Neues aus dem Forum New Economy – der Newsletter #54
Liebe Freunde, Kolleginnen und Kollegen,
große Paradigmenwechsel kommen nicht über Nacht, sie setzen sich nicht auf geradem Weg durch, sondern im Zickzack, und beim Übergang ins Neue gibt es immer wieder Momente, Krisen und politische Ereignisse, die im Nachhinein als wichtige Etappen wirken. So gesehen, gab es diese Woche gleich mehrere solcher Puzzlestein-Momente – die Teil des Übergangs zu jenem neuen wirtschaftlichen Leitbild werden könnten, das mal die gescheiterte marktliberale Doktrin ablösen wird. Den halben Wirtschaftsnobelpreis bekam David Card zugesprochen, der Mitte der 1990er-Jahre den alten Konsens der Ökonomen aufzubrechen begann, wonach nur freie Lohnbildung gut ist – und Mindestlöhne des Teufels. Längst widerlegt. Der Wandel schwingt auch bei der aktuellen Herbsttagung von IWF und Weltbank mit, wie Martin Sandbu in der FT schreibt. Vorbei der einstige Fiskalkonservatismus – die IWF-Chefökonomin legt den Deutschen nahe, die Schuldenbremse nicht allzu eng zu nehmen.
Was einst der Washington Consensus für Reagonomics und Co war, könnte in Nachfolge der Cornwall Consensus werden. So heißt der Report einer Gruppe von Ökonomen, die für die G7 im Sommer neue Leitideen entwickelten – weg vom alten Marktdogma. Was dahinter steckt, legt Mariana Mazzucato, die italienische Vertreterin in der Gruppe, in einem Beitrag diese Woche nahe. Dass auch bei der Weltbank neue Zeiten einziehen, spiegelt ein Report von externen Experten, die das legendäre Ranking „Doing Business“ methodisch auseinander nehmen – und dabei auf den Punkt bringen, was schon ewig kurios schien: die einseitig konservativ-angebotsorientierte Wirtschaftsphilosophie dahinter. Weil das Denkmodell vorgibt, dass wenig Regeln gut sind, sind wenig Regeln gut. Dabei sei viel zu wenig berücksichtigt worden, dass es auch Regeln und Staatsausgaben gebe, die gut für die Wirtschaft sind, so die Autoren. Ein auch ansonsten vernichtendes Urteil, das einen radikalen Paradigmenwechsel spiegelt.
Dass all das Umdenken keine theoretische Spielerei ist, lässt sich daran messen, wie gut die Ideen bei Politikern ankommen. Den Cornwall Consensus Report hat die (konservative) britische Regierung lanciert (die jetzt ja auch für höhere Löhne ist). Derweil hat Mariana Mazzucatos Idee, dass Politik große Missionen definieren soll, um Innovationen zu generieren, zumindest semantisch Eingang gefunden ins Programm des wahrscheinlichen künftigen Bundeskanzlers Olaf Scholz. Umso großartiger, dass mit Wolfgang Schmidt einer seiner engsten Vertrauten kommenden Dienstag, 19. Oktober, mit Mariana Mazzucato über eben jene Idee der missionsorientierten Politik diskutiert – bei unserem nächsten New Economy Short Cut. Anmeldung hier.
Dass zu großen Paradigmenwechseln immer auch politische Wechselmomente gehören, ist spätestens seit Aufstieg von Reagonomics und Thatcherismus naheliegend. Damals wechselte in Deutschland die FDP zur CDU – und zu einer ziemlich klar angebotsorientierten Doktrin. Jetzt spricht man in den USA von Bidenomics. Und in Deutschland hat die FDP etwas unversehen zur Ampel gewechselt. Schon schreibt eine deutsche Wirtschaftszeitung von neuem Liberalismus – und dass es ja Zeit wurde, vom einseitig marktorientierten Verständnis der Vergangenheit Abstand zu nehmen. Noch so ein Moment? Ein Puzzlestein? Mal sehen.
Wie weit besagter Paradigmenwechsel ist – und was jetzt kommt – werden wir einen Tag lang besprechen in einer Art Zwischenstopp: auf unserem IX. New Paradigm Workshop am 27. Oktober. Dann wird Barry Eichengreen diskutieren, ob hinter Biden wirklich Bidenomics stecken. Und LSE-Chefin Minouche Shafik stellt ihre Idee eines neuen Gesellschaftsvertrags vor. Dabei sein werden zudem Diane Coyle, Michael Jacobs, Jakob von Weizsäcker, Michael Burda, Marcel Fratzscher, Charlotte Bartels und andere. Zum aktuellen Stand des Programms geht’s hier. Und zur Anmeldung hier.
Ein schönes Wochenende,
Thomas Fricke