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Thomas Fricke: Mögliches Comeback der Populisten – Wenn die Krise nach der Krise droht

28. Januar 2022
Populisten scheinen seit Ausbruch des Corona-Dramas eher an Gewicht verloren zu haben. Womöglich ein Trugschluss: Die wirklich große Welle droht nach der Pandemie.

Smarte Industriepolitik ist gefragt

Fragt sich nur, ob das alles reicht, um die Ursachen für Unmut und Kontrollverlust zu beheben. Dafür müsste es nach Analyse von Robert Gold nicht nur besser gelingen, die Verlierer aufzufangen – wofür es gerade in den USA und Großbritannien einen besser ausgestatteten Wohlfahrtsstaat mit Absicherungen bräuchte. Entscheidend sei, dass die Leute das Gefühl bekommen, aus eigener Kraft wieder für sich sorgen zu können. Als Lösung bräuchte es im Zweifel sehr viel mehr proaktive Politik, die dafür sorgt, dass in absehbar kriselnden Regionen neue Wirtschaftszweige wachsen – und bewusst geschaffen werden: smarte Industriepolitik.

Dazu bräuchte es Politiker, die immer wieder demonstrieren, dass sie noch Kontrolle haben – ob über mächtige Internetkonzerne, steuersparende globale Firmen oder Finanzspekulatoren, die Regierungen vor sich herzutreiben versuchen. Oder im Zweifel auch über ein Virus. Oder den Verfall von Schulen und öffentlicher Infrastruktur. Und den Irrwitz, dass dank all der schönen Liberalisierungen der Finanzwelt so viel Geld mit abgehobenem Finanzzauber oder schierem Immobilienbesitz zu machen ist – und so skandalös wenig mit Dingen, die Menschen dringend brauchen. Etwa Gesundheit. Kurz: all das anzugehen, was in den vergangenen Jahrzehnten dazu beigetragen hat, das Vertrauen in diejenigen schwinden zu lassen, die fürs Wohl des Volkes sorgen sollten.

Dann geht es um mehr als nur ein nicht ganz so schlechtes Corona-Management – oder darum, dass Verliererregionen etwas besser durch diese Krise kommen und die Löhne etwas stärker steigen. Dann braucht es im Zweifel so einen New Deal, wie ihn Franklin D. Roosevelt in einer in vielerlei Hinsicht vergleichbaren Lage samt der Schockwellen nach der Finanzkrise 1929 aufgelegt hat. Und die auch Joe Biden durchaus im Programm hat – oder hatte; ebenso wie die neue Regierung in Deutschland. Ob durch große Infrastrukturprogramme, die Einführung internationaler Mindeststeuern für Konzerne, eindrucksvollere Investitionen in den Klimaschutz, die Stärkung von Gewerkschaften – oder die Anhebung von Mindestlöhnen. Oder eben eine Politik, die viel aktiver versucht, Leuten neue Perspektiven zu schaffen.

Umso größer wirkt nur das Drama, das sich in den USA nach einem Jahr Biden bereits anbahnt – wo der Präsident einen Teil seiner hehren Pläne im innenpolitischen Hickhack aufgeben muss, während das, was durchgegangen ist, teils Jahre brauchen wird, bevor die Leute das Gute daran spüren: ob bessere Straßen und Brücken oder Erfolge im Kampf gegen den Klimawandel. Und wo jetzt auf dramatische Art die Zeit bereits davonläuft – für den Präsidenten wie für den Versuch, die Ursachen für den (womöglich eben doch nur vorübergehend geschwächten) Populismus zu stoppen. Weil im November schon die nächsten Wahlen anstehen – und Biden danach keine Mehrheit mehr im Kongress haben könnte.

Wenn die Diagnose der tieferen Ursachen für die Krise der Demokratie stimmt, wird es das mit dem großen Kampf gegen Populisten für die USA dann erst einmal gewesen sein.

Risiken für Deutschland

Kein gutes Omen für die Bundesregierung und ihr ja auch recht ambitioniertes Programm bei uns. Zumal nicht ganz auszuschließen ist, dass in ein paar Wochen in Frankreich rechte Populisten die Präsidentschaftswahl gewinnen. Und es ist ja nicht so, dass nach der Pandemie nicht die nächsten realen Schocks schon absehbar wären, bei denen Menschen die Kontrolle über ihr eigenes Schicksal erneut genommen wird – ob regional oder darüber hinaus: ob durch Finanzkrisen, den nötigen Umbau der Autoindustrie oder künstliche Intelligenz. Für all das gilt das gleiche wie für Globalisierungs- und Technologieschocks in den vergangenen Jahren: Vieles davon mag per Saldo wirtschaftlich gut sein – nur dass hinter so einem Saldo halt eine Menge Schicksale auf der Minusseite stehen, die empfänglich für populistische Reize sein werden, wenn man ihnen nicht schnell Aussicht auf eine Lösung schafft.

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