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Thomas Fricke: Neuer Bundesbankchef – Inflationskampf ohne Volkes Gnaden

15. Januar 2022
Wer als Top-Währungshüter ausgekungelt wird, wirkt anschließend über acht Jahre ohne große demokratische Kontrolle. Das ist in Zeiten des Klimawandels und energiegetriebener Inflation anachronistisch – und gefährlich.

Preisschübe anders auffangen

Ähnliches gilt für den Klimawandel. Natürlich entscheiden auch die Notenbanker darüber mit, wie schnell das Problem in den Griff zu kriegen ist – etwa indem sie auswählen, ob sie mehr oder weniger Anleihen klimaschädlicher Unternehmen kaufen. Womit wir auch bei der aktuellen Besorgnis sind: der höheren Inflation.

Wenn höhere Teuerungsraten derzeit ganz offenbar stark durch höhere Energiepreise und Lieferengpässe auf den Weltmärkten kommen, hilft es wenig, die Leitzinsen anzuheben – das drohte im Gegenteil die Konjunktur zu dämpfen, ohne dass es etwas an den coronabedingten globalen Trends ändert. Dafür müssten die Notenbanker im Zweifel am besten Corona beseitigen, und der Karl Lauterbach in uns sagt, dass das Virus auf Leitzinsen nicht hinreichend reagiert (zumindest gibt es dazu noch keine belastbaren Studien).

Dann ist legitim darüber nachzudenken, ob es nicht hilfreicher wäre, die vorübergehenden Preisschübe etwa über Heizkostenzuschüsse aufzufangen, wie es die Bundesregierung jetzt vorhat – oder den Kaufkraftverlust durch vorübergehend sinkende Steuern zu kompensieren, wie es der bayerische Weltökonom Markus Söder diese Woche empfahl. Vielleicht auch den einen oder anderen Preis zu kontrollieren, wie es die Ökonomin Isabella Weber zum Entsetzen des vor allem älteren Teils der Zunft kürzlich mal in die Runde warf.

Egal, wie man zu jedem der Vorschläge so steht. All das sprengt das schöne alte Notenbanker-Modell. Da platzt die Illusion von der politisch losgelösten Oberbank.

Die EZB-Direktorin Isabel Schnabel hat kürzlich anklingen lassen, dass die Notenbanker auch mit höheren Zinsen reagieren könnten, wenn höhere Preise etwa durch klimapolitisch gewollte CO₂-Steuern kommen. Warum? Warum sollte eine Notenbank gegensteuern und im Zweifel die Konjunktur bremsen, wenn die Regierung das Klima retten will (egal, ob das an sich der richtige Weg ist)? Darüber lässt sich streiten und am Ende demokratisch entscheiden – wenn überhaupt stimmt, dass Klimarettung zu (zeitweise) höherer Teuerung führt, geht es im Zweifel um konkurrierende gesellschaftliche Ziele. Darüber hat dann aber eine demokratisch recht steril gehaltene Notenbank nicht zu entscheiden.

Beim nächsten Mal nicht so ein Geklüngel

Die Chefin der EZB, Christine Lagarde, muss immerhin alle paar Monate vors EU-Parlament treten und sich von gewählten Abgeordneten befragen lassen. Selbst das gibt es bei der Bundesbank nicht. Weil das angeblich die Unabhängigkeit stören könnte. Herr Nagel darf jetzt durchregieren – für acht Jahre. Und: selbst wenn er über die ganze Zeit die Inflation nicht in den Griff bekäme und durch seine (Mit-)Entscheidungen Klimakrise wie Vermögensspaltung im Land verschärfen würde, gäbe es keine Möglichkeit, ihn dafür abzuwählen. Man muss die irre Gedankenwelt der Marktultras und Ordo-Orthodoxie kennen, um so etwas zu verstehen. Das passt einfach nicht mehr. Zumal übrigens auch die Bundesbanker, anders als es der Neue beim Antritt suggerierte, die Inflation 2021 nicht haben kommen sehen.

All das heißt nicht, dass der Neue kein Guter werden kann. Die Frage ist nur, was das heißt – und wer darüber entscheidet. Es wäre gut, einmal nachzudenken, wie auch die Entscheidungen einer Bundesbank als wichtige Mitmacherin im EZB-System aktiv demokratisch begleitet und generiert werden können – und dafür zu sorgen, dass so ein Bundesbankchef spätestens beim nächsten Mal nicht mehr im Koalitionsgeklüngel unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgeheimst und dann inthronisiert wird.

Dafür gibt es zu viele neue Krisen, über deren Lösung dringend gestritten werden müsste – und die mit den alten Notenbanker-Instrumenten gar nicht zu bewältigen sind. Dafür ist auch zu wichtig, was der Mann schaffen oder anrichten kann.

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