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Neues aus dem Forum New Economy – der Newsletter #63

11. Februar 2022

Liebe Freunde, Kolleginnen und Kollegen,

warum sind eigentlich eher orthodox geneigte Ökonomen so eifrig, vor Inflation zu warnen – obwohl die Teuerung relativ viel stärker die Ärmeren trifft? Die Antwort könnte zu einem Teil in der Erinnerung daran liegen, was nach der großen Inflation der 1970er-Jahre passiert ist. Die hohe Teuerung bei schwachem Wirtschaftswachstum war damals der große Krisenmoment, den es braucht, um lange herrschende Paradigmen zu kippen – und neue zu etablieren. Damals kippte das ohnehin schon angeschlagene Nachkriegsparadigma, das mit relativ viel Regulierung und makroökonomischer Steuerung für Wohlstand gesorgt hatte. Und es war der Beginn jener drei bis vier Jahrzehnte, in denen das neue konservativ-marktliberale Paradigma via Margaret Thatcher und Ronald Reagan zu wirken begann.

Die Antwort auf die große Inflation lag in strenger Geldpolitik auf Kosten der Beschäftigung, in Deregulierung und Lohnzurückhaltung – eine klare Agenda. Wobei nicht wirklich klar ist, ob es nicht andere Rezepte hätte geben können. Müßig. Die Eigendynamik des Paradigmenwechsels ließ die sehr orthodoxe Art der Antwort gewinnen.

Das könnte erklären, warum auch jetzt bei erneut relativ hohen Inflationsraten eher marktliberal-orthodoxe Ökonomen wieder Rückwind zu spüren scheinen – und die ersten wieder nach höheren Zinsen oder gemäßigten Lohnforderungen rufen. Dabei ist die Lage heute nur bedingt vergleichbar, wie Barry Eichengreen gerade dargelegt hat. Und es könnte angesichts des starken Einflusses geopolitischer oder coronabedingter Preisschübe weise sein, die Umkehr der Sondereinflüsse abzuwarten. Die paradigmatische Eigendynamik geht nach den Debakeln der marktliberalen Epoche – all den Finanz-, Globalisierungs- und Klimakrisen – heute ohnehin in eine andere Richtung. Wir sprachen hier gelegentlich darüber. Da helfen auch keine höheren Zinsen. Und auch kein Wiederaufwärmen alter Marktmantras.

Dass das Verständnis von Ökonomie heute nicht mehr so altbacken orthodox ist, versucht im jüngsten Jahreswirtschaftsbericht die neue Regierung zu demonstrieren: mit einem ganzen Kapitel dazu, wie man Wohlstand jenseits des ollen Bruttoinlandsprodukts messen könnte. Ob das funktioniert, diskutieren wir kommenden Freitag mit einem der Autoren, Philipp Steinberg – und Nicola Brandt von der OECD: in unserem nächsten New Economy Short Cut am 18. Februar ab 14 Uhr – Anmeldung hier.

Ein schönes Wochenende,

Thomas Fricke

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