Geld für die entscheidenden politischen Entscheidungen fehlen.
Wobei es für uns Menschen immer auch wichtig ist, etwas emotional zu spüren; und es eben nur bedingt Erregungspotenzial hat, sich für, sagen wir, den Ausbau der Produktion von Wärmepumpen einzusetzen. Da fehlt zur Aufregung dann auch ein bisschen das Feindbild.
Ob es auf Dauer überhaupt schick bleibt, so ein Einfamilienhaus zu haben, werde sich zeigen, sagt der Potsdamer Klimaökonom Carlo Jaeger. In Hongkong oder Peking sei es seit Längerem schon Ausweis gehobener Lebensführung, in den oberen Etagen von Hochhäusern zu leben – mit Blick ins Weite. So wie es in Frankreich für den Adel einst schick gewesen sei, in Wohnungen in der Stadt zu wohnen. Modeanreiz statt Klimascham.
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