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Neues aus dem Forum New Economy – der Newsletter #43

30. Mai 2021

Liebe Freunde, Kolleginnen und Kollegen,

mehr als 40 Panelisten, 12 Podien und weit mehr als 200 Teilnehmer – und eine große Frage: wie es um die Zukunft des deutschen Modells kurz vor der Bundestagswahl steht. Das Ergebnis solcher Beratungen ist naturgemäß schwer mit ein paar Sätzen auf einen Nenner zu bringen. Und doch scheint es einen roten Faden zu geben, der sich durch den Workshop diese Woche zog – dass es für die ganz großen Probleme auch ganz neue Antworten geben muss, jenseits der alten Gräben. Ein neues Paradigma halt, auch wenn das erst in Konturen erkennbar ist und von Historikern erst im Nachhinein einmal als solches identifiziert werden wird.

Dazu zählt alles, was geeignet ist, die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen abzubauen, wie das in der Studie des DIW Berlin ausgelotet wird – mit Antworten jenseits der üblichen Verdächtigungen, etwa dass eine Vermögensteuer per se nicht so viel an der Ungleichverteilung ändern würde. Mehr zum Panel und zum Video – hier. Dazu zählt aber auch die sich immer weiter festsetzende Erkenntnis, dass Unmut und Populismus sich nicht so einfach durchs Reich-Arm-Gefälle erklären lassen – wie Robert Gold in seiner Studie zu Maßnahmen gegen populistische Auswüchse darlegt. Zum Panel.

Dass es um etwas Größeres geht, liegt spätestens dann nahe, wenn sich einer der weltweit frühesten und renommiertesten Kritiker der „Hyperglobalisierung“, Harvard-Ökonom Dani Rodrik, mit dem Siemens-Manager Joe Kaeser im Grunde einig ist, dass Globalisierung und Kapitalismus zu reformieren sind. Der Link zu einem hoch inspirierenden Talk – hier.

Über die Notwendigkeit eines ganz neuen Paradigmas zur Kontrolle gegen Finanzskandale schreiben Gerhard Schick und Martin Hellwig in der Studie, die sie Mittwoch früh mit dem zuständigen Finanzstaatssekretär Jörg Kukies diskutierten. Tenor: die Aufsicht ist in Deutschland unter dem Einflusss alter Marktgläubigkeit viel zu sehr auf Kuscheln mit den Banken angelegt – eine These, die Daniela Gabor für ziemlich plausibel hält. So wird das nichts.

Dass es im Kampf gegen den Klimawandel mit klassischen Mitteln – auch der alten Klimaökonomie – nicht getan ist, warf der Mannheimer Ökonom Tom Krebs in die Runde zur deutschen „Climate challenge“. Wenn große Infrastruktur etwa für den Aufbau einer grünen Wasserstoffversorgung nötig ist, hilft es wenig, nur auf hohe CO2-Preise zu setzen. Nach Krebs’ Schätzungen müsste die Bundesregierung in den kommenden Jahren mindestens 100 Milliarden Euro in Wasserstoff investieren – das ist fast zehn Mal so viel, wie derzeit geplant ist. In der europäischen Autoindustrie steht derweil beim Umbau auf Elektroautos die Schulung oder Umschulung von fast 2 Millionen Leuten bevor, wie die Experten von BCG schätzen. Auch das wird mit konventionellen Mitteln nicht gehen. Zum Klima-Panel – hier.

Und noch ein vermeintlich neuer Konsens: alle Finanzpolitik an schnöden Defizitzielen und engen Schuldenbremsen auszurichten, ist zu wenig – oder ganz falsch. Zumal es für eine langfristige Tragfähigkeit auch eine starke Wirtschaft in einer leistungsfähigen Infrastruktur ohne Klimakatastrophen und bei hohem Einsatz von Beschäftigten geben muss, wie Philippa Sigl-Glöckner in ihrer Studie schreibt. Auch ohne große Reform der Schuldenbremse ließen sich dabei schon 50 Milliarden Euro zusätzlich freimachen, wie Philippa und ihr Team vom Dezernat Zukunft schätzen. Zu Studie und Diskussion – hier. Ob es nicht doch möglich und gut wäre, die Schuldenbremse per se zu reformieren, warf Shahin Vallée von der DGAP mit Verweis auf die vielen Grundgesetzänderungen ein, die auch früher möglich waren. Es sei einfach schwer haltbar, wenn durch solche Regeln wichtige Investitionen in die Zukunft ausbleiben. Zumindest international heute Konsens – und zunehmend überzeugend auch hierzulande.

Dass die Gedanken anderswo in dieser Hinsicht weiter sind als im Land der schwäbischen Hausfrau, lässt der Beitrag von Macron-Wirtschaftsberater Philip Martin vermuten – in einer Präsentation der Studie, die er kürzlich unter anderem mit Jean Pisani-Ferry und Xavier Ragot in Paris veröffentlichte: zur Reform der europäischen Schuldenregeln. Antwort auf dem Panel aus dem deutschen Bundesfinanzministerium: besser nichts reformieren – obwohl, ja, alle sich einig seien, dass die bisherigen Regeln nicht funktionieren. Deutsche Logik. Das kommt davon, wenn man Ökonomie zur Religion erklärt hat. Wäre gut, wenn aus Germany dann bald auch mal ein Vorschlag käme, wie es anders besser ginge. Zum Panel: hier.

Und die Notenbanken? Sollten die nicht auch im Kampf gegen Klimawandel und (sogar) Ungleichheit von Vermögen helfen. Ja, sagen Adam Tooze und Moritz Schularick in ihren Studien für das Forum New Economy – schon weil Geldpolitik nie so neutral war, wie sich die Notenbanker gern gottgleich präsentierten. Naja, antwortet Isabel Schnabel von der EZB in ihrer Keynote zur gesellschaftlichen Verantwortung der EZB – beim Klimakampf ließe sich hier und da helfen. Aber bitte innerhalb des Mandats und nur bei Wahrung der Preisstabilität. Was soll sie auch anderes sagen? Dazu noch ein Highlight zum Abschluss: ein kurzer komprimierter Talk zwischen Isabel und Laurence Tubiana, der Architektin des Pariser Klimaabkommens – zu den Möglichkeiten der EZB, in ihrer Politik auch das Klima einzubeziehen.

Das gesamte Programm in Rückschau mit allen Präsentationen und Re-live-Videos nach Tagen und im Überblick gibt’s hier. Ein Professor der Ökonomie schrieb uns heute morgen übrigens, dass er seit Jahren keine so gute Konferenz mehr verfolgt hat. Ich denke, wir sollten weitermachen. Grand merci an alle im Forum-Team, die das ermöglicht haben!

Ein schönes Wochenende,

Thomas Fricke, , Anne Zweynert de Cadena, Xhulia Likaj, David Kläffling und Sonja Hennen.

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