Der andere Blick auf Boom und Krisen

Wenn’s ums Klima geht, fängt der Streit schnell an: über Fahrverbote, Einfamilienhäuser oder Rindfleisch. Nur über eins scheint‘s kuriose Einigkeit zu geben: der beste aller Wege wäre, wenn einfach alles, was dem Klima schadet, teurer würde. Das sagen Klimaaktivisten. Und das sagen konservative Politiker. Und eigentlich – gefühlt – auch alle Ökonomen. Nur dass die einen meinen, das Verteuern sollte über Steuern gehen – und die anderen über die freien Marktkräfte.

Dabei sollte schon die vermeintliche Harmonie zwischen Greta und Friedrich Christian Merz Lindner stutzig machen. Entweder es handelt sich um ein mittleres Wunder. Oder die Einigkeit ist eine, die eher deklaratorischen Charakter hat. Immerhin geht es ja erst einmal um, sagen wir, eine schöne Theorie – dass es kein CO2 mehr gäbe, wenn es nur teuer genug würde.

Dass das in der Praxis nicht ganz so einfach ist, lässt schon die Begebenheit des FDP-Chefs erahnen, der kürzlich den Grünen unter Anwendung seines Taschenrechners in einem Talk vorrechnete, wie viel ihr geplanter CO2-Preis von 60 Euro pro Tonne für eine Familie kosten würde. Ganz schön viel. Um damit, klar, nahezulegen, dass es so etwas mit der FDP nicht gäbe, die ja stattdessen auf marktwirtschaftliche Lösung setze. Was nur die Frage aufwirft, was genau der Markt denn dann so wundersam anders machen würde. Wenn es annahmegemäß darum geht, CO2 wegzupreisen, müsste das ja auch via Markt geschehen – was nach gängigem Verständnis Preise von 60 Euro mindestens nötig macht. Sonst gebe es ja nicht den erhofften Effekt. Und der Familie wird es dann auch egal sein, ob sich die Lebenshaltung durch den Markt oder durch Steuern verteuert.

Wenn das überhaupt so einfach wirkt – hier könnte die eigentliche Tücke liegen: was in der Theorie so bestechend klingt, wirkt bei näherer Betrachtung schon weit weniger wunderbar. Es spricht einiges dafür, dass das Klima allein über das Prinzip steigender CO2-Preise gar nicht zu retten ist, im Gegenteil: die Rettung könnte sogar krachend scheitern, wenn die Regierenden allein oder nur maßgeblich auf Verteuerung setzten.

Was Marktapostel versprechen, wirkt dabei in der Tat erst einmal toll. Würde der CO2-Ausstoß konsequent über Zertifikate gehandelt, würde der Preis je Tonne bei tendenziell sinkenden zugelassenen Mengen steigen – was es für Verbraucher wie Industrie umso unattraktiver macht, auf alles zu setzen, was viel CO2 verbraucht: vom Auto mit Verbrennermotor bis zur Gasheizung. Bis das alles so teuer ist, dass es keiner mehr kauft – und alles, was kein CO2 verbraucht, so billig ist, dass es alles wollen.

Die Tücke beginnt mit der Annahme, dass es am Markt so schön vorhersehbar zugeht. Alle Erfahrung hat gezeigt, dass in Wahrheit beim Handel mit CO2 viel über künftige Politik spekuliert wird und gar nicht über Angebot und Nachfrage akut. Logisch, es geht beim Klima ja auch um die weitere Zukunft. Das Ergebnis ist dann nur, dass der CO2-Preis eben nicht so sachte steigt, wie es Unternehmen für derartig strategisch-klimaneutrale Planungen bräuchten. Im Gegenteil: da wechseln sich halt plötzliche Hochs und Abstürze ab. Alles andere als eine solide Basis. In der EU blieben die Preise über Jahre viel zu niedrig, allein der erhobene Klima-Zeigefinger der Bundesverfassungsrichter ließ sie umgekehrt kürzlich abrupt hochschießen. Jojo.

Aus dem Grund empfehlen selbst marktaffine Experten mittlerweile, die Preise zu kontrollieren – und zumindest Grenzen zu setzen, bei denen interveniert wird, um allzu absurde Kapriolen zu verhindern. Gesteuerter Markt. Immer mehr hat sich daher auch durchgesetzt, CO2 gleich zu besteuern – wie das in Deutschland seit Januar mit 25 Euro je Tonne der Fall ist. Damit der Verbrauch jetzt bitte schön sinkt.

Nur könnte auch das in der Theorie einfacher und wirksamer klingen, als es in der Praxis ist. Klar, macht es das klassische Autofahren weniger attraktiv, wenn der Benzinpreis steigt. Nur: wie viel teurer müsste Benzin heute werden, damit jemand deshalb auf ein Elektroauto umsteigt – solange das einfach noch sehr viel teurer ist und sowohl Ladestationen, als auch Reichweiten fehlen? Wie viel teurer müsste Fliegen werden, damit diejenigen, die sich das jenseits des jährlichen Urlaubs regelmäßig leisten, darauf verzichten? Solange Bahnfahren nicht viel billiger wird. Das dauert alles viel zu lange – es sei denn, der Preis würde rapide steigern. Womit wir wieder beim Lindner-Paradox sind.

