Wenn die Preise steigen, werden immer jene Warner laut, die deshalb gleich Gespenster und Geißeln prophezeien. Dabei kommt der Alarm immer aus einer Richtung – und ist ganz offenbar politisch motiviert.
Thomas Fricke: Angst vor steigenden Preisen – Vorsicht, Inflationsbetrüger!
Wer gerade eine Reise bucht, weiß, wovon die Rede ist. Wer Holz für die Hütte braucht, auch. Beim Tanken drehen die Zahlen seit Januar ohnehin schneller. Die Preise steigen. Offiziell gemessen liegt die Inflation bei 2,5 Prozent. Was zwar früher üblich war, es jetzt aber jahrelang nicht gab.
Gar nicht lustig, klar. Und doch fällt eins irgendwie auf: wie schnell und lautstark in diesen Wochen all jene wieder dabei sind, die bedeutungsschwanger befinden, dass nun »die Inflation zurück« sei – wie im Gruselfilm – und das mit auffällig sprachlich-dramaturgischen Hochleistungen begleiten: mit Gespenst und Geißel. Und dass das die Armen ja am meisten trifft. »Von allen sozialen Missständen« sei die Inflation »die gravierendste«, befindet einer der in Deutschland grassierenden Trulla-Experten, deren Herzen sonst eher fürs finanziell Gehobene schlagen. Steile These.
Dieselben Leute scheinen in der Tat nicht ganz so eifrig, wenn es darum geht, dass, sagen wir, die Armen zu wenig verdienen – oder immer noch Kinderarmut herrscht. Zumindest ist dann seltener von Gespenst und Geißel die Rede. Zufall? Oder Agenda? Immerhin hat das Gerede vom Inflationsgespenst schon einmal zu einem großen Paradigmenwechsel beigetragen – der eher den Reichen als den Armen zugutekam.
Natürlich weiß man nie ganz, was noch kommt. Von daher lässt sich auch vor dauerhaft stärker steigenden Preisen immer warnen. Nur spricht nach seriöseren Einschätzungen derzeit doch ziemlich viel dagegen. Zum Beispiel, dass fast alles, was Preise gerade steigen lässt, in die Kategorie vorübergehender Faktoren gehört, wie:
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die Wiedererhöhung der Mehrwertsteuer im Januar nach einem halben Jahr Senkung;
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das weltweite Hochschnellen der Rohstoffpreise, als Reaktion auf plötzliche Nachholnachfrage und Engpässe nach dem Lockdown – teils einfach Ausgleich für den Absturz vom vergangenen Jahr;
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die Einführung einer CO2-Steuer in Deutschland;
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der angestaute Reisebedarf nach mehr als einem Jahr Pandemie;
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und der statistische Basiseffekt, der sich schlicht daraus ergibt, dass Mitte 2020 die Mehrwertsteuer gesenkt wurde – was Mitte dieses Jahres zu rein arithmetisch noch einmal höheren Teuerungsraten führen wird.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass die CO2-Preise weiter angehoben werden, ist das noch nicht das, was Ökonomen unter einer Inflation verstehen, bei der sich alle möglichen Preise im Land zunehmend hochschaukeln. Die genannten Faktoren haben auch wenig mit der angeblich so schlimmen Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) zu tun. Auch in den USA steigen die Häuserpreise – obwohl die Zinsen dort schon wieder deutlich höher sind.
Es wäre vor allem nicht das erste Mal, dass die Großinflationspropheten komplett daneben liegen. Im Gegenteil: Die Fehlprognosen kommen seit den Achtzigerjahren hartnäckig immer dann, wenn die Inflationsrate mal für eine Zeit etwas stärker anzieht – meist bedingt durch Ausschläge an den globalen Rohstoffmärkten oder Steuerzuschläge. Die prognostizierten dauerhaft höheren Inflationsraten blieben immer wieder aus. Im jährlichen Schnitt sind die Preise in den Jahrzehnten seither deutlich weniger gestiegen als bei uns in der Zeit der heiligen Deutschen Bundesbank.
Der Schock vor 45 Jahren
Nach Diagnose der beiden britischen Ökonomen Eric Lonergan und Mark Blyth spricht viel dafür, dass die Inflation der Siebzigerjahre in Wirklichkeit eine historische Ausnahme war. Was die Frage aufwirft, warum das so ist – und warum so mancher trotzdem bei jedem noch so vorübergehenden Preisschub gleich wieder Geißel und Gespenst bemüht. Meist mit Verweis auf die schlimmen Siebziger- und frühen Achtzigerjahre. Es gibt Forscher an Instituten, die seit anno dazumal halbjährlich beschleunigte Inflation vorhersagen. Vergebens.
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