Thomas Fricke: Nachfolge an der Bundesbankspitze – Vorsicht vor falschen Helden der Stabilität
Ein Auftrag aus sonnigen Zeiten
Als die oberste deutsche Währungsbehörde ihr Renommee sammelte, steckte die deutsche Wirtschaft in ihrem Nachkriegswunder. Da ging es eher darum zu mäßigen, als loszulegen. Damals gab es Banken, die noch gepflegt Kredite an Leute vergaben, die damit etwas aufbauen wollten – statt das Gros der Kredite zum Spekulieren zu nutzen. Damals war der Kapitalverkehr international reguliert und überschaubar. Deshalb gab es auch keine alljährlich drohenden regionalen oder globalen Finanzkrisen. Damals schien auch kein Klima zu kippen. Und Einkommen und Vermögen drifteten so wenig auseinander, wie es vorher und seither nicht mehr der Fall war.
In dieser sonnigen Welt bekam die Bundesbank den Auftrag, für »stabile« Preise zu sorgen – indem sie gelegentlich den Leitzins etwas anhebt oder senkt, je nach aktueller Konjunktur. Zu Hochzeiten der marktliberalen Lehre galt sogar der Satz als ausgemacht, dass der einzige und beste Beitrag zum Wohlstand des Landes darin liege, unter allen Umständen für stabile Preise zu sorgen.
Das Kuriose ist, wie stoisch unbekümmert solche Sätze anno 2021 noch in Deutschland zu lesen sind – etwa wenn ein Bundesbank-Chef abtritt.
Zu bröckeln begann das Ganze schon mit dem, was in den Siebzigerjahren passierte – als das Bretton-Woods-System fester Wechselkurse kollabierte und die D-Mark dramatisch aufwertete. Das hatte mit Stabilität schon nichts mehr zu tun, stellte die Bundesbank aber immer wieder vor neue Aufgaben – die eben nicht mehr mit ein bisschen Zinsen hier und da, sowie dem schlichten Verfolgen des alleinigen Ziels stabiler Preise zu bewältigen waren. Dazu kam mit der großen Finanzderegulierung seit Ronald Reagan und Margaret Thatcher in den Achtzigerjahren, dass per se Schluss war mit stabilen Finanzmärkten. Seither folgten fast im Jahresrhythmus Crashs. Und eine Welt, in der Finanzpaniken gewählte Regierungen kippen und Rezessionen mit sich bringen können.
Was in so einem Umfeld ein herkömmliches Verständnis von Stabilitätsorientierung anrichten kann, hat die Bundesbank unfreiwillig dargelegt, als 1992 Finanzjongleure in immer neuen Schüben gegen die Währungen im Europäischen System spekulierten – und die Bundesbanker an ihren angeblich stabilitätsgerecht hohen Zinsen festhielten. De facto trugen die deutschen Notenbanker so maßgeblich dazu bei, dass die Spekulanten gewannen und das britische Pfund damals aus dem Klub rausflog – ein Drama, das nach Einschätzung mancher Beobachter der Urknall war, der früher oder später zum Brexit führen musste.
Man braucht ein relativ enges Verständnis von Stabilität, um das, was die Bundesbanker damals unter der Stabilitätsflagge machten, als Stabilitätsbeitrag einzustufen. Sie nahmen vor lauter falschem deutschen Stabilitätseifer das Gegenteil in Kauf. Erst als auch der französische Franc attackiert wurde, sahen die Notenbanker ein, dass es ganz offenbar noch andere Dimensionen von Stabilität gibt, über die sie mitbestimmen. Und die für Menschen und Wohlstand im Land ziemlich wichtig sind.