Stiege der CO2-Preise so bald und abrupt, dass die Leute via Kostenschock zur Verhaltensänderung gedrängt werden, lässt sich erahnen, was im Land der Freunde stabiler Preise los wäre. In Frankreich hat ein nur ansatzweise ähnlicher Schub vor ein paar Jahren die Gelbwesten-Proteste ausgelöst. Und da müsste es, wir Grüne und andere längst planen, schon ziemlich massive Kompensationen für Leute mit weniger Einkommen geben. Alternative: es geht sozial beim Preisanheben so sachte zu wie im Januar – nur hilft das dem Klima dann ja nicht.

Wobei das mit dem Lenken via CO2-Preis umgekehrt ohnehin auch nicht so einfach ist:  sinkt wegen teureren Benzins tatsächlich die Nachfrage, droht ein Teil der dadurch ausgelösten CO2-Vermeidung wieder wettgemacht zu werden, weil bei nachlassender Nachfrage tendenziell der Preis wieder sinkt; womit wiederum der Anreiz nachlässt, weniger nachzufragen. Das muss nicht alles wettmachen, es macht nur das Klimaretten übers Verteuern sehr viel mühsamer – und im Zweifel zu einem steten hin und her. Dabei soll die Klimaneutralität ja jetzt schon 2045 durch sein, nicht erst 2050 – da braucht es direkte Wege, kein kompliziertes Wirkungskettengewirr.

Ähnliches droht auch, wenn die hohen sozialen Kosten kompensiert werden. Bekommen die Leute zum Ausgleich Gutschriften, ist ja nicht gesagt, dass das Geld dann nur für samten-klimafreundliche Zwecke ausgegeben wird. Dann ist ein etwas gewonnen und ein Teil wieder verloren. Keine optimale Lenkungswirkung.

Wer das Klima retten will, braucht irgendwie höhere CO2-Preise, klar. Fraglich ist, ob das als Brechstangenstrategie funktioniert – wenn nicht mindestens so viel darin investiert wird, dass die Leute auch damit leben können. Solange es nicht mehr Ladestationen und längere Reichweiten und mehr Angebot erschwinglicher Elektroautos gibt, ist es absurd, Verbraucher damit zum Wechsel zu knebeln, dass das Altautofahren verteuert wird, bis es nicht mehr günstiger ist als das teure Elektroauto. Und: solange der Staat nicht genug Anreize setzt, dass Eigentümer ihre Wohnungen und Häuser schneller energetisch sanieren, ergibt es auch wenig Sinn, die Nebenkosten via CO2-Preis hochzutreiben. Nicht dass das auch irgendwie wirkt – nur auch hier dann eben zu irre hohen wirtschaftlichen und menschlichen Kosten.

Ähnliches gilt für die Industrie: solange nicht zuallererst viel mehr in die öffentliche Infrastruktur zur Heranschaffung von Wasserstoff etwa aus Südeuropa investiert wird, ist es auch ein zweifelhaftes Unterfangen, die Kosten auf konventionelle Energie zu verteuern. Auch hier gilt: wer etliche dazu bewegen will umzusteigen, muss dafür zuerst das Angebot schaffen – nicht daraufsetzen, dass es über die Pein höherer Kosten irgendwann einmal dazu kommt.

Worauf es ankommt, sind ohnehin vor allem die relativen Kosten. Und es könnte sowohl menschlich, als auch schnöde wirtschaftlich schlauer sein, dabei eher auf positive Anreize als auf Kostenschmerz zu setzen: also vieles etwa über Subventionen oder ähnliches günstiger zu machen, was gut fürs Klima ist. Wie schnell das wirken kann, hat sich in den vergangenen Monaten gezeigt: seit die Bundesregierung die Prämien auf den Kauf von Elektroautos massiv erhöht hat, läuft die Nachfrage – und kommen die Hersteller nicht mehr hinterher. Was es für die Konzerne via Markt jetzt auch attraktiver macht, noch schneller am Angebot zu arbeiten.

Was zum nächsten Schub an Attraktivität fehlt, sind dann immer noch genügend Ladestationen. Nur kommen auch die aller Erfahrung der vergangenen Jahre nach nicht von allein und aus der Industrie – wenn nur der CO2-Preis hinreichend steigt. Da muss die Regierung zuerst höchst öffentlich investieren.

Es ist einfach ziemlich fahrlässig zu suggerieren, dass  mit dem Bepreisen von CO2 eine auch nur ansatzweise schnelle Rettung des Klimas zu bekommen wäre. Und erst recht nicht, wenn das auch noch angeblich alles pur marktwirtschaftlich gehen soll. Da wird es ganz irre: wenn Hobbyökonomen wie Friedrich Merz oder Christian Lindner überholte Ökonomie-Sätze nachplappern, wonach sich das Klima einfach mal retten ließe, wenn man nur die Unternehmen machen ließe. Da braucht es mehr.

Das ist entweder recht unüberlegt – oder es folgt dem geheimen Kalkül, dass es über den Markt ohnehin nie zu dauerhaft großen Verteuerungen kommen wird. Nur: dann sollten die Herrschaften vielleicht besser gleich dazu sagen, dass ihnen das mit dem Klima nicht so wichtig ist – jedenfalls nicht wichtig genug, um sicher zu sein, dass das auch funktioniert; und nicht nur für marktwirtschaftliches Schenkelklopfen taugt.