Es gilt als Volkssport, Kanzlerin und Politik niederzumachen. Höchste Zeit, mal auf den glorreichen Beitrag der Wirtschaft zur Lösung der Jahrhundert-Pandemie zu schauen.
Thomas Fricke: Corona-Murks – Wenn Lobbyisten die Kanzlerin mit einem Shitstorm stoppen
So sieht ein Verbands-Shitstorm aus. Kaum hatte die traurige Runde aus Kanzlerin und Ministerpräsidenten diese Woche verkündet, dass es eine Osterruhe geben und der Gründonnerstag so eine Art Feiertag werden sollte, begann die Luftbewegung. So ein Ruhetag, das gehe nicht! Was das für »sensible« Lieferketten etwa mit Fleisch bedeute! Und erst die Feiertagszuschläge, die zu zahlen wären. Und die Schlangen am Supermarkt am Karsamstag. Da drohten »milliardenschwere Kosten«, befand ein Oberer des Maschinenbauverbands. Und fast alle Industrie- und sonstigen Verbände stürmten binnen Stunden mit.
Die Botschaft in Kürze: Bei allem Verständnis für Pandemie und Menschenleben – aber einen Tag nicht arbeiten, das geht in Deutschland natürlich gar nicht. Das steht ja in keinem Verhältnis. Aha.
Dabei hätte man schon stutzig werden müssen, als tränendrüsengezielt selbst die Gefährdung der Kleinkindversorgung auf die Liste der angeblich drohenden Katastrophen geschleudert wurde. Das kann keiner wollen, klar. Als sei auch nur ein Baby gefährdet, wenn in Deutschland mal einen Tag nicht (oder wenig) gearbeitet wird – es hatte auch niemand von einem Still-Ruhetag für Mütter gesprochen.
Es mag sein, dass so ein kurzfristig anberaumter Osterruhetag aus dem einen oder anderen auch rechtlichen Grund schwierig geworden wäre – wir Deutschen tendieren bekanntlich ja dazu, lieber zu sterben, als Gesetze kreativ auszulegen: da könnte ja jede Pandemie kommen. Dass wegen einem Tag Nichtarbeit gleich die deutsche Wirtschaft untergehen könnte, wirkt als These dann allerdings doch steil – und bestätigt das eher ungute Gefühl, dass gewisse Teile der Wirtschaft respektive ihre Lobbys derzeit ziemlich viel mit Jammern beschäftigt sind, statt zur Lösung der Pandemie beizutragen. Hier liegt womöglich gar der wahre Skandal. Nicht in der Osterruhe-Idee.
Schräger Drama-Verweis aufs vergangene Frühjahr
Dass es Feiertage gibt, ist ja an sich noch kein Anlass für wirtschaftliche Panik, wie sich jährlich an mehreren solchen Vorkommnissen beobachten lässt. Auch liegen Feiertage ganz ohne Pandemie auch schon mal so, dass es zu verlängerten Ruhe-Wochenenden kommt – ohne dass unser Wohlstand dadurch kollabiert. Oder die Supermärkte. Das ließe sich in den allermeisten Fällen auch organisieren. Und möglicherweise ausfallende Produktion wird dann in aller Regel ordentlich nachgeholt. Usus.
Schräger Drama-Verweis aufs vergangene Frühjahr
Dass es Feiertage gibt, ist ja an sich noch kein Anlass für wirtschaftliche Panik, wie sich jährlich an mehreren solchen Vorkommnissen beobachten lässt. Auch liegen Feiertage ganz ohne Pandemie auch schon mal so, dass es zu verlängerten Ruhe-Wochenenden kommt – ohne dass unser Wohlstand dadurch kollabiert. Oder die Supermärkte. Das ließe sich in den allermeisten Fällen auch organisieren. Und möglicherweise ausfallende Produktion wird dann in aller Regel ordentlich nachgeholt. Usus.
Da ist auch der Drama-Verweis aufs vergangene Frühjahr schräg, als nach Ausbruch der Pandemie tatsächlich weltweit Lieferketten urplötzlich und unbestimmt wegbrachen – außer dem Nachschub von Klopapier aber nicht so viel kollabierte. Jetzt wäre es um einen amtlich begrenzten Ostereinzeltag gegangen. Da wirkt es grotesk zu wehklagen, dass »plötzliche Betriebsstilllegungen« für eine »international vernetzte« Wirtschaft »nicht darstellbar« seien, wie die Autolobby-Chefin Hildegard Müller in Reaktion auf die Idee eines freien Gründonnerstags befand. Natürlich wäre das blöd und umständlich gewesen, aber wir sind nun einmal auch in einer Pandemie. Und die ist von Natur aus eben blöd und umständlich.
Selbst die panikbedingten Unterbrechungen der ersten Pandemiewochen haben die meisten Unternehmen längst aufgeholt. Maschinenbau und Autoindustrie haben zuletzt mehr Aufträge reingeholt als im Schnitt in den Monaten vor der Pandemie. Und wem das als Indiz nicht reicht, der kann mal in den Börsenteil der Zeitung gucken: Der Aktienindex Dax der führenden Unternehmen lag noch nie so hoch wie jetzt, mitten in der dritten Welle einer Pandemie – so viel zur Armut der deutschen Konzerne.
Das Gejammer gerade aus der Industrie ist blanker Hohn für all jene, die in Gastronomie und Kultur seit einem Jahr mehr oder weniger dauerhaft Ruhetag haben. Bei denen herrscht das Drama, nicht beim großen Rest der Wirtschaft.
Was nicht heißt, dass es unbedingt die beste Idee war, so einen Ruhetag an Ostern zu machen. Der Gedanke erscheint epidemiologisch allerdings nicht ganz so falsch, wenn es darum geht, eine Welle zu brechen. Da könnte nach allem, was wir wissen, eine solche Schockunterbrechung am ehesten wirken. Und dann wirkt das Gejammer über angebliche wirtschaftliche Schäden schräg. Zumal, wenn der Großteil der Unternehmen im Land bislang nicht dadurch aufgefallen ist, besonders dynamisch zu Kontaktvermeidung und Pandemiebekämpfung beigetragen zu haben. Um es vorsichtig zu sagen.
Während Schulen über Monate weitgehend geschlossen blieben, ebenso wie Restaurants, Kinos und Einzelhandel, geht der Betrieb im Rest der Wirtschaft auf erstaunlich unbekümmerte Art weiter. Was sich schon daran ablesen lässt, dass das Bruttoinlandsprodukt selbst inmitten des Lockdowns steigt; und sonst läge auch der Dax wahrscheinlich nicht auf Rekordhoch. Gut – und pandemisch bedenklich zugleich.
Da wirkt es umso grotesker, wenn in der ersten Panik der Pandemie gut ein Viertel aller Beschäftigten über Wochen von zu Hause arbeiten konnten – Ende 2020 aber nur noch 14 Prozent: obwohl die Pandemie ja eher schlimmer wurde. Das kann nicht gut sein. Es spricht vieles dafür, dass in derlei Aufrechterhaltung des Arbeitslebens in so vielen Betrieben ein Grund dafür liegt, dass das Virus immer noch und wieder so wütet. Es gibt ja nach Einschätzung der Virologen vom Robert Koch-Institut Anzeichen, dass die Ansteckungen in den Betrieben deutlich zugenommen haben.
Wenn derzeit viel schiefläuft, liegt das auch nicht wirklich nur an den doofen Politikern und Behörden. Sondern, Beispiel Impfen, auch daran, dass die Wirtschaft, in diesem Fall AstraZeneca, zu viel versprochen hat und nicht einhalten kann. Und dass es für private Unternehmen per se zu wenig Anreiz gibt, jetzt schnell Anlagen umzustellen und in die Produktion von Impfstoffen einzusteigen. Da versagt der Markt, nicht die Politik. Kommt vor.
In voller Bahn zur Arbeit – und die Schulen geschlossen
Wenn wir die Pandemie stoppen wollen, brauchen wir eine Wirtschaft, die sehr viel mehr eigene Beiträge dazu leistet, Infektionen auch in den Betrieben zu kontrollieren und zu reduzieren. Und keine, die sich in theatralischen Darbietungen übertrumpft, wenn im Land in der Not mal einen Tag nicht gearbeitet werden könnte.
Das geht über Mehr-Testen und Maskentragen. Oder darüber, dass die Betriebe Homeoffice für wirklich alle anordnen, bei denen es irgendwie geht – zumal die dann alle auch nicht mehr in vollen Bahnen zur Arbeit fahren müssen. Es hat etwas Skandalöses, dass es dazu inmitten der dritten Welle noch keine gesetzliche Verpflichtung gibt – wenn gleichzeitig Schulen und Handel über Monate geschlossen bleiben. Und es ist nicht weniger skandalös, dass die, die den Osterruhe-Shitstorm angefacht haben, dann nicht wenigstens mit Vorschlägen kommen, wie sich der dringend nötige Bremseffekt auf die dritte Welle denn bitteschön sonst jetzt schnell erreichen lässt.
Überdurchschnittlich hohes Infektionsrisiko in Büros
Vielleicht sollten Kanzlerin und Kollegen zum epidemiologischen Ausgleich der nunmehr ausbleibenden Osterruhe so rasch wie möglich verfügen, dass die Betriebe alle Mitarbeiter pro Woche mindestens zweimal zu testen haben – und das notfalls auch kontrollieren. Und Homeoffice zur Pflicht machen. Ebenso wie das Tragen von Masken, zumal wenn Studien mittlerweile belegen, dass in Büroräumen ein überdurchschnittlich hohes Infektionsrisiko besteht. Wer meint, dass das nicht geht, kann mal die Schüler und Schülerinnen im Land fragen.
Es ist derzeit viel die Rede davon, dass es nicht gut ist, wenn über die Corona-Politik in nächtlichen Runden entschieden wird – statt im Parlament. Das wird nicht besser, wenn solche Entscheidungen so offenbar eindeutig unter dem akuten Druck von Interessenverbänden zurückgenommen werden, die noch viel weniger demokratisch legitimiert sind.
Wenn es jetzt nicht schnell gelingt, die sich dramatisch beschleunigende dritte Welle zu stoppen, drohen ganz andere Ausfälle. Weil die Arbeiterschaft in ihren Betten oder auf Intensivstationen liegt. Und Lieferketten wieder brechen. Dann könnte sich das Gezeter über den Osterruhetag schon in Kürze als das erweisen, was es ist: ein aberwitzig teurer Shitstorm, angetrieben aus Lobbyetagen.
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